VwGH vom 03.12.2021, Ra 2020/08/0182
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Ö KG in T, vertreten durch Dr. Anton Moser, Rechtsanwalt in 4050 Traun, Johann-Roithner-Straße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L503 2231812-1/2E, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Oberösterreich), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit dem angefochtenen Erkenntnis schrieb das Bundesverwaltungsgericht der Revisionswerberin - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - in Bestätigung eines Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) einen Beitragszuschlag in der Höhe von € 1.000,-- vor. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
2Das Bundesverwaltungsgericht stellte - auf das Wesentliche zusammengefasst - aufgrund des Akteninhalts fest, der im Zuge einer - von Organen der Finanzpolizei gemeinsam mit Organen der örtlichen Polizeiinspektion durchgeführten - Kontrolle beim Verlassen des von der Revisionswerberin betriebenen Supermarktes aufgegriffene Herr S.A. habe Hilfstätigkeiten für die Revisionswerberin erbracht, ohne bei der ÖGK gemeldet worden zu sein. Diese Feststellung beruhe u.a. darauf, dass der Vorname des Herrn S.A. - wenn auch in einer abweichenden Schreibweise - in einem handschriftlich geführten Dienstplan bei der Revisionswerberin aufscheine. Die übereinstimmenden Vorbringen der Revisionswerberin (im Beschwerdeverfahren) und des Herrn S.A. (bei seiner Befragung im Zuge der durchgeführten Kontrolle bei der Revisionswerberin), wonach sich Herr S.A. in den Betriebsräumlichkeiten aufgrund eines vereinbarten Bewerbungsgesprächs aufgehalten habe, wertete das Bundesverwaltungsgericht - ebenso wie weitere Vorbringen zum aufgefundenen Dienstplan, zur verpflichtenden Dienstkleidung der Beschäftigten sowie zum Grund, weshalb Herr S.A. die Betriebsräumlichkeiten auf der Rückseite verlassen habe - als unglaubwürdig.
3Daraus folgerte das Bundesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, Herr S.A. sei als ein der Pflichtversicherung unterliegender Dienstnehmer (der Revisionswerberin) anzusehen, der entgegen § 33 Abs. 1 ASVG nicht vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet worden sei. Da er beim Verlassen des Betriebsgebäudes der Revisionswerberin aufgegriffen worden sei, liege der Tatbestand der „unmittelbaren Betretung“ gemäß § 113 Abs. 2 ASVG vor.
4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5Zur Zulässigkeit der Revision macht die Revisionswerberin geltend, indem das Bundesverwaltungsgericht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, obwohl der entscheidungswesentliche Sachverhalt strittig gewesen sei, sei es von (näher dargestellter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
6Die Revision erweist sich aus dem genannten Grund als zulässig und berechtigt.
7Unter Beachtung, dass die Revisionswerberin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, durfte das Bundesverwaltungsgericht nach § 24 Abs. 4 VwGVG von der Verhandlung nur dann absehen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstanden (vgl. , 0071).
8Den Sachverhaltsannahmen, auf die die ÖGK und das Bundesverwaltungsgericht die rechtliche Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Pflichtversicherung des Herrn S.A. und dessen „unmittelbarer Betretung“ iSd. § 113 Abs. 2 ASVG gegründet haben, ist die Revisionswerberin substantiiert entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund lagen im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - wie hier vorliegend - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 25 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen - zumal im vorliegenden Fall die Einvernahme mehrerer, konkret bezeichneter Zeugen beantragt wurde - bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. ; , Ra 2015/08/0149; , Ra 2015/08/0130).
9Da die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung somit auf einer Verkennung der Vorgaben des § 24 VwGVG beruhte, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
10Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
11Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020080182.L01 |
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