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VwGH 26.06.2020, Ra 2020/10/0036

VwGH 26.06.2020, Ra 2020/10/0036

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
VwGG §30 Abs2
31992L0043 FFH-RL
RS 1
Nichtstattgebung - Zurückweisung einer Beschwerde in einer naturschutzrechtlichen Angelegenheit - Bei der Beurteilung des Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs. 2 VwGG ist im Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH-Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die Arterhaltung zu berücksichtigen (vgl. ). Davon ausgehend wird mit dem bloßen Verweis auf die "Tötung von richtliniengeschützten Individuen" ohne nähere Darlegungen zu den diesbezüglichen konkreten Auswirkungen auf die lokale Population unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes und der Arterhaltung ein unverhältnismäßiger Nachteil im genannten Sinne nicht aufgezeigt. Zudem hat die antragstellende Partei auch nicht (konkret) dargelegt, inwiefern eine Wiederbesiedlung des betroffenen Gebietes mit verbliebenen Individuen jedenfalls unmöglich wäre (vgl. abermals , mit Verweis auf ). Es wurde daher nicht konkret aufgezeigt, dass - bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung - den geschützten Gütern für die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof aus der Umsetzung des angefochtenen Beschlusses konkrete Nachteile in qualitativer wie quantitativer Hinsicht in einem solchen Ausmaß drohten, dass sie die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG überstiegen (vgl. wiederum , mit Verweis auf ; , AW 2013/05/0011; , AW 2011/10/0016).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie Ra 2020/10/0035 B RS 2 (hier nur der erste Satz)
Norm
ZustG §25 Abs1
RS 1
Da mit der Zustellung für die Partei in der Regel weitreichende Rechtsfolgen, insbesondere der Beginn von Fristen, verbunden sind, ist die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung als ein Ausnahmefall zu betrachten. Es ist bei dieser Zustellungsform als "ultima ratio" ein eher strenger Maßstab anzulegen (Hinweis E , 97/08/0564).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2003/11/0056 E RS 1
Normen
AVG §39 Abs2
AVG §8
NatSchG Krnt 2002
UVPG 2000 §19 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
ZustG §25
RS 2
Die Zustellung an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, kommt dann in Betracht, wenn es Personen gibt, deren spezifische Funktion im Verfahren der Behörde nicht bekannt ist. Wenn die Behörde also auf Grund des ihr zur Verfügung stehenden Wissens diese Personen nicht einer bestimmten Rolle in einem Verfahren zuordnen kann. Aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit ist abzuleiten, dass die Behörde Erhebungen anzustellen hat, ob und welche Personen in Betracht kommen. Nur wenn bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt eine Aufklärung nicht möglich ist, darf die Behörde nach § 25 ZustG vorgehen. Vergleichbar mit jenen Fällen, in denen der Aufenthalt einer Person durch Meldeauskünfte oder Personenbefragungen (vgl. ; , 95/04/0201) ermittelt werden muss, hätte die Behörde im Verfahren betreffend Zurückweisung der Beschwerde einer Umweltorganisation i.A. Krnt NatSchG 2002 mangels Parteistellung in die Liste der gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 in Kärnten anerkannten Umweltorganisationen Einsicht nehmen können. Die Behörde hat jedoch jegliche dahingehenden Ermittlungsschritte unterlassen. Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach § 25 Abs. 1 ZustellG ist eine rechtswirksame Zustellung des Bescheides im Wege der Kundmachung nicht erfolgt (vgl. ).
Normen
AVG §8
B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art132 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
61997CJ0373 Diamantis VORAB
61999CJ0110 Emsland-Stärke VORAB
62013CJ0155 SICES VORAB
62015CJ0423 Kratzer VORAB
RS 3
Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung eines Missbrauchs zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setzt sie ein subjektives Element voraus, nämlich die aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtliche Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. Kratzer, C-423/15; , SICES, C-155/13; , Emsland-Stärke GmbH, C-110/99). Eine missbräuchliche Rechtsausübung ist nicht deshalb anzunehmen, weil der Kläger vor Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen (vgl. Diamantis, C-373/97). Entsprechend dieser Judikatur kann die Tatsache einer nicht zeitnah nach Kenntniserlangung von der Bescheiderlassung erfolgten Beschwerdeerhebung allein noch keine Missbrauchsabsicht dokumentieren.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des Arbeitskreises K, vertreten durch Dr. Lorenz Edgar Riegler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, der gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , Zl. KLVwG-1226/5/2019, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg; mitbeteiligte Partei: b GmbH, vertreten durch die Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 19), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg vom , mit dem der mitbeteiligten Partei die naturschutzbehördliche Bewilligung zur Errichtung von sechs Windkraftanlagen samt Zufahrtsstraße auf näher genannten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen, Bedingungen und Befristungen erteilt worden war, als verspätet zurückgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Mit der gegen diesen Beschluss an den Verwaltungsgerichtshof erhobenen außerordentlichen Revision ist der Antrag verbunden, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründet wird dieser Antrag zusammengefasst damit, dass es kein tatsächliches öffentliches Interesse an der Errichtung von Windkraftanlagen gebe, weil sie keinen nennenswerten Anteil am Energieverbrauch abdecken könnten, während sie demgegenüber erhebliche Biodiversitätsschäden anrichteten.

