VwGH vom 29.11.2021, Ra 2020/11/0164

VwGH vom 29.11.2021, Ra 2020/11/0164

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revisionen des G F in S, Deutschland, vertreten durch die Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich jeweils vom , 1.) Zl. LVwG-302269/38/BZ (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0164), 2.) Zl. LVwG-302270/26/BZ (protokoliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0165), 3. LVwG-302271/26/BZ (protokoliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0166), jeweils betreffend Übertretung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revisionen werden, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche der angefochtenen Erkenntnisse richten, jeweils zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Den Revisionen wird insoweit stattgegeben, als die angefochtenen Erkenntnisse in ihren Strafaussprüchen dahingehend abgeändert werden, dass die mit ihnen und mit den ihnen zugrundeliegenden Straferkenntnissen jeweils verhängten Ersatzfreiheitsstrafen entfallen.

Der Bund hat dem Revisionswerber jeweils Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40, insgesamt somit € 4.039,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Vorauszuschicken ist, dass der Revisionswerber zu den Tatzeitpunkten im Jahr 2017 einer von drei handelsrechtlichen Geschäftsführern der G GmbH mit Sitz in Deutschland war. Die Geschäftsführer brachten jeweils gleichlautende Revisionen gegen die gegen sie erlassenen gleichlautenden Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich ein. Die außerordentlichen Revisionen der beiden anderen Geschäftsführer sind zu den hg. Zlen. Ra 2020/11/0167 bis 0169 und Ra 2020/11/0170 bis 0172 protokolliert.

2Mit den angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnissen wurde dem Revisionswerber - in teilweiser Bestätigung und teilweiser Abänderung dreier Straferkenntnisse der belangten Behörde jeweils vom  - zur Last gelegt, er habe es als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der G GmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin näher genannte polnische Arbeitnehmer eingesetzt bzw. beschäftigt habe, wobei sie

zu 1.) (Ra 2020/11/0164) die Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A1) der entsandten Arbeitnehmer nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen den Organen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe und der Revisionswerber somit den Tatbestand gemäß § 26 Abs. 1 Z 3 iVm. § 21 Abs. 1 Z 1 LSD-BG verwirklicht habe, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 500,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde.

zu 2.) (Ra 2020/11/0165) die Meldung über die Arbeitsaufnahme dieser Arbeitnehmer nicht vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem LSD-BG erstattet habe und der Revisionswerber somit den Tatbestand gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm. § 19 Abs. 1 und 2 LSD-BG verwirklicht habe, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 500,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde.

zu 3.) (Ra 2020/11/0166) die Lohnunterlagen gemäß § 22 Abs. 1 leg. cit. in deutscher Sprache für diese Arbeitnehmer nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe und der Revisionswerber somit den Tatbestand gemäß § 28 Z 1 iVm. § 22 Abs. 1 LSD-BG verwirklicht habe, weshalb gegen ihn eine Gesamtstrafe von € 750,-- samt Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde.

Die Erhebung einer ordentlichen Revision erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für unzulässig.

3Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

4Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu Spruchpunkt I.

5Die vorliegenden Revisionsfälle gleichen hinsichtlich der Schuldsprüche in ihren für die Entscheidung wesentlichen Punkten jenen, die dem Erkenntnis vom , Ra 2020/11/0170 bis 0172, zugrunde lagen. Auf die Begründung zu Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen. Die - inhaltsgleichen - Revisionen waren daher hinsichtlich der Schuldsprüche gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.

6Hingegen erweisen sich die Revisionen mit ihrem gegen die Strafaussprüche gerichteten Vorbringen aus folgenden Gründen als zulässig und begründet:

7Mit der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 wurden die in den Revisionsfällen maßgeblichen Strafbestimmungen der §§ 26 und 28 LSD-BG insofern geändert, als die Bestrafung pro Arbeitnehmer und die Festsetzung von Mindeststrafen entfallen ist. Sie lauten (auszugsweise):

„Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendung oder Überlassung

§ 26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des § 19 Abs. 1

1.die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen § 19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

2....

3.die erforderlichen Unterlagen entgegen § 21 Abs. 1 oder Abs. 2 nicht bereithält oder dem Amt für Betrugsbekämpfung oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vor Ort nicht unmittelbar in elektronischer Form zugänglich macht, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro zu bestrafen.

...

Nichtbereithalten und Nichtübermitteln der Lohnunterlagen

§ 28. Wer als

1.Arbeitgeber entgegen § 22 Abs. 1, Abs. 1a oder 1b die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder

2.Überlasser im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung nach Österreich entgegen § 22 Abs. 2 die Lohnunterlagen dem Beschäftiger nicht nachweislich bereitstellt, oder

3.Beschäftiger im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen § 22 Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält oder

4.Arbeitgeber oder Überlasser entgegen § 12 Abs. 1 Z 4 die Lohnunterlagen nicht übermittelt, begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 40 000 Euro, zu bestrafen.“

8Gemäß § 72 Abs. 10 letzter Satz der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 sind die §§ 26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden.

9Den - somit in den Revisionsfällen auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden - §§ 26 und 28 LSD-BG idF BGBl. I Nr. 174/2021 entsprechen die angefochtenen Erkenntnisse insofern, als jeweils nur eine Gesamtgeldstrafe ohne Abstellen auf eine Mindeststrafe verhängt wurde.

10Dennoch erweisen sich die Strafaussprüche der angefochtenen Erkenntnisse als rechtswidrig:

11Das infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom , C-64/18 ua., Maksimovic, in den Tatzeitpunkten maßgebliche Recht iSd. § 1 Abs. 2 VStG erlaubte - aufgrund der sich aus dem zitierten Urteil ergebenden Unanwendbarkeit einzelner Bestimmungen des nationalen Rechts (ua. des § 16 VStG, vgl. dazu , 0034, Rn 31 und 33) - bei sogennanten „Formaldelikten“ nicht die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen. Das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht iSd. § 1 Abs. 2 VStG ist insofern jedenfalls nicht günstiger. Die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen hatte daher zu unterbleiben.

12Somit erweisen sich die angefochtenen Erkenntnisse, soweit mit ihnen Ersatzfreiheitsstrafen verhängt wurden, als inhaltlich rechtswidrig. Sie waren daher insoweit gemäß § 42 Abs. 4 VwGG abzuändern.

13Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110164.L00

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