Suchen Hilfe
VwGH vom 25.02.2010, 2006/18/0098

VwGH vom 25.02.2010, 2006/18/0098

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Oberösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-720091/2/Ste, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: M, geboren am , vertreten durch Jura Rechtsanwälte Denkmayr Partner OEG, 4910 Ried, Bahnhofstraße 37a), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis (der Erstbehörde) vom wurde gegen den Mitbeteiligten (im Folgenden: M.), einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3 sowie §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und einer Berufung gegen diesen Bescheid gemäß § 45 Abs. 4 leg. cit. die aufschiebende Wirkung aberkannt sowie von der Erteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 48 Abs. 3 leg. cit. im Interesse der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit abgesehen.

Begründend führte die Erstbehörde (u.a.) aus, dass der M. am in der Türkei geboren worden sei und seit 1992 in der BRD lebe, wo er drei bis vier Jahre vor der Erlassung dieses Bescheides eingebürgert worden sei. Er sei ledig und für zwei Kinder im Alter von sechs und acht Jahren unterhaltspflichtig, die sich bei der jeweiligen Kindesmutter in Deutschland befänden, die jeweils das Sorgerecht innehätte. Zuletzt sei er in der BRD ohne Beschäftigung gewesen und habe Arbeitslosengeld bezogen. In Österreich habe der M. keinen Wohnsitz und sei zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Eine Schwester von ihm lebe mit ihrer Familie ebenfalls hier.

Zuletzt sei der M. am von Deutschland nach Österreich eingereist und hier wegen des Verdachtes der Geldfälschung bzw. des In-Verkehr-Bringens von gefälschten 50-Euro- und 100-Euro-Banknoten festgenommen worden. Das Landesgericht Ried im Innkreis habe ihn folglich am wegen des Verbrechens der Geldfälschung nach § 232 Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, weil er Anfang März 2005 in Schärding mit dem Vorsatz, dass es unter anderem in Österreich als echt in Verkehr gebracht würde, nachgemachtes Geld, nämlich 50-Euro- und 100-Euro-Banknoten im Gesamtnennwert von mindestens EUR 89.550,- im Einverständnis mit einem weiteren Täter übernommen habe, um es als echt und unverfälscht in Österreich in Verkehr zu bringen. Auf Grund der vom M. gegen dieses Urteil erhobenen Berufung sei die über ihn verhängte Strafe auf 30 Monate herabgesetzt worden. Dieses Urteil sei in Rechtskraft erwachsen.

Weiters schienen gegen ihn in Deutschland folgende zu berücksichtigende Vorstrafen auf:

"1. Amtsgericht Böblingen vom , (...), wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise bzw. zum unerlaubten Aufenthalt gemäß § 27 dt. StGB und § 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AUSLG:

Geldstrafe von 30 Tagessätzen a DM 50,-.

2. Amtsgericht Böblingen von , (...), wegen Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel gemäß § 285 und § 284 Abs. 1 dt. StGB: 40 Tagessätze a DM 30,-."

Der M. befinde sich in Strafhaft in der Justizanstalt Ried im Innkreis, wobei das voraussichtliche Strafende mit errechnet sei.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die Erstbehörde zusammengefasst (u.a.) die Ansicht, dass in Anbetracht des Gesamtfehlverhaltens des M., nämlich des von ihm begangenen Verbrechens der Geldfälschung nach § 232 Abs. 2 StGB, wozu noch komme, dass er auch, wie oben angeführt, in Deutschland Straftaten verübt habe und deswegen zwei gerichtliche Vorstrafen aufweise, sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit im hohem Maß gefährde.

Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich (der belangten Behörde) vom wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG der vom M. gegen den erstinstanzlichen Bescheid mit Schreiben vom erhobenen Berufung stattgegeben und der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben.