3 Im Projektgebiet seien schon mit dem zu geringen Erhebungsumfang zwölf Fledermausarten festgestellt worden. Für die Fledermäuse als gefährdetster Säugetiergruppe in der EU stellten Windkraftanlagen die häufigste anthropogen verursachte Todesursache dar, wobei die Anzahl der Tötungen überproportional mit der Größe der Anlage steige. Es seien andere Anlagentypen beantragt und bewilligt worden, die eine weitaus größere Todeszone für die Fledermäuse mit sich brächten. Obendrein seien Windparks in und um Waldgebiete von vornherein unzulässig, weil die Anzahl der Tötungen pro MW hier noch wesentlich höher sei. Im Bereich von Windparks und deren Umgebung komme es durch störungsbedingtes Meideverhalten zu erheblichen Lebensraumbeeinträchtigungen und -verlust, was mit Art. 12 der FFH-RL unvereinbar sei. Im Fall des vorliegenden Windparks Z seien davon mindestens 801 Hektar bislang genutztes Fledermaushabitat betroffen, kumulativ kämen tausende von Hektar durch weitere geplante und bewilligte Windparks allein im X-Almgebiet hinzu. Vor diesem Hintergrund sei jede weitere Verschlechterung der (derzeit noch vorhandenen intakten) Lebensräume der Fledermäuse und jede weitere Tötung erheblich.

4 Nachteilige Wirkungen auch auf das entfernt liegende Natura 2000-Gebiet könnten keinesfalls ausgeschlossen werden.

5 Insekten, die ganz unten in der Nahrungskette stünden und deren Bestände bereits um mehr als 40 bis zu 96 % gesunken seien, seien ebenfalls durch Windkraftanlagen von Tötungen am Flug gefährdet (mindestens fünf Prozent). Das Verschwinden der Insekten führe zwangsläufig zu Reproduktionsausfall und Bestandsrückgängen bei von ihnen abhängigen Artengruppen wie Vögel und Fledermäuse.

6 Das Windparkprojekt befinde sich in einem Kreuzungspunkt von Wildtiermigrationskorridoren. Der letzte verbliebene Wildtier-Migrationskorridor in Nord-Süd-Richtung zwischen Osttirol und dem Burgenland für zum Teil äußerst seltene und prioritär zu schützende Arten des Anhangs II und IV der FFH-RL werde damit stark verschlechtert oder unterbrochen und in Kumulation mit den weiteren geplanten und teilweise bereits bewilligten und errichteten Windparks im X-Almgebiet zerstört. Damit werde auch das kohärent zu errichtende Netzwerk Natura 2000 erheblich geschädigt, der genetische Austausch und die verpflichtende Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes für viele Arten erschwert oder unmöglich gemacht.

