VwGH vom 22.03.2021, Ra 2020/10/0036
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des Arbeitskreises K in E, vertreten durch Dr. Lorenz Edgar Riegler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , KLVwG-1226/5/2019, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg; mitbeteiligte Partei: b GmbH in S, vertreten durch die Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Kärnten hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten (Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg vom , mit dem der mitbeteiligten Partei die naturschutzbehördliche Bewilligung zur Errichtung von sechs Windkraftanlagen samt Zufahrtsstraße auf näher genannten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen, Bedingungen und Befristungen erteilt worden war, zurückgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, eine Parteistellung oder Beschwerdemöglichkeit von Umweltorganisationen sei im Kärntner Naturschutzgesetz 2002 (K-NSG 2002) nicht vorgesehen. Die revisionswerbende Partei sei eine nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannte Umweltorganisation, deren sachlicher und räumlicher Tätigkeitsbereich sich auf das gegenständliche Verfahren erstrecke. Es komme der Umweltorganisation daher grundsätzlich in unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention eine Beschwerdelegitimation zu. Die belangte Behörde habe in Ermangelung eigener innerstaatlicher Regelungen für die Zustellung an Umweltorganisationen hierbei in unionsrechtskonformer Auslegung auf § 25 Zustellgesetz (ZustellG) zurückgegriffen. Der Bescheid sei - zusätzlich zur Zustellung an alle Parteien - vom bis zum gemäß § 25 Abs. 1 ZustellG an der Amtstafel der belangten Behörde angeschlagen gewesen. Ergänzend dazu sei er auch auf der Homepage der belangten Behörde veröffentlicht worden. Spätestens mit gelte der angefochtene Bescheid gegenüber jedermann als zugestellt. Die Beschwerdefrist sei daher spätestens mit abgelaufen. Die erst im April 2019 eingebrachte Beschwerde sei somit zweifelsohne verfristet und als unzulässig zurückzuweisen.
3Ungeachtet dessen müsse - aufgrund von im angefochtenen Beschluss näher dargelegten Umständen - davon ausgegangen werden, dass die revisionswerbende Partei, die sich laut ihrer Homepage seit Jahrzehnten intensiv für die Belange des Naturschutzes im Bereich K einsetze, schon Monate vor Beschwerdeerhebung vom Bescheid Kenntnis erlangt habe. Das bewusste Zuwarten mit der Beschwerdeerhebung trotz ordnungsgemäßer Kundmachung und Zustellung des Bescheides sowie bereits langer Kenntnis von der Existenz desselben wäre als rechtsmissbräuchlich im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) anzusehen.
4In der Beschwerde fänden sich auch keine Angaben zu ihrer Rechtzeitigkeit obwohl diese erforderlich seien, um die fristgerechte Einbringung beurteilen zu können. Diese seien jedoch nicht erforderlich, wenn schon aufgrund der Aktenlage keine Zweifel an der (mangelnden) Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung bestünden. Bereits aufgrund der Aktenlage, insbesondere der Kundmachung des Bescheides iSd § 25 Abs. 1 ZustellG, bestünden keine Zweifel daran, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig erhoben worden sei, weshalb die Erteilung eines Verbesserungsauftrags habe unterbleiben können.
5Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6Die Revision erweist sich bereits im Hinblick auf die von der revisionswerbenden Partei als grundsätzlich bedeutsam im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfene Frage der Zulässigkeit der Zustellung nach § 25 ZustellG als zulässig und berechtigt.
7§ 25 Zustellgesetz (ZustellG), BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 33/2013, lautet:
„Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung
§ 25. (1) Zustellungen an Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, können, wenn es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und nicht gemäß § 8 vorzugehen ist, durch Kundmachung an der Amtstafel, daß ein zuzustellendes Dokument bei der Behörde liegt, vorgenommen werden. Findet sich der Empfänger zur Empfangnahme des Dokuments (§ 24) nicht ein, so gilt, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die Zustellung als bewirkt, wenn seit der Kundmachung an der Amtstafel der Behörde zwei Wochen verstrichen sind.
