VwGH vom 16.11.2021, Ra 2020/11/0080

VwGH vom 16.11.2021, Ra 2020/11/0080

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Finanzamtes Österreich, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-041/006/11596/2018-14, betreffend Bestrafung nach dem LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Parteien: 1) S B in W und 2) K Bau d.o.o. in L, beide vertreten durch Mag. Isabel Albrecht, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Werdertorgasse 15/16), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Erstmitbeteiligte als nach außen vertretungsbefugtes Organ der K-Bau d.o.o. (Zweitmitbeteiligte) mit Sitz in Slowenien schuldig erkannt, dass diese Gesellschaft als grenzüberschreitende Überlasserin von 17 namentlich genannten Arbeitnehmern an die in Österreich ansässige A. Bau GmbH die für diese Arbeitnehmer jeweils gesondert zu erstattende Meldung betreffend die Überlassung gemäß § 19 Abs. 1 und 2 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) nicht vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme (die gestaffelt zwischen und erfolgt sei) an die zuständige Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen erstattet habe.

Wegen Übertretung des § 19 Abs. 1 und 2 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) verhängte die belangte Behörde 17 Geldstrafen zu jeweils € 2.000,-- sowie entsprechende Ersatzfreiheitsstrafen und schrieb dem Erstmitbeteiligten als Kostenbeitrag 10% der Geldstrafen vor.

2Die dagegen erhobene Beschwerde schränkte der Erstmitbeteiligte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auf die Bekämpfung der Strafhöhe ein.

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der (in der zur Straffrage noch aufrechten) Beschwerde Folge gegeben und (anstelle der 17 Strafen) eine Geldstrafe in Höhe von € 1.000,-- sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag verhängt (wobei der Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Strafverfahren entsprechend reduziert wurde) und gemäß § 9 Abs. 7 VStG die Haftung der Zweitmitbeteiligten insbesondere für die verhängte Geldstrafe ausgesprochen. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4In der Begründung führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass „in Anbindung“ an das hg. Erkenntnis vom , Ra 2019/11/0033 bis 0034, und an das dort zugrunde liegende Maksimovic, C-64/18 u.a., nur eine einzige Geldstrafe zu verhängen gewesen sei.

5Mildernd seien die Schuldeinsicht und die lange Verfahrensdauer, erschwerend hingegen kein Umstand zu werten gewesen. Insbesondere, so das Verwaltungsgericht in seinen weiteren Ausführungen, sei die Zahl der Beschäftigten nicht erschwerend zu werten gewesen, dies aufgrund „des der positiv rechtlichen Strafsanktionsnorm innewohnenden Kumulationsprinzips“, woran auch der Entfall der Wortfolge „für jeden Arbeitnehmer“ in der Strafsanktionsnorm nichts geändert habe. Wertete man die Zahl der Arbeitskräfte, deren Meldung unterlassen worden sei, als erschwerend, so „würde dies einen Akt der Normsetzung bedeuten, der dem Gesetzgeber vorbehalten“ sei.

6Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision. Die mitbeteiligten Parteien haben eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7In der Revision wird sowohl zu ihrer Zulässigkeit als auch in den Revisionsgründen unter Verweis auf hg. Judikatur einerseits die Auffassung vertreten, bei den gegenständlichen Delikten handle es sich (angesichts der unterschiedlichen Zeitpunkte der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Arbeitskräfte und damit der unterschiedlichen Zeitpunkte der zu erstattenden Meldungen) um mehrere nebeneinander bestehende Verwaltungsübertretungen, die - jeweils (pro unterlassener Meldung) - mit Strafe zu belegen seien. Andererseits sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Anzahl der unterlassenen Meldungen könne sich auf die Strafhöhe nicht erschwerend auswirken, rechtswidrig und stehe mit näher genannter hg. Judikatur im Widerspruch.

8Aufgrund des zweitgenannten Vorbringens ist die Revision zulässig und begründet.

9Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BD), BGBl. I Nr. 44/2016 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 64/2017, § 26 Abs. 1 in der gemäß § 72 Abs. 10 maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 174/2021, lautet auszugsweise:

„Formale Verpflichtungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz

Meldepflicht bei Entsendung oder Überlassung aus einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft

§ 19. (1) Arbeitgeber und Überlasser mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben die Beschäftigung von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern und nach Österreich überlassenen Arbeitskräften zu melden. Die Meldung hat für jede Entsendung oder Überlassung gesondert zu erfolgen. ...