7 Die im Projektgebiet lebende Regionalpopulation des Birkhuhns, die schon vor der Errichtung von Windparks von Verinselung und letztlichem Aussterben bedroht gewesen sei, sei nach einhelliger nationaler und internationaler Fachmeinung vom Erlöschen bedroht, zumal das Verbreitungsgebiet - wie auch durch das gegenständliche Projekt - irreversibel abnehme. Auch werde die Vernetzung der österreichischen mit der slowenischen, verletzlichen Birkhuhnpopulation endgültig unterbrochen, zumal ein weiterer Windpark in einem Birkhuhnhabitat errichtet werden solle.

8 Es müsse auch mit dem Erlöschen weiterer Bestände von bereits im X.-Almgebiet zurückgegangenen Raufußhuhnarten (Haselhuhn, Auerhuhn, Alpenschneehuhn) gerechnet werden. Das Alpenschneehuhn zum Beispiel, vor der Windparkerrichtung mit drei Revieren im Projektgebiet des Windparks Y-Alm vertreten, sei dort inzwischen nicht mehr nachweisbar.

9 Die Schädigungen, die durch die Errichtung und den Betrieb des Windparks entstünden, seien langanhaltend und großteils irreversibel. Ohne aufschiebende Wirkung könne die Projektwerberin mit den Rodungen, dem Bau der Zufahrtsstraßen und der Stromableitung sowie der Errichtung der Windkraftanlagen beginnen, dies mit den beschriebenen Folgen und damit der erheblichen Schädigung bzw. Vernichtung der zu erhaltenden Habitate der zu schützenden Arten und gefährdeter Biotope und Lebensräume von gemeinschaftlicher Bedeutung. Die Errichtung des Windparks liege nicht, schon gar nicht im hoch zu bewertenden öffentlichen Interesse, sondern vielmehr im privaten Interesse der Betreiber, das gegen das vom Revisionswerber zu vertretende Interesse der Öffentlichkeit an der Erhaltung und Wiederherstellung der bereits weit über den noch beherrschbaren Bereich hinaus zerstörten Biodiversität als Grundlage allen Lebens, zu deren weiterer irreversibler Zerstörung das gegenständliche Projekt bei Realisierung beitrage, abzuwägen sei.

10 Die mitbeteiligte Partei sprach sich gegen die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung aus.

11 Gemäß § 30 Abs. 2 erster Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof ab Vorlage der Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

12 Als „unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber“ ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von der Umweltorganisation zu vertretenden, sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften ergebenden Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen (vgl. im Zusammenhang mit Verfahren nach dem UVP-G 2000  bis 0150; , Ra 2018/04/0179; , Ra 2018/03/0066 bis 0068). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung des Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs. 2 VwGG im Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH-Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die Arterhaltung zu berücksichtigen ist (vgl. nochmals  bis 0068).

13 Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist es grundsätzlich erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt (vgl. ; , Ra 2019/06/0148 bis 0150; , Ro 2019/04/0021; , Ra 2019/04/0111 und 0112). Bei der Beurteilung, ob ein Eingriff in die von Umweltschutzvorschriften geschützten Interessen einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG darstellt, ist unter anderem maßgeblich, inwieweit die Folgen des Eingriffes im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beseitigt werden können, wobei den Antragsteller eine Konkretisierungspflicht trifft. Die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteile die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, hängt somit von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben über die Wiederherstellung des vorigen Zustandes ab (vgl. ; , Ra 2019/04/0094 bis 0101; , Ra 2015/03/0058; , AW 2009/10/0054).

