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VwGH vom 02.05.2012, 2011/08/0326

VwGH vom 02.05.2012, 2011/08/0326

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des K M in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Hans Spohn, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Große Neugasse 38, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2011-0566-9-001252, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde gegenüber dem Beschwerdeführer für nähere angeführte Zeiträume zwischen und die Bemessung der täglichen Notstandshilfe berichtigt sowie vom Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 1 iVm § 38 AlVG der dadurch entstandene Übergenuss an unberechtigt empfangener Notstandshilfe in Höhe von EUR 5.777,48 rückgefordert.

In der Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde - soweit im Beschwerdefall von Bedeutung - nach Darlegung des Verfahrensganges im Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer, der seit mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehe, bei seiner Antragsstellung auf Notstandshilfe mit Geltendmachung als Familienstand "Lebensgemeinschaft" und bei der Frage nach seinen Angehörigen im gemeinsamen Haushalt seinen Sohn P bzw. als seine Lebensgefährtin A angegeben habe; bei der Frage 12 (des von ihm eigenhändig unterschriebenen bundeseinheitlichen Antrages) nach erhöhten Aufwendungen im gemeinsamen Haushalt aus Anlass von Krankheit in der Familie, Schwangerschaft, Todesfall und Rückzahlungsverpflichtungen sei ein handschriftlicher Vermerk "Privatkonkurs" und bei der Höhe "3000,- / anno" ersichtlich.

Bei seiner Antragsstellung auf Notstandshilfe mit Geltendmachung habe der Beschwerdeführer als Familienstand "verheiratet" und bei der Frage nach seinen Angehörigen im gemeinsamen Haushalt seinen Sohn P und als seine Ehefrau A angeführt; zur Frage 12 dieses Antrages nach erhöhten Aufwendungen im gemeinsamen Haushalt aus Anlass von Krankheit in der Familie, Schwangerschaft, Todesfall und Rückzahlungsverpflichtungen sei ein handschriftlicher Vermerk "Hausstandgründung" und "Rückzahlungen bei der SVA + Finanzamt" ersichtlich. Bei seiner weiteren Antragsstellung auf Notstandshilfe mit Geltendmachung haben er ebenfalls als Familienstand "verheiratet" und bei der Frage nach Ihren Angehörigen im gemeinsamen Haushalt ebenfalls seinen Sohn P bzw. A als Ehefrau angegeben.

Auf Grundlage der vom Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk übermittelten Einkommensteuerbescheide von A für die Jahre 2007 und 2008, in denen Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb sowie Sonderausgaben und die Einkommensteuer ausgewiesen waren, errechnete die belangte Behörde ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von A im Jahr 2007 von EUR 902,04 und im Jahr 2008 von EUR 1.196, 93. Darüber hinaus traf sie Feststellungen zu Einkünften von A aufgrund deren unselbständiger Tätigkeit als Lehrbeauftragte an der Wirtschaftsuniversität Wien zwischen Jänner 2007 und September 2009.

Davon ausgehend legte die belangte Behörde neben Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen detailliert - jeweils unter Berücksichtigung eines Werbekostenpauschales sowie der Freigrenzen für ein Kind und den (Ehe)Partner - ihre Berechnung der täglichen Anrechnungsbeträge für den Notstandshilfebezug zu den jeweiligen Leistungszeiträumen und den aus der Neubemessung resultierenden Übergenuss dar.

Zur Annahme des Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 AlVG setzte sie fort, dass der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten sei, wenn sie ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommenssteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergebe, dass die Leistungen nicht oder nicht in diesem Umfang gebühre. Bezüglich des Berufungseinwandes des Beschwerdeführers, dass der Tod seiner Mutter am ihm jede finanzielle Grundversorgung entzogen habe, wurde ausgeführt, dass der gegenständliche Sachverhalt dadurch nicht berührt werde. Dem Einwand, dass sich seine gesundheitliche Situation zusehends verschlechtert habe, wurde entgegnet, dass es mangels seiner Mitwirkungspflicht nicht möglich gewesen sei, seine gesundheitliche Situation zu überprüfen; dem weiteren Einwand, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebe, wurde erwidert, dass er in den von ihm eigenhändig unterschriebenen Anträgen jeweils die angeführte Adresse als Wohnadresse von ihm und seiner Gattin angegeben habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Nach § 25 Abs. 1 leg. cit. ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Gemäß § 38 Abs. 1 AlVG sind auf die Notstandshilfe die oben genannten Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.

