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VwGH 23.06.2010, 2009/03/0039

VwGH 23.06.2010, 2009/03/0039

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §1;
AVG §57 Abs3 ;
AVG §6 Abs1;
RS 1
Die Behörde, die einen Mandatsbescheid erlassen hat, der nicht nach § 57 Abs 3 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft getreten ist, bleibt für das weitere Verfahren betreffend die Entscheidung über die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid auch dann zuständig, wenn sich in der Zwischenzeit die Verhältnisse, die zur Begründung ihrer Zuständigkeit geführt hatten, geändert haben (Hinweis E , 82/11/0358).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 99/11/0086 E VwSlg 15119 A/1999 RS 1
Normen
AVG §6 Abs1;
B-VG Art6 Abs3;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
RS 2
Die Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit hängt davon ab, ob der Lebensmittelpunkt am (behaupteten) Hauptwohnsitz auch während dieser Zeit erhalten bleibt (Hinweis E vom , 2004/01/0266). Ob Letzteres der Fall ist, lässt sich nur aus einer kombinierten Betrachtung von objektiven und subjektiven Kriterien beurteilen. In subjektiver Hinsicht erfordert die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes am bisherigen Hauptwohnsitz die Beibehaltung des "animus domiciliandi", also der Absicht, den Lebensmittelpunkt weiterhin an diesem Ort zu haben. Wird ein solcher Wille aufgegeben, vermag auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zum bisherigen Wohnort einen dortigen Hauptwohnsitz nicht aufrecht zu erhalten. Umgekehrt reicht der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) dorthin zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen nicht (mehr) gegeben sind. In objektiver Hinsicht setzt das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes nämlich voraus, dass zu diesem Ort Beziehungen aufrecht erhalten werden, die bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigen, eine Person habe an diesem Ort weiterhin ihren Lebensmittelpunkt.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des R M in W, vertreten durch Dr. Herbert Rabitsch, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Petrusgasse 2/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl E1/21070/2008, betreffend Waffenverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Mandatsbescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Melk (BH Melk) gegen den Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs 1 Waffengesetz 1996 (WaffG) ein Waffenverbot und bestätigte diese Entscheidung - nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - mit Bescheid vom .

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge.

Begründend führte sie zur öffentlichen Zuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde im Wesentlichen aus, nach § 48 Abs 2 WaffG richte sich die örtliche Zuständigkeit für das gegenständliche Verfahren nach dem Hauptwohnsitz des Betroffenen, in Ermangelung eines Hauptwohnsitzes nach seinem Wohnsitz. Der Beschwerdeführer sei zwar an einer Adresse in W gemeldet, da es sich jedoch bei dieser Anschrift um eine Baustelle handle, könne ausgeschlossen werden, dass diese Örtlichkeit zum Schlafen und dergleichen benützt werde. Der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner Vernehmung bei der Polizeiinspektion L am angegeben, dass er über einen Hauptwohnsitz in W, Bgasse 4, verfüge. Zur Zeit wohne er aber in H in einem ehemaligen Bauernhof, den er bis Juni 2009 gepachtet habe. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Beschwerdeführers und somit sein Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erlassung des Mandatsbescheides am in H (Gemeinde D, Bezirk Melk) gewesen sei, zumal der Beschwerdeführer erst mit Schreiben vom der erstinstanzlichen Behörde bekannt gegeben habe, dass er seinen Wohnsitz wieder in W habe und nach H nur mehr 1 - 2 mal in der Woche kommen werde. Daher sei die BH Melk zur Erlassung des Waffenverbotes örtlich zuständig gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens unter Verzicht auf eine Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 12 Abs 1 WaffG hat die Behörde einem Menschen den Besitz von Waffen und Munition zu verbieten (Waffenverbot), wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dieser Mensch durch missbräuchliches Verwenden von Waffen Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder fremdes Eigentum gefährden könnte.

Gemäß § 48 Abs 2 WaffG richtet sich die örtliche Zuständigkeit, sofern nicht anderes bestimmt ist, nach dem Hauptwohnsitz des Betroffenen, in Ermangelung eines Hauptwohnsitzes nach seinem Wohnsitz.

Der Begriff des Hauptwohnsitzes wird in Art 6 Abs 3 B-VG in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl Nr 504/1994 wie folgt definiert:

"(3) Der Hauptwohnsitz einer Person ist dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat."

Im Wesentlichen gleichlautend sieht § 1 Abs 7 Meldegesetz 1991 (MeldeG) vor, dass der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet ist, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat.

Maßgebend ist somit der nach tatsächlichen Anknüpfungspunkten zu bestimmende Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer Person; die Meldung nach dem MeldeG ist hiebei nicht von entscheidender Bedeutung und es kann die Annahme, eine Person habe in einem bestimmten Ort ihren Hauptwohnsitz, weder auf den Umstand der Meldung in diesem Ort als Hauptwohnsitz allein gegründet noch durch den Hinweis auf die Meldung in einem anderen Ort allein widerlegt werden (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2005/10/0144).