14 Eine Auseinandersetzung mit der Frage der Vollzugstauglichkeit des angefochtenen Erkenntnisses kann unterbleiben, weil es dem Revisionswerber - selbst unter Zugrundelegung seiner Auffassung, es läge kein oder kein hohes Interesse an der Errichtung der gegenständlichen Windkraftanlagen, sondern lediglich ein privates Interesse der mitbeteiligten Partei vor - nicht gelingt konkret aufzuzeigen, worin der unverhältnismäßige Nachteil durch die Ausübung der der mitbeteiligten Partei eingeräumten Berechtigung läge:

15 Die belangte Behörde (der angefochtene Beschluss beinhaltet gerade keine inhaltliche Entscheidung, weil die Beschwerde des Revisionswerbers zurückgewiesen wurde) führte in Bezug auf Fledermäuse aus, dass insgesamt zwölf im Anhang II der FFH-RL angeführte Fledermausarten im Untersuchungsgebiet vorkämen. Zur Reduktion der Opferzahl (durch Kollision oder Barotrauma) sei auflagengemäß ein Abschaltlogarithmus vorgeschrieben, der ab dem zweiten Betriebsjahr, ausgehend von dem über insgesamt vier Jahre durchzuführenden Monitoring, anzupassen sei. Dadurch sei eine nachhaltige nachteilige Beeinträchtigung des Bestandes nicht zu erwarten.

16 Den auf die Gefährdung des Fledermausbestandes bezogenen, pauschalen Ausführungen des Revisionswerbers lässt sich weder entnehmen, von welchem quantitativen Bestand an richtliniengeschützten Fledermäusen auszugehen ist, noch, welche konkrete Auswirkung die Umsetzung des Vorhabens auf den Bestand hätte, noch, weshalb der vorgesehene Abschaltlogarithmus nicht geeignet ist, eine nachhaltige Schädigung der Fledermauspopulation zu verhindern. Mit diesem Vorbringen wird daher weder der drohende Nachteil für den Revisionswerber konkret dargelegt, noch enthält es Ausführungen zur Wiederherstellbarkeit des vorigen Zustandes.

17 Welche konkreten Auswirkungen die angesprochene Beeinträchtigung des Nahrungsangebotes auf die im Projektgebiet lebende Tierwelt hat, die die Unverhältnismäßigkeit des mit der Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung während der Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof für den Revisionswerber verbundenen Nachteils darlegen könnte, lässt sich den diesbezüglichen Ausführungen ebenfalls nicht entnehmen.

18 Was die drohende Bestandsabnahme bis hin zum Erlöschen der Birkhuhn- und anderer Raufußhuhnartenpopulationen (Haselhuhn, Auerhuhn, Alpenschneehuhn) und die „starke Verschlechterung“ oder Unterbrechung des im Projektgebiet liegenden Wildtier-Migrationskorridors mit der Folge der Beeinträchtigung oder des Wegfalls der Durchmischung mit anderen Populationen betrifft, so legen die Antragsausführungen nicht konkret dar, inwiefern eine wesentliche Beeinträchtigung der vom Revisionswerber wahrzunehmenden Interessen infolge Realisierung des bewilligten Projektes bereits während der Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof konkret zu befürchten wäre.

