VwGH vom 14.05.2020, Ra 2020/11/0014

VwGH vom 14.05.2020, Ra 2020/11/0014

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M H in N, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-651509/12/SCH/KA, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde, durch Bestätigung des - ausdrücklich auf § 24 Abs. 4 FSG gestützten - Bescheides der belangten Behörde vom , die Lenkberechtigung des Revisionswerbers "bis zum Nachweis Ihrer gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens gemäß § 8 FSG" entzogen.

Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

2 In der Begründung wurde festgestellt, dem Revisionswerber sei mit Bescheid vom die Lenkberechtigung wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,89 mg/l) für die Dauer von sechs Monaten entzogen worden. Dem sei eine neuerliche Entziehung seiner Lenkberechtigung vom bis wegen gesundheitlicher Nichteignung (Alkoholmissbrauch) gefolgt. 3 Mit Bescheid vom sei dem Revisionswerber die Lenkberechtigung wieder befristet unter der Auflage der vierteljährlichen Beibringung von Haaranalysen (betreffend Ethylglucuronid - EtG) und einer anschließenden Nachuntersuchung erteilt worden.

4 Der Revisionswerber habe diese Haaranalysen (zuletzt jene vom ) sowie zwei fachärztliche (psychiatrische) Stellungnahmen (zuletzt jene vom ; nach beiden bestehe beim Revisionswerber keine Alkoholabhängigkeit und aus fachärztlicher Sicht kein Einwand gegen das Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1) beigebracht. Die Haaranalysen hätten aber "nicht durchgängig unbedenkliche" Ergebnisse gezeigt (EtG-Werte zwischen 34 pg/mg und 37 pg/mg). Amtsärztlich sei beim Revisionswerber ein "Rückfall in alte Trinkgewohnheiten geortet" und die derzeitige gesundheitliche Nichteignung diagnostiziert worden (nach der im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen amtsärztlichen Stellungnahme vom sei er "an der Grenze zur Abhängigkeit").

5 Das Verwaltungsgericht gab der amtsärztlichen Stellungnahme beweiswürdigend Vorrang gegenüber den beigebrachten fachärztlichen Stellungnahmen und führte in der rechtlichen Beurteilung (unter Hinweis auf § 24 Abs. 1 Z 1 FSG) aus, dass es der Revisionswerber "offenkundig nicht zu Wege bringt, die EtG-Konzentration unauffällig zu gestalten, also einen bloß moderaten Alkoholkonsum an den Tag zu legen". Nach herrschender fachlicher Meinung spreche nämlich eine EtG-Konzentration von 30 pg/mg für einen "übermäßigen Alkoholkonsum". Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, dass der Revisionswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 "gesundheitlich nicht geeignet" sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Das Führerscheingesetz, BGBl. I Nr. 120/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 76/2019 (FSG), lautet auszugsweise:

"§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, daß er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. ...

...

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder ...

...

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

...

§ 25. ...

(2) Bei einer Entziehung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ist die Dauer der Entziehung auf Grund des gemäß § 24 Abs. 4 eingeholten Gutachtens für die Dauer der Nichteignung festzusetzen.

..."

9 Die Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV) lautet

auszugsweise:

"§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, daß sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol-, Suchtmittel- oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.

...

(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen."

10 Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend geltend macht, dass das angefochtene Erkenntnis von der hg. Rechtsprechung (zB ) abweicht.

11 Zunächst ist festzuhalten, dass der (durch das angefochtene Erkenntnis bestätigte) Bescheid der belangten Behörde vom als Rechtsgrundlage ausdrücklich § 24 Abs. 4 FSG anführt und die Lenkberechtigung des Revisionswerbers "bis zum Nachweis Ihrer gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens gemäß § 8 FSG" entzieht. Nach dem Spruch soll sich die Entziehungsdauer bis zur Vorlage des amtsärztlichen Gutachtens erstrecken, es handelt sich dabei also nicht um eine (begleitende) Anordnung gemäß § 24 Abs. 3 erster Satz FSG. Der Spruch ist angesichts der genannten Formulierung iVm der zugrunde gelegten Rechtsvorschrift vielmehr als sog. "Formalentziehung" iSd letzten Satzes des § 24 Abs. 4 FSG zu verstehen.

12 Der Rechtmäßigkeit einer solchen Entziehung steht allerdings (abgesehen davon, dass die letztgenannte Bestimmung die Entziehung bis zur amtsärztlichen Untersuchung und nicht bis zur Vorlage des amtsärztlichen Gutachtens vorsieht) entgegen, dass der Revisionswerber weder nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis noch nach der Aktenlage mit Bescheid erfolglos aufgefordert wurde, sich der amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen (eine diesbezügliche Aufforderung wird auch in der Revisionsbeantwortung nicht behauptet).