(2) Die Behörde kann die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise ergänzen.“
8Das Verwaltungsgericht begründete die Zurückweisung der Beschwerde der revisionswerbenden Partei damit, dass eine Zustellung gemäß § 25 Abs. 1 ZustellG durch Kundmachung an der Amtstafel der belangten Behörde erfolgt sei. Die Beschwerdefrist sei daher spätestens mit abgelaufen und die erst im April 2019 eingebrachte Beschwerde verfristet.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt betont, dass an die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung als ultima ratio ein strenger Maßstab anzulegen ist, da mit der Zustellung für die Partei in der Regel weitreichende Rechtsfolgen, insbesondere der Beginn von Fristen, verbunden ist. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ist daher als Ausnahmefall zu betrachten (vgl. ; , 95/04/0201).
10Die Zustellung an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, kommt dann in Betracht, wenn es Personen gibt, deren spezifische Funktion im Verfahren der Behörde nicht bekannt ist. Wenn die Behörde also auf Grund des ihr zur Verfügung stehenden Wissens diese Personen nicht einer bestimmten Rolle in einem Verfahren zuordnen kann. Aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit ist abzuleiten, dass die Behörde Erhebungen anzustellen hat, ob und welche Personen in Betracht kommen. Nur wenn bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt eine Aufklärung nicht möglich ist, darf die Behörde nach § 25 ZustellG vorgehen (vgl. Walter/Mayer, Das österreichische Zustellrecht [1983] ZustellG § 25 Anm 7; Wessely in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely (Hrsg) Österreichisches Zustellrecht² [2011] § 25 Rz 3).
11Weder dem angefochtenen Beschluss noch dem Akteninhalt ist entnehmbar, dass die Behörde diesbezüglich Erhebungen angestellt hätte. Vergleichbar jenen Fällen, in denen der Aufenthalt einer Person durch Meldeauskünfte oder Personenbefragungen (vgl. erneut ; , 95/04/0201) ermittelt werden muss, hätte die Behörde im konkreten Fall in die Liste der gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 in Kärnten anerkannten Umweltorganisationen Einsicht nehmen können. Die Behörde hat jedoch jegliche dahingehenden Ermittlungsschritte unterlassen. Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach § 25 Abs. 1 ZustellG ist eine rechtswirksame Zustellung des Bescheides im Wege der Kundmachung nicht erfolgt (vgl. ).
12Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Beschluss alternativ aufgrund näher dargelegter Anhaltspunkte davon aus, dass die revisionswerbende Partei trotz früher Kenntnis von der Erlassung des naturschutzbehördlichen Bewilligungsbescheides die Beschwerde erst Monate später erhoben habe, worin ein unionsrechtlich verbotener Rechtsmissbrauch zu erkennen sei.
13Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung eines Missbrauchs zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setzt sie ein subjektives Element voraus, nämlich die aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtliche Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. etwa Kratzer, C-423/15, Rn. 39f; , SICES, C-155/13, Rn. 32f; , Emsland-Stärke GmbH, C-110/99, Rn. 52f).
14Im Urteil vom , Diamantis, C-373/97, hat der EuGH überdies zur Frage der missbräuchlichen Rechtsausübung ausdrücklich festgehalten, dass ein Missbrauch nicht deshalb anzunehmen ist, weil der Kläger vor Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen (Rn. 44).
15Entsprechend dieser Judikatur kann die Tatsache einer nicht zeitnah nach Kenntniserlangung von der Bescheiderlassung erfolgten Beschwerdeerhebung allein noch keine Missbrauchsabsicht dokumentieren. Die allein darauf gestützte Alternativbegründung des Verwaltungsgerichtes erweist sich daher nicht als zutreffend.
16Indem das Verwaltungsgericht die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung als rechtswirksam erachtete und deshalb die Beschwerde als verspätet zurückwies, verkannte es die Rechtslage und belastete den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
17Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen.
18Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
19Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020100036.L00 |
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