19 Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war daher schon deshalb nicht stattzugeben, weil der Revisionswerber den ihm entstehenden unverhältnismäßigen Nachteil nicht ausreichend konkretisiert dargelegt hat.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des Arbeitskreises K in E, vertreten durch Dr. Lorenz Edgar Riegler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 124/15, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , KLVwG-1226/5/2019, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. des Kärntner Naturschutzgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg; mitbeteiligte Partei: b GmbH in S, vertreten durch die Eisenberger + Herzog Rechtsanwalts GmbH in 9020 Klagenfurt, Sterneckstraße 19), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Kärnten hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten (Verwaltungsgericht) wurde die Beschwerde der revisionswerbenden Partei gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg vom , mit dem der mitbeteiligten Partei die naturschutzbehördliche Bewilligung zur Errichtung von sechs Windkraftanlagen samt Zufahrtsstraße auf näher genannten Grundstücken unter Vorschreibung von Auflagen, Bedingungen und Befristungen erteilt worden war, zurückgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, eine Parteistellung oder Beschwerdemöglichkeit von Umweltorganisationen sei im Kärntner Naturschutzgesetz 2002 (K-NSG 2002) nicht vorgesehen. Die revisionswerbende Partei sei eine nach § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 anerkannte Umweltorganisation, deren sachlicher und räumlicher Tätigkeitsbereich sich auf das gegenständliche Verfahren erstrecke. Es komme der Umweltorganisation daher grundsätzlich in unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts vor dem Hintergrund von Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention eine Beschwerdelegitimation zu. Die belangte Behörde habe in Ermangelung eigener innerstaatlicher Regelungen für die Zustellung an Umweltorganisationen hierbei in unionsrechtskonformer Auslegung auf § 25 Zustellgesetz (ZustellG) zurückgegriffen. Der Bescheid sei - zusätzlich zur Zustellung an alle Parteien - vom bis zum gemäß § 25 Abs. 1 ZustellG an der Amtstafel der belangten Behörde angeschlagen gewesen. Ergänzend dazu sei er auch auf der Homepage der belangten Behörde veröffentlicht worden. Spätestens mit gelte der angefochtene Bescheid gegenüber jedermann als zugestellt. Die Beschwerdefrist sei daher spätestens mit abgelaufen. Die erst im April 2019 eingebrachte Beschwerde sei somit zweifelsohne verfristet und als unzulässig zurückzuweisen.

3 Ungeachtet dessen müsse - aufgrund von im angefochtenen Beschluss näher dargelegten Umständen - davon ausgegangen werden, dass die revisionswerbende Partei, die sich laut ihrer Homepage seit Jahrzehnten intensiv für die Belange des Naturschutzes im Bereich K einsetze, schon Monate vor Beschwerdeerhebung vom Bescheid Kenntnis erlangt habe. Das bewusste Zuwarten mit der Beschwerdeerhebung trotz ordnungsgemäßer Kundmachung und Zustellung des Bescheides sowie bereits langer Kenntnis von der Existenz desselben wäre als rechtsmissbräuchlich im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) anzusehen.

4 In der Beschwerde fänden sich auch keine Angaben zu ihrer Rechtzeitigkeit obwohl diese erforderlich seien, um die fristgerechte Einbringung beurteilen zu können. Diese seien jedoch nicht erforderlich, wenn schon aufgrund der Aktenlage keine Zweifel an der (mangelnden) Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung bestünden. Bereits aufgrund der Aktenlage, insbesondere der Kundmachung des Bescheides iSd § 25 Abs. 1 ZustellG, bestünden keine Zweifel daran, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig erhoben worden sei, weshalb die Erteilung eines Verbesserungsauftrags habe unterbleiben können.

5 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revision erweist sich bereits im Hinblick auf die von der revisionswerbenden Partei als grundsätzlich bedeutsam im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfene Frage der Zulässigkeit der Zustellung nach § 25 ZustellG als zulässig und berechtigt.

7 § 25 Zustellgesetz (ZustellG), BGBl. Nr. 200/1982 idF BGBl. I Nr. 33/2013, lautet:

Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung

§ 25. (1) Zustellungen an Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist, oder an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, können, wenn es sich nicht um ein Strafverfahren handelt, kein Zustellungsbevollmächtigter bestellt ist und nicht gemäß § 8 vorzugehen ist, durch Kundmachung an der Amtstafel, daß ein zuzustellendes Dokument bei der Behörde liegt, vorgenommen werden. Findet sich der Empfänger zur Empfangnahme des Dokuments (§ 24) nicht ein, so gilt, wenn gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die Zustellung als bewirkt, wenn seit der Kundmachung an der Amtstafel der Behörde zwei Wochen verstrichen sind.

