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VwGH vom 25.03.2022, Ra 2020/08/0163

VwGH vom 25.03.2022, Ra 2020/08/0163

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der M H in G, vertreten durch Mag. Klaus Haberler, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, MSC-Bauteil 1 / Schwarzottstraße 2a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-2851/001-2019, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Die Finanzpolizei führte - laut dem erhobenen Strafantrag - aufgrund einer anonymen Anzeige, derzufolge die im Bereich der Gebäudeverwaltung als Einzelunternehmerin tätige Revisionswerberin Frau F. als Hausmeisterin in einem von ihr verwalteten Gebäude beschäftige, ohne sie bei der Sozialversicherung angemeldet zu haben, am am Sitz des Einzelunternehmens der Revisionswerberin eine Kontrolle durch. Im Zuge dieser Kontrolle wurde die Revisionswerberin niederschriftlich einvernommen und gab ua. an, sie habe mit Frau F. am eine schriftliche Vereinbarung bezüglich der Reinigungsarbeiten gegen ein monatliches Entgelt - welches mit den Kosten in derselben Höhe für die Miete der Wohnung von Frau F. gegenverrechnet worden sei - abgeschlossen, diese aber mehrmals darauf hingewiesen, dass kein Dienstverhältnis bestehe. Die Finanzpolizei stufte die Beschäftigung von Frau F. als Dienstverhältnis ein und erstattete eine Strafanzeige samt Strafantrag (für das damalige Finanzamt Neunkirchen Wr. Neustadt) gegen die Revisionswerberin wegen § 111 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 ASVG.

2Mit Straferkenntnis vom sprach die belangte Behörde die Revisionswerberin schuldig, sie habe es als Dienstgeberin zu verantworten, dass sie Frau F. - in einem von der Revisionswerberin verwalteten Gebäude - als Reinigungskraft gegen ein monatliches Entgelt von € 309,70 als in der Krankenversicherung pflichtversicherte Dienstnehmerin beschäftigt habe, ohne sie vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Sie habe hierdurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 33 Abs. 1 und Abs. 1a in Verbindung mit § 111 Abs. 1 Z 1 ASVG begangen und werde hierfür gemäß § 111 Abs. 2 iVm Abs. 1 Z 1 ASVG mit einer Geldstrafe von € 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 154 Stunden) zuzüglich Kosten belegt.

3Die belangte Behörde führte aus, Frau F. habe aufgrund der schriftlichen Vereinbarung mit der Revisionswerberin persönlich - und ohne vereinbartes Vertretungsrecht - Reinigungsarbeiten in freier Zeiteinteilung durchgeführt, wobei diese Arbeiten von Mitarbeitern der Revisionswerberin kontrolliert worden seien. Bei dieser Tätigkeit würden die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit überwiegen, weshalb vom Vorliegen eines Dienstverhältnisses auszugehen sei. Für die Strafbarkeit genüge fahrlässiges Verhalten; ein solches sei der Revisionswerberin mangels Glaubhaftmachung eines fehlenden Verschuldens anzulasten.

4In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin ua. vor, die Feststellung der belangten Behörde, die Tätigkeit von Frau F. sei kontrolliert worden, sei unrichtig. Aus der abgeschlossenen Vereinbarung ergebe sich auch keine Verpflichtung von Frau F., diese habe die Arbeiten jederzeit beenden können. Die vereinbarte „Kündigungsfrist“ sei im Hinblick auf Dispositionen der Hausverwaltung bei Beendigung der Tätigkeiten nachvollziehbar und ließe den Schluss auf ein Dienstverhältnis nicht zu. Frau F. habe selbst und ohne Weisung der Revisionswerberin beurteilen können, wann sie Reinigungsarbeiten durchführt oder nicht, zeitliche Vorgaben seien nicht vorhanden gewesen. Eine persönliche Arbeitspflicht habe nie bestanden, es sei ihr möglich gewesen, auch ohne Rücksprache mit der Revisionswerberin beliebige Hilfskräfte heranzuziehen. Frau F. habe zudem lediglich am Beginn ihrer Tätigkeit die Kosten für Reinigungsmittel ersetzt bekommen, danach habe sie alle Reinigungsmittel und Geräte selbst zur Verfügung gestellt. Die Revisionswerberin beantragte weiters die zeugenschaftliche Einvernahme von Frau F. und zweier Mitarbeiterinnen der Revisionswerberin „zum Beweis dafür, dass zu keiner Zeit ein Dienstverhältnis“ vorgelegen sei.

5Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6Das LVwG führte aus, unter „Wertung und Würdigung des gesamten Akteninhaltes“ sei vom Bestehen einer Pflichtversicherung auszugehen. Frau F. sei rund eineinhalb Jahre als Reinigungskraft gegen ein konkret genanntes monatliches Entgelt in dem von der Revisionswerberin verwalteten Gebäude tätig gewesen, wobei das Entgelt mit den Kosten für die Miete ihrer Wohnung gegenverrechnet worden sei. Für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses spreche auch die vereinbarte beidseitige Kündigungsfrist, die Beschreibung der wöchentlichen Tätigkeiten und die wiederkehrende monatliche Entschädigung in der Höhe von € 309,70. Frau F. sei auch nicht im Besitz einer gültigen Gewerbeberechtigung. Die Revisionswerberin habe daher die ihr zur Last gelegte Übertretung objektiv gesetzt und subjektiv zumindest fahrlässig verwirklicht.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem von der belangten Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - erwogen hat:

8Zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision bringt die Revisionswerberin - auf das Wesentliche zusammengefasst - ua. vor, dem LVwG seien zahlreiche Begründungsmängel anzulasten. Das LVwG habe überhaupt nur eine einzige Feststellung getroffen, die zudem als rechtliche Beurteilung anzusehen sei. Es würden jegliche Feststellungen zum Sachverhalt fehlen. Obwohl die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde detailliert bestimmte Feststellungen der belangten Behörde als unzutreffend gerügt habe, habe sich das LVwG nicht damit auseinandergesetzt und sei damit seiner Begründungspflicht nicht nachgekommen. In der Beschwerde sei auch dargelegt worden, dass keine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Frau F. und der Revisionswerberin bestanden habe, zudem sei von Frau F. - in einem Fragebogen der (damaligen) Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse - die persönliche Arbeitspflicht bestritten worden. Mit all diesen Punkten habe sich das LVwG nicht auseinandergesetzt, womit ein massiver Begründungsmangel vorliege.

9Die Revision ist aus den geltend gemachten Gründen zulässig und berechtigt.

10Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Gemäß § 33 Abs. 2 ASVG besteht diese Anmeldepflicht auch in Bezug auf die nur in der Unfall- und Pensionsversicherung sowie die nur in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG Pflichtversicherten.

11Nach § 111 Abs. 1 ASVG handelt ordnungswidrig und ist gemäß Abs. 2 leg. cit. zu bestrafen, wer als Dienstgeber entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes (unter anderem) Meldungen oder Anzeigen nicht oder falsch oder nicht rechtzeitig erstattet.

12Dienstnehmer im Sinn des ASVG ist nach § 4 Abs. 2 ASVG, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird. Hierzu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

13Ob bei einer Beschäftigung die Merkmale persönlicher Abhängigkeit des Beschäftigten vom Empfänger der Arbeitsleistung gegenüber jenen persönlicher Unabhängigkeit überwiegen und somit persönliche Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG gegeben ist, hängt davon ab, ob nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Beschäftigung die Bestimmungsfreiheit des Beschäftigten durch die Beschäftigung weitgehend ausgeschaltet oder - wie bei anderen Formen einer Beschäftigung (z.B. aufgrund eines Werkvertrags oder eines freien Dienstvertrags) - nur beschränkt ist (vgl. VwGH [verstärkter Senat] , 83/08/0200).