2. Die Beschwerde bestreitet die örtliche Zuständigkeit der niederösterreichischen Waffenbehörden für das gegenständliche Verfahren und verweist darauf, dass der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz immer in W gehabt habe. Auch ein vorübergehender Aufenthalt des Beschwerdeführers in H führe nicht dazu, dass er bei Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen den Hauptwohnsitz in W aufgegeben habe. Nähere Feststellungen zum Anknüpfungspunkt von Lebensbeziehungen des Beschwerdeführers in H habe die belangte Behörde auch gar nicht getroffen.

3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer zumindest bei Erlassung des Mandatsbescheides im Juni 2008 seinen Hauptwohnsitz - entgegen der Meldung im Zentralen Melderegister - nicht in W, sondern im Zuständigkeitsbereich der BH Melk hatte. Eine danach allenfalls erfolgte Wohnsitzverlegung sei nach Auffassung der belangten Behörde irrelevant.

Dem ist vorweg insoweit zuzustimmen, als nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jene Behörde, die einen Mandatsbescheid erlassen hat, welcher nicht nach § 57 Abs 3 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft getreten ist, für das weitere Verfahren betreffend die Entscheidung über die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid auch dann zuständig bleibt, wenn sich danach die Verhältnisse, die zur Begründung ihrer Zuständigkeit geführt haben, geändert haben (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2006/03/0172).

Allerdings hat die belangte Behörde ihre Einschätzung, der Beschwerdeführer habe im Juni 2008 den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen nicht in W, sondern in H gehabt, nicht nachvollziehbar begründet.

Der Beschwerdeführer hatte stets ausgesagt, seinen Hauptwohnsitz (weiterhin) in W zu haben. Daran vermochte auch sein Eingeständnis, "zur Zeit" in H zu wohnen, nichts zu ändern, wird der Hauptwohnsitz an einem bestimmten Ort doch nicht schon dann aufgegeben, wenn sich eine Person von dort nur vorübergehend entfernt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem (zum Staatsbürgerschaftsrecht ergangenen, in den diesbezüglichen Erwägungen aber verallgemeinerungsfähigen) Erkenntnis vom , Zl 2004/01/0266, erkannt, dass die Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes bei (vorübergehender) Ortsabwesenheit davon abhängt, ob der Lebensmittelpunkt am (behaupteten) Hauptwohnsitz auch während dieser Zeit erhalten bleibt. Ob Letzteres der Fall ist, lässt sich nur aus einer kombinierten Betrachtung von objektiven und subjektiven Kriterien beurteilen. In subjektiver Hinsicht erfordert die Aufrechterhaltung des Lebensmittelpunktes am bisherigen Hauptwohnsitz die Beibehaltung des "animus domiciliandi", also der Absicht, den Lebensmittelpunkt weiterhin an diesem Ort zu haben. Wird ein solcher Wille aufgegeben, vermag auch das Fortbestehen von Lebensbeziehungen zum bisherigen Wohnort einen dortigen Hauptwohnsitz nicht aufrecht zu erhalten. Umgekehrt reicht der bloße Wille, seinen Lebensmittelpunkt an einem Ort zu erhalten, oder die Absicht, (irgendwann) dorthin zurückzukehren, zur Beibehaltung eines Hauptwohnsitzes nicht aus, wenn objektive Anknüpfungspunkte für einen solchen nicht (mehr) gegeben sind. In objektiver Hinsicht setzt das Fortbestehen eines Hauptwohnsitzes nämlich voraus, dass zu diesem Ort Beziehungen aufrecht erhalten werden, die bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände den Schluss rechtfertigen, eine Person habe an diesem Ort weiterhin ihren Lebensmittelpunkt.

Ausgehend davon ist es für die Beurteilung der Aufrechterhaltung eines Hauptwohnsitzes des Beschwerdeführers in W nicht (allein) von Bedeutung, ob die dortige Wohnung wegen Bautätigkeit im Juni 2008 nicht benutzt werden konnte. Auf das diesbezügliche - bestreitende - Beschwerdevorbringen braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden.

Entscheidend ist vielmehr, ob der Beschwerdeführer bei einer Gesamtbetrachtung im Sinne der oben dargestellten Rechtsgrundsätze im Juni 2008 seine beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen von W nach H verlagert hatte. Dazu hätte es konkreter Feststellungen zum Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in subjektiver und objektiver Hinsicht bedurft. Insbesondere wäre dabei von Bedeutung gewesen, seit wann, aus welchem Grund und in welcher Regelmäßigkeit der Beschwerdeführer den Bauernhof in H bewohnte, und welche beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen er zu diesem Ort geknüpft hatte bzw ob derartige Beziehungen zu seiner Unterkunft in W aufgegeben worden sind.

In Ermangelung derartiger Feststellungen lässt sich daher nicht abschließend beurteilen, ob die (örtliche) Zuständigkeit der BH Melk zur Erlassung des gegenständlichen Waffenverbots gegeben war.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Wien, am

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Normen
AVG §1;
AVG §57 Abs3;
AVG §6 Abs1;
B-VG Art6 Abs3;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
Schlagworte
Verhältnis zu anderen Materien und Normen AVG
Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit
Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen örtliche Zuständigkeit
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2009030039.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAE-86638