VwGH vom 23.03.2010, 2006/18/0099
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-FRG/53/890/2006, betreffend Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: B Y, geboren 1977, vertreten durch Dr. Werner Zach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom wurde dem Antrag der mitbeteiligten Partei (des Mitbeteiligten), eines türkischen Staatsangehörigen, vom auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, erlassenen und mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom bestätigten, für die Dauer von zehn Jahren befristeten Aufenthaltsverbotes Folge gegeben und das Aufenthaltsverbot aufgehoben.
Der Mitbeteiligte sei seit 1991 in Österreich aufhältig. Auch seine Eltern, ein Bruder und drei Geschwister seien in Österreich wohnhaft. Sein Vater und zwei seiner Schwestern seien österreichische Staatsbürger. Am habe der Mitbeteiligte einen unbefristeten gewöhnlichen Sichtvermerk erhalten. Im Zeitraum vom bis habe er sich in fünf Arbeitsverhältnissen befunden.
Am sei der Mitbeteiligte vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des versuchten Einbruchsdiebstahles zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er mit einem Komplizen am versucht habe, in ein Gasthaus einzubrechen, um Bargeld bzw. verwertbare Gegenstände zu stehlen.
Am sei er vom Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Einbruchsdiebstahles und des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen unter Bedachtnahme auf die vorgenannte erste Verurteilung gemäß §§ 31 und 40 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten als Zusatzstrafe rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Juli 1998 mit Komplizen insgesamt sechs Einbrüche in Unternehmensgebäude bzw. in zwei Gasthäuser verübt habe.
Basierend darauf habe die Erstbehörde mit Bescheid vom das Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen, das mit Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom bestätigt worden sei. Eine dagegen an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde sei als unbegründet abgewiesen worden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/18/0187, woraus hervorgeht, dass die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien im Rahmen ihrer Gefährdungsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG dem Mitbeteiligten neben dem obgenannten strafbaren Verhalten auch anlastete, dass er § 51 Abs. 1 Z. 4 iVm § 11 des Waffengesetzes übertreten hatte, weshalb er von der Erstbehörde rechtskräftig bestraft worden war, und dass er überdies am im Zuge einer Lokalkontrolle mit einem Gramm Kokain betreten worden war).
Begründend führte die belangte Behörde nach Hinweis auf § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, weiter aus, dass der Mitbeteiligte Begünstigter im Sinn des "Assoziationsabkommens EWG - Türkei" sei, § 86 Abs. 1 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verlange, dass das persönliche Verhalten der betroffenen Person eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, darstelle und im Fall des Mitbeteiligten die erschwerten Voraussetzungen (gemäß dieser Gesetzesbestimmung) bei mindestens zehnjährigem ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zur Anwendung kämen. Wie eine Strafregisterauskunft ergeben habe, sei die (über den Mitbeteiligten) verhängte Freiheitsstrafe nunmehr endgültig nachgesehen worden. Der im Übrigen noch bei seinen Eltern lebende Mitbeteiligte sei seit den obgenannten Verurteilungen nicht mehr straffällig geworden. Dabei handle es sich um einen nunmehr bereits sieben Jahre übersteigenden Zeitraum. Im Hinblick darauf bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme der im § 86 FPG angesprochenen gegenwärtigen Gefährdungspotenziale, weshalb spruchgemäß zu entscheiden sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot (oder ein Rückkehrverbot) auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
Der Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Weiters kann bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/18/0299, mwN).
Die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes weggefallen sind, hat nach der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgebenden Sach- und Rechtslage zu erfolgen. In § 125 Abs. 3 FPG ist nicht vorgesehen, dass Aufenthaltsverbote (auch) dann aufzuheben wären, wenn sie bei fiktiver Geltung des FPG im Zeitpunkt ihrer Verhängung nicht hätten erlassen werden dürfen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0420).
2.1. Die beschwerdeführende Partei wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG und bringt (u.a.) vor, dass die endgültige Nachsicht einer bedingten Freiheitsstrafe die Aufhebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes nicht bewirken könne, sei doch dieser Umstand von der Behörde bereits bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes berücksichtigt worden. Gleiches gelte für ein allfälliges Wohlverhalten des Betroffenen. Darüber hinaus sei der Mitbeteiligte bislang seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, und er halte sich solcherart seit mehr als sieben Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. So gehe die belangte Behörde mit ihrem Hinweis auf den noch bei seinen Eltern lebenden Mitbeteiligten selbst davon aus, dass sich dieser nach wie vor trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes in Österreich aufhalte. Von dessen Wohlverhalten könne daher keine Rede sein, und es sei daher das Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf § 86 Abs. 1 FPG aufrechtzuerhalten.
2.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich bereits aus folgenden Gründen als rechtswidrig:
Soweit die belangte Behörde ihrer Beurteilung eine Berechtigung des Mitbeteiligten aus dem Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zugrunde legt, verkennt sie, dass der Mitbeteiligte eine derartige Position jedenfalls durch die rechtskräftige Verhängung des Aufenthaltsverbotes verloren hat (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/18/0314, und vom , Zl. 2008/22/0848). Im Hinblick darauf hat die belangte Behörde vorliegend ihre Zuständigkeit zu Unrecht in Anspruch genommen (vgl. dazu nochmals das genannte Erkenntnis, Zl. 2008/22/0848). In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass der angefochtene Bescheid nach Ausweis der Verwaltungsakten gegenüber dem Mitbeteiligten erst im Mai 2006 erlassen wurde und zu diesem Zeitpunkt die Richtlinie 64/221/EWG, die für die Beurteilung des im vorangegangenen Rechtsgang erlassenen Berufungsbescheides (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/18/0341) maßgeblich war, bereits außer Kraft getreten war.
3. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-86743