14Unterscheidungskräftige Kriterien dieser Abgrenzung sind die Bindung des Beschäftigten an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort, die Arbeitszeit, das arbeitsbezogene Verhalten sowie die sich darauf beziehenden Weisungs- und Kontrollbefugnisse, während das Fehlen anderer - im Regelfall freilich auch vorliegender - Umstände (wie z.B. die längere Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses oder ein das Arbeitsverfahren betreffendes Weisungsrecht des Empfängers der Arbeitsleistung) dann, wenn die unterscheidungskräftigen Kriterien kumulativ vorliegen, die persönliche Abhängigkeit nicht ausschließt. Erlaubt im Einzelfall die konkrete Gestaltung der organisatorischen Gebundenheit in Bezug auf Arbeitsort, Arbeitszeit und arbeitsbezogenes Verhalten keine abschließende Beurteilung des Überwiegens der Merkmale persönlicher Abhängigkeit, so können aber auch diese an sich nicht unterscheidungskräftigen Kriterien von maßgeblicher Bedeutung sein (vgl. etwa , mwN).

15Grundvoraussetzung für die Annahme persönlicher Abhängigkeit im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG ist stets die persönliche Arbeitspflicht. Fehlt sie, dann liegt ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis schon deshalb nicht vor. Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist bei entgeltlichen Arbeitsverhältnissen die zwangsläufige Folge persönlicher Abhängigkeit (vgl. ).

16Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an Form und Inhalt eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses, erfordert die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 29 VwGVG (iVm. §§ 58 und 60 AVG) in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts - wobei die bloße Zitierung von Beweisergebnissen (etwa von Zeugenaussagen) nicht hinreichend ist -, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche es im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Erkenntnisses geführt haben. Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen sohin erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa , mwN).

17Lässt eine Entscheidung diese notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, so führt ein solcher Mangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. , mwN).

18Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis nicht gerecht, weil es eine hinreichende Ausführung der notwendigen Begründungselemente weitgehend vermissen lässt.

19So fehlt es schon an der Feststellung des wesentlichen Sachverhalts; in der Begründung schließen unmittelbar an die kursorische Wiedergabe des Verfahrensganges - mit pauschalem Verweis auf den „gesamten“ Akteninhalt - zunächst rechtliche und anschließend beweiswürdigende Erwägungen - wobei aus diesen Erwägungen teilweise Rückschlüsse darauf gezogen werden können, von welchem Sachverhalt das LVwG ausgegangen ist - an. Das LVwG traf insbesondere keine Feststellungen zum Vorliegen einer persönlichen Arbeitspflicht - als Grundvoraussetzung für die Annahme einer persönlichen Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG und damit eines Dienstverhältnisses - von Frau F. Weiters bejahte das LVwG die persönliche Abhängigkeit von Frau F., ohne hinreichende Feststellungen zu den im Sinn der obigen Ausführungen maßgeblichen Kriterien zu treffen - zumal die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde diesbezüglichen Feststellungen der belangten Behörde entgegengetreten ist - und diese im Sinn einer Gesamtabwägung im Rahmen eines beweglichen Systems zu bewerten.

20Im Übrigen ist anzumerken, dass § 33 ASVG zwischen der Meldung krankenversicherter Personen im Abs. 1 und der Meldung bloß geringfügig Beschäftigter im Abs. 2 unterscheidet. Bestraft die Behörde (das Verwaltungsgericht) wegen Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG (Nichtmeldung krankenversicherter Personen), so ist in der Entscheidungsbegründung die Krankenversicherungspflicht der Beschäftigung, das heißt ein Entgeltanspruch, der die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, darzutun. Andernfalls kommt nur ein Schuldspruch nach § 33 Abs. 1 iVm. Abs. 2 ASVG in Betracht (vgl. , mwN).

21Im vorliegenden Fall hat das LVwG die Revisionswerberin - in Bestätigung des Straferkenntnisses der belangten Behörde - wegen Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG bestraft, obwohl es nur einen die Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) unterschreitenden Entgeltanspruch festgestellt hat.

22Auf dieser Grundlage kann eine Überprüfung, ob das LVwG zu Recht vom Vorliegen eines Dienstverhältnisses im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG und damit von Meldepflichten nach § 33 Abs. 1 ASVG ausgegangen ist, nicht erfolgen. Die Entscheidung entzieht sich daher einer nachprüfenden Kontrolle.

23Das angefochtene Erkenntnis war deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

24Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080163.L00

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