Der M. habe in seiner Berufung vorgebracht, dass er seit zwei Jahren in einer festen Beziehung mit einer Österreicherin lebte und beabsichtigte, nach seiner Entlassung diese zu heiraten und mit ihr eine Familie zu gründen. Dies wäre nur in Österreich möglich, weil seine Lebensgefährtin hier als Volksschullehrerin arbeitete. Auch seine einzigen Verwandten wären in Österreich wohnhaft. Für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft wäre es für ihn von großer Bedeutung, den Kontakt zu diesen Leuten aufrecht erhalten zu können. Er wäre auch zur Arbeitssuche und im Hinblick auf die Stabilisierung des sozialen Status in der Gesellschaft auf deren Hilfe angewiesen. Dies würde ihm bei Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes in Österreich unmöglich gemacht werden.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass der M. keinen Wohnsitz in Österreich gehabt habe und habe und auch zu keinem Zeitpunkt hier einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Die über ihn wegen des Verbrechens der Geldfälschung nach § 232 Abs. 2 StGB rechtskräftig verhängte unbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten werde derzeit verbüßt. Weitere Vorstrafen (Geldstrafen) bestünden wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt (Amtsgericht Böblingen aus August 2000) und wegen Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel (Amtsgericht Böblingen aus April 2001) jeweils nach dem deutschen Strafgesetzbuch.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde unter Hinweis auf § 125 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, § 86 Abs. 1 und 3 leg. cit. und die Richtlinie 64/221/EWG die Ansicht, dass das Verhalten des M. grundsätzlich ein Grundinteresse der Gesellschaft (im Sinn des § 86 Abs. 1 FPG und der genannten Richtlinie) im konkreten Fall berühre, weil gerade die Sicherheit und das Vertrauen in die Banknoten ein wesentliches Element für das (wirtschaftliche) Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft darstellten. Das bisherige persönliche Verhalten des M. stelle jedoch keine erhebliche Gefahr für dieses Grundinteresse der Gesellschaft dar. Zunächst könne - wie auch das Oberlandesgericht Linz in seiner strafgerichtlichen Berufungsentscheidung festgestellt habe - aus den Strafbefehlen des Amtsgerichten Böblingen und den daraus ersichtlichen Sachverhalten keine allgemeine Tendenz des M. zu unredlichen Vermögenserwerben abgeleitet werden. Dieser habe im Zuge der strafbaren Handlungen im Wesentlichen die Aufgabe gehabt, potentielle Abnehmer ausfindig zu machen und das Falschgeld in Verkehr zu bringen (die Herstellung sei durch eine andere Person erfolgt). Er habe zudem im Strafverfahren ein reumütiges Geständnis abgegeben und zur Wahrheitsfindung beigetragen. Letztlich sei das nachgemachte Geld auch sichergestellt worden, was das Strafgericht als Reduktion der objektiven Tatschwere angesehen habe. Dazu komme, dass das Strafgericht vornehmlich generalpräventive Gründe für die Strafhöhe ins Treffen geführt habe, was nach § 86 Abs. 1 vierter Satz FPG unzulässig sei. Letztlich bestehe auf Grund des gesicherten sozialen Umfelds (des M.) aus derzeitiger Sicht kein Grund zu einer negativen Prognose. Gerade auch auf Grund der (erstmaligen) Strafhaft (deren Hauptzweck ja gerade darin bestehe, dem Täter das Unerlaubte seiner Tat vor Augen zu führen und ihn von weiteren Straftaten abzuhalten) könne - im Gegenteil - aus derzeitiger Sicht damit gerechnet werden, dass sich der M. in Hinkunft gesetzeskonform verhalten werde. Es liege daher - außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstelle - keine hinreichend schwere (erhebliche) und gegenwärtige Gefährdung vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Bei diesem Ergebnis erübrige sich ein gesonderter Ausspruch zu den im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen Aussprüchen über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung und die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Amtsbeschwerde abzulehnen, in eventu diese als unbegründet abzuweisen.

Auch der M. erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (oder einer Ausweisung), die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes am anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. hat über die gegenständliche Berufung die belangte Behörde zu entscheiden.

2. Gegen den M. als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse die Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Für die Beantwortung der Frage, ob die oben umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung dieser Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. aus der hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0343, mwN).