(2) Die Entsendung oder Überlassung im Sinne des Abs. 1 ist vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle zu melden.

...

Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendung oder Überlassung

§ 26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des § 19 Abs. 1

1.die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen § 19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

...

begeht unabhängig von der Anzahl der von der Verwaltungsübertretung betroffenen Arbeitnehmer eine einzige Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 20 000 Euro zu bestrafen.

...

Inkrafttreten

§ 72.

(10) .... Die §§ 26 bis 29 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 174/2021 sind auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen anhängigen Verfahren einschließlich von Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof anzuwenden.

...“

10Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Ra 2019/11/0033 bis 0034 (Rn 28-29), vor dem Hintergrund des Maksimovic, C-64/18 u.a, zu § 7i Abs. 4 AVRAG (der mit der zitierten Strafnorm des § 26 Abs. 1 Z 1 LSD-BG im gegebenen Zusammenhang vergleichbar ist) Folgendes ausgeführt:

„28 § 7i Abs. 4 AVRAG enthält zwar Strafhöchstgrenzen, die nach ihrem Wortlaut für die Bemessung der jeweiligen Geldstrafe (‚für jede/n Arbeitnehmer/in‘) gelten, nicht aber für die Summe der Geldstrafen bei Verletzung der Bereitstellungspflicht bezüglich mehrerer Arbeitnehmer. Eine unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht (eine andere Methode steht im Rahmen der Vollziehung der Gesetze nicht zur Verfügung) kann gegenständlich am ehesten dadurch hergestellt werden, dass die Wortfolge ‚für jede/n Arbeitnehmer/in‘ in § 7i Abs. 4 AVRAG unangewendet bleibt, weil damit im Ergebnis dem sich aus Rn 42 und 47 des Urteils des EuGH ergebenden Erfordernis einer Höchstgrenze für die Summe aller Geldstrafen bei Verstößen gegen die Bereitstellungspflicht betreffend mehrere Arbeitnehmer Rechnung getragen wird.

29 Dass damit die Verletzung der Bereitstellungspflicht, auch wenn sie mehrere Arbeitnehmer betrifft, nur mehr eine einzige Strafe nach sich zieht, ist zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen. ...“

11Vor diesem Hintergrund steht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, für die vom Erstmitbeteiligten (nach dem rechtskräftig gewordenen Schuldspruch) bis zur Erlassung des Straferkenntnisses vom unterlassenen Meldungen sei nur eine Geldstrafe zu verhängen, im Einklang mit der hg. Rechtsprechung und mit § 26 Abs. 1 LSD-BG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 174/2021 (vgl. zur Erfassung aller bis zum Straferkenntnis gesetzten Einzeltathandlungen aus vielen , mwN).

12Unzutreffend ist hingegen die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, es dürfe bei Verhängung einer (einzigen) Geldstrafe die Anzahl der unterlassenen Meldungen nicht erschwerend berücksichtigt werden. Mit dieser Rechtsauffassung kann sich das Verwaltungsgericht insbesondere weder auf das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2019/11/0033 bis 0034 noch auf das dort zugrunde liegende Urteil des EuGH berufen.

13Es trifft auch nicht zu, dass es einer eigenen gesetzlichen Anordnung bedürfte, um die mehrfachen Einzeltathandlungen im Sinne des § 26 Abs. 1 Z 1 LSD-BG bei der Bemessung der zu verhängenden (Gesamt-)Geldstrafe erschwerend berücksichtigen zu können. Vielmehr ergibt sich schon aus § 19 Abs. 1 VStG, dass für die Strafbemessung die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes - und die Intensität seiner Beeinträchtigung (die fallbezogen u.a. von der Anzahl der unterlassenen Meldungen abhängt) - zu beachten ist.

14Solange die vom Verwaltungsgericht innerhalb des Strafrahmens verhängte (einzige) Geldstrafe nicht höher bemessen wird als die Summe der von der ersten Instanz verhängten Strafen, liegt außerdem kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius vor (vgl. , 0069, Rz 20).

15Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110080.L00

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