Nach § 33 Abs. 3 leg. cit. liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.

Gemäß § 36 Abs. 2 AlVG sind in den Richtlinien über die Höhe der Notstandshilfe auch die näheren Voraussetzungen festzulegen, unter denen Notlage als gegeben anzusehen ist. Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (des Lebensgefährten) zu berücksichtigen.

§ 2 Abs. 2 NotstandshilfeV idF BGBl. Nr. 388/1989 lautet:

"(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen."

Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens- (Wohn-) Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil beiträgt. Gemäß § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie (unter anderem) auch zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Von diesem (typischen) Bild einer aufrechten Ehe darf die Behörde auch im Verwaltungsverfahren nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz grundsätzlich ausgehen, solange nicht die Parteien eine davon abweichende Lebensführung behaupten und die erforderlichen Beweismittel benennen oder beibringen. Anders würde nämlich bei Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, wie jener nach der gemeinsamen oder getrennten Haushaltsführung von Gatten, die Behörde gar nicht in der Lage sein, von sich aus eine zweckentsprechende Ermittlungstätigkeit zu entfalten. Die Behörde ist daher berechtigt, vom Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes dann weiterhin auszugehen, wenn sie die gegenteiligen Behauptungen der Partei unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse für unglaubwürdig erachtet und die von der Behörde dazu in der Begründung des Bescheides angestellten Überlegungen einer Schlüssigkeitsprüfung standhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/08/0318, mwN).

Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

Soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, hat die Behörde nach § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen; sie kann insbesondere eine mündliche Verhandlung nach den §§ 40 bis 44 von Amts wegen und auf Antrag durchführen. Gegen die Ablehnung eines solchen Antrages ist kein Rechtsmittel zulässig. Die Behörde hat sich bei allen diesen Verfügungen von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteienvorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

Gemäß § 60 AVG, der gemäß § 67 AVG für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrundegelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/07/0184). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern insoweit den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0020).

Diesen Anforderungen hält der angefochtenen Bescheid - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - schon in Bezug auf die Annahme des Bestehens eines (im Entscheidungszeitraum unveränderten) gemeinsamen Haushaltes zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin nicht stand:

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung (vom ) vorgebracht, dass ihm der erstinstanzliche Bescheid "von (seiner) Ehegattin am … übermittelt" worden sei; zu seiner familiären Situation führte er "wie dem AMS schon mehrmals mitgeteilt" aus, von seiner Ehegattin A getrennt zu leben; sie lebe in der S-gasse (in W), wo er Hauptmieter sei und welche Adresse als Zustelladresse fungiere, "im Gegenzug dazu überläßt sie (ihm) ihr kleines Haus in (B)".

Die belangte Behörde hat dazu in ihrer Bescheidbegründung lediglich ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in den Anträgen, die er zum Bezug der gegenständlichen Leistungen eigenhändig unterschrieben gestellt habe, jeweils die angeführte Adresse (gemeint wohl: S-gasse in W) als Wohnadresse von ihm und seiner Gattin angegeben habe. Allein damit vermag die belangte Behörde aber nicht nachvollziehbar darzutun, aus welchen Gründen sie angesichts der aus Mai und November 2007 bzw. November 2008 stammenden Leistungsanträge dem Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer (zwischenzeitigen?) Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes nicht folgt bzw. seine Darstellung als unglaubwürdig betrachtet und davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer im (gesamten) entscheidungswesentlichen Zeitraum mit seiner Ehegattin in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt hat (und deshalb ihr Einkommen auf seinen Notstandshilfeanspruch anzurechnen gewesen ist). Ebensowenig hat die belangte Behörde dargetan, dass der Beschwerdeführer den gemeinsamen Wohnsitz, allenfalls zur Vermeidung der Einkommensanrechnung aufgegeben hat (§ 2 Abs. 2 letzter Satz NHV).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
XAAAE-86703