3.1. Die beschwerdeführende Partei wendet sich gegen die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 86 Abs. 1 FPG und bringt vor, dass aus dem Gesamtfehlverhalten des M. eine "erhebliche Gefahr", die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, im Sinn dieser Gesetzesbestimmung abzuleiten sei. Vor dem Hintergrund der enorm großen Bedeutung des Geldes sei nicht nur gegen den unmittelbaren Täter selbst, sondern auch gegen jene vorzugehen, die in irgendeiner Weise dazu beitrügen, Falschgeld in Umlauf zu setzen. Auch werde auf die Ausführungen der Erstbehörde im Schreiben vom hingewiesen. Darin habe die Erstbehörde (u.a.) ausgeführt, dass die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, auch die Vorstrafen des M. (in Deutschland) aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes im Rahmen der Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens zu bewerten. Trotz Verhängung von Geldstrafen (in Deutschland) habe sich der M. nicht von der Begehung einer weiteren Straftat abhalten lassen und sein deliktisches Verhalten sogar erheblich gesteigert, und es gehe auch die Argumentation ins Leere, dass wegen des gesicherten sozialen Umfeldes des M. aus derzeitiger Sicht kein Grund für eine negative Prognose bestünde, habe doch der M. die Tat gerade aus diesem Umfeld heraus begangen. Die Tatausführung sei allein im Zusammenhang mit dem intendierten Gewinn und der daraus abzuleitenden niedrigen Hemmschwelle des M. zur Begehung von Geldfälschereidelikten größeren Umfangs gestanden.

3.2. Wenn auch nähere Feststellungen zu den vom M. in Deutschland verübten, seinen beiden Verurteilungen durch das Amtsgericht Böblingen zugrunde liegenden Straftaten nach dem deutschen Strafgesetzbuch nicht getroffen wurden, so steht auf Grund dieser Verurteilungen - die vom M. weder in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, noch in seiner im vorliegenden Beschwerdeverfahren erstatteten Gegenschrift in Abrede gestellt werden - fest, dass der M. zur unerlaubten Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt eines anderen in Deutschland Beihilfe geleistet und sich auch am unerlaubten Glücksspiel beteiligt hat. Selbst wenn aus diesen Straftaten - wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid meint - keine allgemeine Tendenz des M. zu unredlichen Vermögenserwerben abgeleitet werden könnte, so tritt aus dem genannten Verhalten des M. doch seine mangelnde Verbundenheit mit rechtstaatlich gestützten Werten zu Tage und zeigt dieses Verhalten auch, dass eine gerichtliche Bestrafung den M. nicht davon abhalten konnte, neuerlich die Rechtsordnung zu brechen.

Wenn die Erstbehörde den Umstand, dass der M. in Deutschland straffällig geworden und deswegen zweimal vom Amtsgericht Böblingen bestraft worden war, in ihre Beurteilung der vom M. ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit miteinbezogen hat, so kann dies nicht als rechtswidrig erachtet werden. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Argumentation der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass der M. im Strafverfahren ein reumütiges Geständnis abgelegt habe und erstmalig eine Strafhaft verbüße. In Anbetracht des massiven Unrechtsgehaltes des vom M. am Tag seiner Einreise am in Österreich verübten Verbrechens - so übernahm er gefälschte Euro-Banknoten im Gesamtnennwert von EUR 89.550,- mit dem Vorsatz, sie es als echt und unverfälscht hier in Verkehr zu bringen -, des Umstandes, dass er bereits in Deutschland wiederholt die Strafrechtsordnung gebrochen hatte, und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes des M. kann die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffene Schlussfolgerung, dass vom M. keine hinreichend schwere (erhebliche) und gegenwärtige Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, ausgehe und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 (erster und zweiter Satz) FPG unzulässig sei, keineswegs nachvollzogen werden.

4. Im Hinblick darauf erweist sich der angefochtene Bescheid seinem Inhalt nach als rechtswidrig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

Fundstelle(n):
WAAAE-86738