VwGH vom 09.06.2021, Ra 2020/11/0064
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M K in W, vertreten durch Dr. Johannes Schuster und Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Praterstern 2/1.DG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W216 2229817-1/4E, betreffend Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Feststellung des Nichtbestehens der Behinderteneigenschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1Der Revisionswerber gehörte aufgrund des Bescheides der belangten Behörde vom mit einem Grad der Behinderung von 50% dem Kreis der begünstigten Behinderten iSd. § 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) an. Begründet wurde dies mit dem laut ärztlichem Sachverständigengutachten vom führenden Leiden Morbus Crohn („da auch unter Biologictherapie noch tägliche Durchfälle und Bauchschmerzen, zuletzt aber stabiler Verlauf“).
2Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, im Wesentlichen durch Bestätigung des Bescheides der belangten Behörde vom , gemäß § 2 und 14 BEinstG festgestellt, dass der Grad der Behinderung des Revisionswerbers 30% betrage und er daher mit Wirksamkeit eines näher genannten Zeitpunktes nicht mehr zum Kreis der begünstigten Behinderten gehöre. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3In der Begründung gelangte das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf näher genannte ärztliche Sachverständigengutachten zusammengefasst zur Ansicht, dass der Leidenszustand „Morbus Crohn“ beim Revisionswerber zwar weiterbestehe. Es handle sich demnach um „chronische Darmstörungen mittleren Grades mit chronischen Schleimhautveränderungen“, deren Schweregrad beim Revisionswerber nach der Einschätzungsverordnung aber nur mit 30% zu bewerten sei, weil die nächsthöhere Einstufung nicht nur eine „geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung“, sondern ausschließlich mittelschwere Beeinträchtigungen des Allgemein- und Ernährungszustandes erfordern würden, was beim Revisionswerber nicht der Fall sei.
4Das Verwaltungsgericht vertrat (unter Zuhilfenahme eines wiederholt verwendeten Textbausteins; vgl. z.B. ) die Rechtsansicht, es habe von der (in der Beschwerde ausdrücklich beantragten) Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand nehmen können. Ergänzend fügte es hinzu, „die strittigen Tatsachenfragen (Schmerzen, Art und Ausmaß der Funktionsstörungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist“.
5Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet und über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6Die Revision ist zulässig und begründet, weil sie zu Recht das Abweichen des Verwaltungsgerichts von der (ständigen) hg. Judikatur zur Verhandlungspflicht in Angelegenheiten des Behindertenwesens ins Treffen führt:
7Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geht es bei der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten um ein „civil right“ iSd. Art. 6 EMRK, sodass die Durchführung der Verhandlung essenziell ist, um Fragen an den Sachverständigen richten zu können und den für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu gewinnen (vgl. aus vielen das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2020/11/0087 mit Verweisen auf die Vorjudikatur). Nach dem zitierten hg. Erkenntnis ist die Durchführung der Verhandlung in einer solchen Angelegenheit auch im Lichte des § 3 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) zur Aufrechterhaltung einer geordneten Verwaltungsrechtspflege unbedingt erforderlich.
8Da sich das Verwaltungsgericht über diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinweggesetzt und die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
9Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Aufwandersatz einen Pauschalbetrag darstellt, in dem die Umsatzsteuer u.Ä. bereits enthalten sind (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2020/11/0087).
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110064.L00 |
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