(2) Die Behörde kann die öffentliche Bekanntmachung in anderer geeigneter Weise ergänzen.“

8 Das Verwaltungsgericht begründete die Zurückweisung der Beschwerde der revisionswerbenden Partei damit, dass eine Zustellung gemäß § 25 Abs. 1 ZustellG durch Kundmachung an der Amtstafel der belangten Behörde erfolgt sei. Die Beschwerdefrist sei daher spätestens mit abgelaufen und die erst im April 2019 eingebrachte Beschwerde verfristet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt betont, dass an die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung als ultima ratio ein strenger Maßstab anzulegen ist, da mit der Zustellung für die Partei in der Regel weitreichende Rechtsfolgen, insbesondere der Beginn von Fristen, verbunden ist. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung ist daher als Ausnahmefall zu betrachten (vgl. ; , 95/04/0201).

10 Die Zustellung an eine Mehrheit von Personen, die der Behörde nicht bekannt sind, kommt dann in Betracht, wenn es Personen gibt, deren spezifische Funktion im Verfahren der Behörde nicht bekannt ist. Wenn die Behörde also auf Grund des ihr zur Verfügung stehenden Wissens diese Personen nicht einer bestimmten Rolle in einem Verfahren zuordnen kann. Aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit ist abzuleiten, dass die Behörde Erhebungen anzustellen hat, ob und welche Personen in Betracht kommen. Nur wenn bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt eine Aufklärung nicht möglich ist, darf die Behörde nach § 25 ZustellG vorgehen (vgl. Walter/Mayer, Das österreichische Zustellrecht [1983] ZustellG § 25 Anm 7; Wessely in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely (Hrsg) Österreichisches Zustellrecht² [2011] § 25 Rz 3).

11 Weder dem angefochtenen Beschluss noch dem Akteninhalt ist entnehmbar, dass die Behörde diesbezüglich Erhebungen angestellt hätte. Vergleichbar jenen Fällen, in denen der Aufenthalt einer Person durch Meldeauskünfte oder Personenbefragungen (vgl. erneut ; , 95/04/0201) ermittelt werden muss, hätte die Behörde im konkreten Fall in die Liste der gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000 in Kärnten anerkannten Umweltorganisationen Einsicht nehmen können. Die Behörde hat jedoch jegliche dahingehenden Ermittlungsschritte unterlassen. Mangels Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung nach § 25 Abs. 1 ZustellG ist eine rechtswirksame Zustellung des Bescheides im Wege der Kundmachung nicht erfolgt (vgl. ).

12 Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Beschluss alternativ aufgrund näher dargelegter Anhaltspunkte davon aus, dass die revisionswerbende Partei trotz früher Kenntnis von der Erlassung des naturschutzbehördlichen Bewilligungsbescheides die Beschwerde erst Monate später erhoben habe, worin ein unionsrechtlich verbotener Rechtsmissbrauch zu erkennen sei.

13 Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung eines Missbrauchs zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setzt sie ein subjektives Element voraus, nämlich die aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtliche Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. etwa Kratzer, C-423/15, Rn. 39f; , SICES, C-155/13, Rn. 32f; , Emsland-Stärke GmbH, C-110/99, Rn. 52f).

14 Im Urteil vom , Diamantis, C-373/97, hat der EuGH überdies zur Frage der missbräuchlichen Rechtsausübung ausdrücklich festgehalten, dass ein Missbrauch nicht deshalb anzunehmen ist, weil der Kläger vor Klageerhebung eine gewisse Zeit hat verstreichen lassen (Rn. 44).

15 Entsprechend dieser Judikatur kann die Tatsache einer nicht zeitnah nach Kenntniserlangung von der Bescheiderlassung erfolgten Beschwerdeerhebung allein noch keine Missbrauchsabsicht dokumentieren. Die allein darauf gestützte Alternativbegründung des Verwaltungsgerichtes erweist sich daher nicht als zutreffend.

16 Indem das Verwaltungsgericht die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung als rechtswirksam erachtete und deshalb die Beschwerde als verspätet zurückwies, verkannte es die Rechtslage und belastete den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17 Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen.

18 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

19 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

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Normen
VwGG §30 Abs2
31992L0043 FFH-RL
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020100036.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAE-86707