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VwGH vom 07.05.2021, Ra 2020/10/0174

VwGH vom 07.05.2021, Ra 2020/10/0174

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des Q X in F, vertreten durch die Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, Schloßgraben 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , LVwG-1-284/2019-R18, betreffend Übertretungen nach dem Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirch),

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Spruchpunkte 3., 6. Und 16. des Straferkenntnisses der belangten Behörde vom , BHFK-X-9-2018/50444, und die Einstellung des Strafverfahrens in diesem Umfang richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis dahingehend abgeändert, dass infolge der vom Revisionswerber gegen das genannte Straferkenntnis der belangten Behörde vom erhobenen Beschwerde das Strafverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte 1., 2., 4., 5., und 7. - 15. dieses Straferkenntnisses gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG eingestellt wird.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis vom erkannte die belangte Behörde den Revisionswerber als außenvertretungsbefugtes Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft in insgesamt 16 Spruchpunkten Übertretungen des § 90 Abs. 3 Z 1 bzw. § 90 Abs. 4 Z 2 Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes (LMSVG) schuldig und verhängte jeweils Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen.

2Dagegen erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom Beschwerde, die am bei der belangten Behörde einlangte.

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) dieser Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte 3., 6. Und 16. des angefochtenen Straferkenntnisses Folge, hob die jeweiligen Spruchpunkte auf und stellte das Strafverfahren diesbezüglich ein. Hinsichtlich der Spruchpunkte 4., 8., 14., und 15 gab es der Beschwerde insoweit Folge, als es die jeweils verhängten Geld- sowie Ersatzfreiheitsstrafen herabsetzte. Hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte des Straferkenntnisses wurde der Beschwerde keine Folge gegeben.

4Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

5Das gegenständliche Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wurde der belangten Behörde (noch) am , dem Revisionswerber am zugestellt.

6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der als Revisionspunkt die Verletzung im „Recht auf Einstellung des Verfahrens gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG“ geltend gemacht wird.

7Zur Zulässigkeit bringt die Revision vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die 15-Monats-Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG bereits abgelaufen und das Straferkenntnis außer Kraft getreten gewesen sei; die Beschwerdeverfahren hätten daher eingestellt werden müssen.

8Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

Zu I.:

9Liegen - wie hier - trennbare Absprüche vor, ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. , mwN).

10Die Zulässigkeit einer Parteienrevision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss eines Verwaltungsgerichts gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG setzt voraus, dass der Revisionswerber durch diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein kann. Dabei ist es erforderlich, dass der Revisionswerber durch die Aufhebung im Fall der Rechtswidrigkeit der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung rechtlich besser gestellt wäre. Besteht eine solche Rechtsverletzungsmöglichkeit bereits im Zeitpunkt der Erhebung der Revision nicht, dann ist die Revision zurückzuweisen (vgl. auch dazu VwGH Ra 2019/17/0116, mwN).

11Der in der Revision angefochtene Abspruch des Verwaltungsgerichts stellt das gegen den Revisionswerber geführte Strafverfahren im Umfang der Spruchpunkte 3., 6. Und 16. des in Beschwerde gezogenen verwaltungsbehördlichen Straferkenntnisses ein - die zudem durch das Vewaltungsgericht ausgesprochene „Aufhebung“ geht infolge des ex-lege Außerkrafttretens des verwaltungsbehördlichen Straferkenntnisses gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG (vgl. unten Pkt. II.) ins Leere - und entspricht damit der nach § 43 Abs. 1 VwGVG angeordneten Vorgangsweise. Eine Verletzung des Revisionswerbers im geltend gemachten „Recht auf Einstellung des Verfahrens“ ist daher von vornherein ausgeschlossen.

12Die Revision war daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Zu II.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13Die Revision ist zulässig, soweit sie sich gegen die dem Grunde nach erfolgte Bestätigung der Bestrafung des Revisionswerbers im Umfang der Spruchpunkte 1., 2., 4., 5., und 7. - 15. des verwaltungsbehördlichen Straferkenntnisses richtet. Sie ist diesbezüglich auch berechtigt.

14§ 43 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet (auszugsweise):

„Verjährung

§ 43. (1) Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen.

(2) ...“

15Die im Revisionsfall anzuwendenden Bestimmungen des Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes BGBl. I Nr. 16/2020 in der maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 24/2020 (COVID-19-VwBG), lauten:

„Sonderregelungen für bestimmte Fristen

§ 2. (1) Die Zeit vom bis zum Ablauf des wird nicht eingerechnet:

1.in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag (§ 13 Abs. 8 AVG) zu stellen ist,

2.in Entscheidungsfristen mit Ausnahme von verfassungsgesetzlich festgelegten Höchstfristen und

3.in Verjährungsfristen.