13 Abgesehen davon hat der Revisionswerber der Vorschreibung im erwähnten Bescheid vom betreffend die Vorlage von vierteljährlichen Haaranalysen samt anschließender amtsärztlicher Nachuntersuchung (vgl. die amtsärztliche Stellungnahme vom ) auch nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses offensichtlich entsprochen (woran das Ergebnis der Haaranalysen nichts ändert).

14 Das Verwaltungsgericht hat in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ausgeführt, dass der Revisionswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen (der Gruppe 1) "gesundheitlich nicht geeignet" sei (was gegen die vorhin erwähnte Formalentziehung spricht). Erfolgte daher die Entziehung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers, weil dessen gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen seit der Erteilung der Lenkberechtigung weggefallen sei (§ 24 Abs. 1 Z 1 iVm § 8 FSG; auf diese Bestimmungen wird im angefochtenen Erkenntnis Bezug genommen), so hätte die Entziehung der Lenkberechtigung gemäß § 25 Abs. 2 FSG freilich nur für die Dauer der Nichteignung (und nicht, wie im angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen, bis zum Nachweis der gesundheitlichen Eignung durch Vorlage eines ärztlichen Gutachtens) verfügt werden dürfen (vgl. , mit Verweis auf , und - insbesondere - mit Hinweis auf das dort zitierte Erkenntnis ).

15 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher schon unter diesen Gesichtspunkten als inhaltlich rechtswidrig. 16 Abgesehen davon weist die Revision zutreffend darauf hin, dass die (eingangs zusammengefassten) Sachverhaltsannahmen des Verwaltungsgerichts zum Alkoholkonsum des Revisionswerbers im vorliegenden Fall nicht ausreichen, um daraus seine gesundheitliche Nichteignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ableiten zu können. Dies gilt sowohl für das 2017 begangene (und somit mehr als zwei Jahre zurückliegende) Alkoholdelikt als auch für die getroffenen Feststellungen zum seitherigen Alkoholkonsum des Revisionswerbers, weil sich aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses keine Anhaltspunkte für die maßgebliche Befürchtung ergeben, dass der Revisionswerber neuerlich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand als Lenker eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen werde. Zu dieser entscheidenden Voraussetzung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das - nachstehend auszugsweise wiedergegebene - hg. Erkenntnis vom , Ra 2018/11/0031, und die dort zitierte ständige hg. Rechtsprechung verwiesen:

"34 Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, dass eine völlige Alkoholabstinenz weder im FSG noch in der FSG-GV für die Bejahung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gefordert sei. Alkoholkonsum ohne Bezug auf das Lenken von Kraftfahrzeugen schließe demnach die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung per se nicht aus. Es bedürfe vielmehr konkreter Umstände, die den Schluss zulassen, der Betreffende sei nicht willens oder nicht in der Lage, sein Verhalten in Bezug auf Alkoholkonsum an die Erfordernisse des Straßenverkehrs anzupassen, m. a.W es sei konkret zu befürchten, dass er in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand als Lenker eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen werde (vgl. ; , 2002/11/0231; , 2004/11/0121; , 2005/11/0148; , 2006/11/0042; , 2008/11/0021; , 2012/11/0172). Als entscheidend für die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol hat es der Verwaltungsgerichtshof angesehen, dass der Betreffende - sei es aus Verantwortungsbewusstsein oder aufgrund der Furcht vor Bestrafung und Verlust der Lenkberechtigung - den Konsum von Alkohol vor dem Lenken eines Kraftfahrzeugs vermeidet oder zumindest so weit einschränkt, dass er durch den Alkoholkonsum beim Lenken nicht beeinträchtigt ist (vgl. ; , 2012/11/0172)."

17 Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass sich der Wegfall der gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers auch nicht auf eine festgestellte (aktuelle) Alkoholabhängigkeit iSd § 14 Abs. 1 FSG-GV stützen lässt (eine solche Abhängigkeit wurde in den vorgelegten psychiatrischen Stellungnahmen verneint; auch die Amtsärztin spricht lediglich von "an der Grenze zur Abhängigkeit"). Gleiches gilt angesichts der beiden vorliegenden fachärztlichen Stellungnahmen (die - von der Amtsärztin insoweit nicht widerlegt - dem Revisionswerber keine Abhängigkeitsentwicklung attestierten) auch für eine in der Vergangenheit gelegene Alkoholabhängigkeit (§ 14 Abs. 5 FSG-GV). 18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020110014.L01

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