VwGH vom 21.12.2011, 2011/08/0307

VwGH vom 21.12.2011, 2011/08/0307

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der D L in T, vertreten durch Mag. Christoph Arnold und Mag. Fiona Kathrin Arnold, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 2/EG, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGSTi/V/0566/-708/2011, betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde - nach Schilderung des Verfahrensganges - aus, die Beschwerdeführerin habe am , geltend für , bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Arbeitslosengeld beantragt. Die Beschwerdeführerin habe die Frage, ob sie derzeit in Beschäftigung stehe, mit "ja" beantwortet und angegeben, dass es sich um eine geringfügige Beschäftigung handle. Auch die Frage, ob sie ein eigenes Einkommen habe, habe sie mit "ja" beantwortet und ein Einkommen "aus einer geringfügigen Beschäftigung" in Höhe von EUR 330,-- angegeben. Dem Antragsformular seien eine Arbeitsbescheinigung der G KG und andererseits eine Bestätigung der Gemeinde X beigeschlossen gewesen. Die Beschwerdeführerin beziehe aus ihrer geringfügigen Beschäftigung zur Gemeinde X für die Monate Jänner bis April 2011 jeweils ein monatliches Entgelt von EUR 337,05.

Laut "Versicherungszeitenauszug" des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sei die Beschwerdeführerin seit bis laufend beim Dienstgeber Gemeinde X geringfügig beschäftigt. Im Zeitraum vom bis sei die Beschwerdeführerin beim Dienstgeber G KG vollversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Weiter sei die Beschwerdeführerin im Zeitraum vom bis laufend unter dem Qualifikationscode "B 8 Arbeiter" in der Pensionsversicherung pflichtversichert gespeichert.

Die Beschwerdeführerin habe von der G KG im Zeitraum vom

1. bis ein Bruttoentgelt in Höhe von EUR 483,18 bezogen, wovon EUR 424,05 Sonderzahlungen gewesen seien.

Die Beschwerdeführerin habe am , geltend für wiederum einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt und stehe ab im Bezug von Arbeitslosengeld.

Ob eine Person aufgrund der Bestimmungen des ASVG der Pflichtversicherung bis zum Ablauf des Kalendermonats, in dem die Voraussetzungen für die Pflichtversicherung wegfallen, unterliege, stelle eine Vorfrage gemäß § 38 AVG dar. Die Behörde sei berechtigt, diese im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfrage nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung dem Bescheid zugrunde zu legen.

Die Beschwerdeführerin habe im Monat April 2011 in Summe Leistungen in Höhe von EUR 396,18, inklusive Sonderzahlungen in Höhe von EUR 820,23 bezogen. Da das Einkommen der sich überschneidenden Dienstverhältnisse der Beschwerdeführerin im Monat April 2011 insgesamt über der Geringfügigkeitsgrenze gemäß § 5 Abs. 2 ASVG (EUR 374,02) gelegen sei, sei die Beschwerdeführerin gemäß § 53a Abs. 3 und § 471f iVm § 471h ASVG den ganzen Monat pensionsversicherungspflichtig. Dies ergebe sich auch aus dem Auszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, wonach die Pensionsversicherungspflicht seit bis laufend mit der Qualifikation "B8 Arbeiter" gespeichert sei.

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG schließe grundsätzlich jede der Pensionsversicherung unterliegende Tätigkeit Arbeitslosigkeit aus. Eine geringfügige Beschäftigung sei zwar für sich genommen eine Tätigkeit, die der Pensionsversicherung nicht unterliege. Im konkreten Fall treffe aber die im Monat April 2011 durchgehende geringfügige Beschäftigung beim Dienstgeber Gemeinde X mit einer vollversicherten Beschäftigung vom 1. bis beim Dienstgeber G KG zusammen. Das Vorliegen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung schließe die Arbeitslosigkeit aus.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer u.a. arbeitslos ist.

§ 12 AlVG idF BGBl. I Nr. 64/2010 lautet (auszugsweise):

"(1) Arbeitslos ist, wer

1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,

2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und

3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.

(…)

(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:


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a)
wer in einem Dienstverhältnis steht;
b)
wer selbständig erwerbstätig ist;
(…)
h)
wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, daß zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.
(…)

(6) Als arbeitslos gilt jedoch,

a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, wobei bei einer Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes, BGBl. Nr. 16/1970, der Entgeltwert für die Dienstwohnung und der pauschalierte Ersatz für Materialkosten unberücksichtigt bleiben;

(…)."

Gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG sind (u.a.) Dienstnehmer, wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag gemäß Abs. 2 nicht übersteigt, von der Vollversicherung nach § 4 ASVG ausgenommen.

Nach § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn es für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als (Wert für das Kalenderjahr 2011:) 374,02 EUR gebührt. Keine geringfügige Beschäftigung liegt hingegen vor, wenn das im Kalendermonat gebührende Entgelt den in Z 2 genannten Betrag nur deshalb nicht übersteigt, weil (u.a.) die Beschäftigung im Laufe des betreffenden Kalendermonates begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde.

Die im § 5 Abs. 1 Z 2 ASVG von der Vollversicherung ausgenommenen Beschäftigten sind gemäß § 7 Z 3 lit. a ASVG in der Unfallversicherung versichert.

Die Pflichtversicherung der Dienstnehmer und der Personen hinsichtlich einer geringfügigen Beschäftigung nach § 5 Abs. 2 ASVG beginnt mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung (§ 10 Abs. 1 ASVG) und erlischt mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses. Fällt jedoch der Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Entgelt endet, nicht mit dem Zeitpunkt des Endes des Beschäftigungsverhältnisses zusammen, so erlischt die Pflichtversicherung mit dem Ende des Entgeltanspruches (§ 11 Abs. 1 ASVG).