Im Anwendungsbereich der Z 2 verlängert sich die jeweilige Entscheidungsfrist um sechs Wochen, wenn sie jedoch weniger als sechs Wochen beträgt, nur im Ausmaß der Entscheidungsfrist selbst.

(2) ...

Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes

§ 6. (1) (Verfassungsbestimmung) Auf das Verfahren der Verwaltungsgerichte sind die § 1 bis 5 dann sinngemäß anzuwenden, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist.

(2) ...

Inkrafttreten und Außerkrafttreten

§ 9. ...

(3) Der Titel, § 1 Abs. 1 zweiter bis letzter Satz und Abs. 1a und § 2 samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 24/2020 treten mit in Kraft.

...“

16Ausweislich der Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (zu BGBl. I Nr. 24/2020; IA 403/A, 27. GP, S. 26) findet die in § 2 Abs. 1 Z 3 COVID-19-VwBG „vorgeschlagene Hemmung der Verjährungsfristen“ auch auf § 43 VwGVG Anwendung. Die 15-Monate-Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG gilt daher im Kontext des COVID-19-VwBG nach dem expliziten Willen des Gesetzgebers als „Verjährungsfrist“ im Sinne dessen § 2 Abs. 1 Z 3. Die im zweiten Satz des § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG vorgesehene Verlängerung der Fristhemmung für „Entscheidungsfristen“ im Sinne der Z 2 leg. cit. (vgl. dazu ) kommt hinsichtlich der Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG daher nicht zum Tragen (vgl. im Übrigen zum Charakter der 15-Monate-Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG als Entscheidungsfrist , sowie z.B. , und , Ra 2019/17/0032).

17Sind seit dem Einlangen einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde des Beschuldigten gegen ein Straferkenntnis bei der Behörde 15 Monate vergangen, tritt es gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG von Gesetzes wegen außer Kraft; das Verfahren ist einzustellen. Entscheidet das Verwaltungsgericht über ein nach Ablauf der 15-monatigen Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG von Gesetzes wegen außer Kraft getretenes verwaltungsbehördliches Straferkenntnis, so belastet es dadurch sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts. Die Zustellung an die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde, der nach § 18 VwGVG Parteistellung im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zukommt, bewirkt die rechtswirksame und rechtzeitige Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts (vgl. zu allem etwa , mwN).

18Im vorliegenden Fall ist die (zulässige und rechtzeitige) Beschwerde des Revisionswerbers gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom bei dieser am eingelangt.

19Durch die Hemmung wird die Verjährungsfrist um so viele Tage verlängert, als der die Hemmung bewirkende Zustand bestanden hat. Mit Ablauf des hemmenden Ereignisses läuft daher die Verjährungsfrist weiter. Sie ist so zu berechnen, als ob sie um die Dauer des Hemmungszeitraumes verlängert worden wäre (vgl. , mwN).

20Die 15-Monate-Frist gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG endete unter Hinzurechnung des vierzigtägigen Hemmungszeitraumes gemäß § 2 Abs. 1 Z 3 COVID-19-VwBG daher am Samstag den . Gemäß § 33 Abs. 2 AVG ist jedoch, wenn das Ende der Frist auf einen Samstag fällt, der nächste Tag, der kein Samstag, Sonntag oder gesetzlicher Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember ist, als letzter Tag der Frist anzusehen (vgl. auch dazu - im Zusammenhang mit dem Ablauf der Frist des § 43 Abs. 1 VwGVG - VwGH Ra 2017/17/0456; vgl. auch ). Der letzte Tag der Frist war im vorliegenden Fall daher Dienstag, der .

21Das gegenständliche Erkenntnis des Verwaltungsgerichts wurde erst nach diesem Zeitpunkt erlassen, nämlich durch Zustellung an die belangte Behörde am . Das Straferkenntnis der belangten Behörde vom war daher im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (am ) bereits gemäß § 43 Abs. 1 VwGVG außer Kraft getreten; das Strafverfahren wäre daher vollumfänglich einzustellen gewesen.

22Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu (vgl. auch dazu VwGH Ra 2017/17/0456).

23Das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts war daher dahingehend abzuändern, dass das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Revisionswerber (auch) im Umfang der in Beschwerde gezogenen Spruchpunkte 1., 2., 4., 5., und 7. - 15. des verwaltungsbehördlichen Straferkenntnisses vom einzustellen war, weil dieses Straferkenntnis im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts bereits außer Kraft getreten war.

24Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020100174.L00

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