§ 53a ASVG regelt Beiträge für Versicherte, die in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen stehen. Nach § 53a Abs. 3 ASVG haben Vollversicherte, die in einem oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nach dem ASVG oder dem Dienstleistungsscheckgesetz stehen, hinsichtlich dieser geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einen Pauschalbeitrag zu leisten, wobei ein Anteil des Pauschalbeitrages auf die Krankenversicherung und ein Anteil auf die Pensionsversicherung entfällt.

Abschnitt Ib des neunten Teils des ASVG enthält Sonderbestimmungen über die Pflichtversicherung bei doppelter oder mehrfacher geringfügiger Beschäftigung nach dem ASVG oder dem Dienstleistungsscheckgesetz. Diese Sonderbestimmungen gelten gemäß § 471f ASVG (u.a.) für Dienstnehmer, wenn deren monatliche allgemeine Beitragsgrundlagen aus zwei oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nach dem ASVG oder dem Dienstleistungsscheckgesetz den im § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG angeführten Betrag übersteigen bzw. voraussichtlich übersteigen werden. Nach § 471h Abs. 1 ASVG beginnt die Pflichtversicherung in dem Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, und zwar rückwirkend mit jenem Tag, an dem in diesem Kalendermonat erstmalig eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen worden ist. Gemäß § 471h Abs. 2 ASVG endet die Pflichtversicherung mit dem Ablauf des Kalendermonates, in dem die Voraussetzungen hiefür wegfallen.

2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie habe am ihre vollversicherungspflichtige, unselbständige Beschäftigung zur G KG beendet; aus dieser unselbständigen, der Vollversicherungspflicht unterliegenden Beschäftigung sei sie ab nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlegen, sodass sie die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG ab diesem Zeitpunkt erfülle. Nach der klar formulierten Absicht des Gesetzgebers habe durch die Neufassung des § 12 AlVG ab keine Änderung der Rechtslage in Bezug auf jene Fälle eintreten sollen, in denen innerhalb eines Kalendermonats sowohl eine (beendete) Vollbeschäftigung als auch eine geringfügige Beschäftigung vorliege oder innerhalb eines Kalendermonats es zur Überschneidung eines geringfügigen und eines vollversicherten Beschäftigungsverhältnisses nur für zwei Tage komme. Die Beschwerdeführerin regt auch an, der Verwaltungsgerichtshof möge ein Normprüfungsverfahren bezüglich der Verfassungswidrigkeit von § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG beim Verfassungsgerichtshof einleiten.

3. Die Beitragspflicht des Dienstnehmers in der Kranken- und Pensionsversicherung für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis besteht gemäß § 53a ASVG dann, wenn dieser Dienstnehmer bereits der Vollversicherungspflicht unterliegt. Eine Pflichtversicherung nach § 471f ASVG liegt hingegen dann vor, wenn die monatlichen Beitragsgrundlagen aus zwei oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen den im § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG angeführten Betrag übersteigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0185).

Die Beschwerdeführerin stand nicht in zwei oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, sondern in einem die Vollversicherung begründenden Beschäftigungsverhältnis (zur G KG) einerseits und in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis (zur Gemeinde X) anderseits. Der Umstand, dass im April 2011 das Entgelt (ohne Sonderzahlungen) aus dem Beschäftigungsverhältnis zur G KG den in § 5 Abs. 2 ASVG genannten Betrag nicht überschritt, bewirkt nicht, dass es sich (in diesem Monat) um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis handeln würde, da dieser Umstand darauf zurückzuführen ist, dass die Beschäftigung im Laufe dieses Monates geendet hat. Insoweit liegt daher gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG keine geringfügige Beschäftigung, sondern Vollversicherung vor. Mangels einer weiteren geringfügigen Beschäftigung ergibt sich somit keine Pflichtversicherung nach § 471f ASVG.

Für die Frage der Beendigung der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG ist daher - mangels mehrerer geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse - nicht § 471h Abs. 2 ASVG heranzuziehen, sondern § 11 ASVG. Die Pflichtversicherung betreffend die Beschäftigung beim Dienstgeber G KG endete sohin mit dem Ablauf des . Damit endete auch die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Beschwerdeführerin.

Die gegenteilige Eintragung im Versicherungsdatenauszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherung (vom bis "laufend": "mehrfach geringfügig besch. Arbeiterin") ist insoweit nicht nachvollziehbar (als Dienstgeber ist im Übrigen die Beschwerdeführerin selbst eingetragen). Eine Bindung an diesen Versicherungsdatenauszug besteht aber nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0269), da insbesondere Fälle denkbar sind, in denen jemand bei einem Dienstgeber wegen Unterlassung der ordnungsgemäßen Abmeldung weiterhin als versichert gemeldet ist, obwohl er dort nicht mehr beschäftigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0028). Auch die belangte Behörde nimmt im zu beurteilenden Zeitraum keine weiteren Beschäftigungsverhältnisse (neben denen zur G KG und zur Gemeinde X) an.

Da sohin mit Ablauf des die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der Beschwerdeführerin geendet hat, lag der von der belangten Behörde geltend gemachte, die Arbeitslosigkeit ausschließende Umstand nicht vor. Die fortlaufende geringfügige Beschäftigung der Beschwerdeführerin bei der Gemeinde X steht aber - wie ohnehin auch von der belangten Behörde angenommen - der Arbeitslosigkeit nicht entgegen (§ 12 Abs. 6 lit. a AlVG).

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am