VwGH vom 21.10.2011, 2009/03/0019
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des W L in W, vertreten durch Prof. Dipl. Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom , Zl 2Wa-68/07, betreffend Entziehung einer Waffenbesitzkarte, eines Waffenpasses und eines Europäischen Feuerwaffenpasses,
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde wird, insoweit sie sich gegen die Entziehung des Europäischen Feuerwaffenpasses richtet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren diesbezüglich eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
Im übrigen Umfang wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Villach (iF: BH) vom , mit dem dem Beschwerdeführer sein Waffenpass und seine Waffenbesitzkarte entzogen und der Europäische Feuerwaffenpass eingeschränkt wurde, keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Bescheid "mit der Maßgabe bestätigt", dass der Waffenpass und die Waffenbesitzkarte gemäß § 25 Abs 3 iVm § 8 Abs 1 Z 2 erster Fall WaffG sowie der Europäische Feuerwaffenpass gemäß § 36 Abs 3 iVm § 25 Abs 3 und 8 Abs 1, Z 2 erster Fall WaffG entzogen werden.
1.2. Begründend führte die belangte Behörde Folgendes aus:
Eingangs werde festgehalten, dass die von der BH angeführten Gründe für den Entzug der waffenrechtlichen Dokumente, "abgesehen von der Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und der geführten verwaltungspolizeilichen Amtshandlungen", vollinhaltlich auch von der belangten Behörde geteilt würden und dem Bescheid der BH keine zu dessen Behebung führende Rechtswidrigkeit anhafte. "Mit Rücksicht auf die Ausführlichkeit der erstinstanzlichen Begründung", die "unter anderem eine vollständige Darlegung der sich aus dem gegenständlichen Akt ergebenden Fakten" umfasse, seien weitere Ausführungen entbehrlich, zumal der Beschwerdeführer keine Berufungsgründe vorgebracht habe, die eine Aktenwidrigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung indizierten. Zu ergänzen gelte es lediglich, dass die Berufungsausführungen nicht geeignet seien, "Zweifel an der Schlüssigkeit" der Entscheidung der BH aufkommen zu lassen. Richtig sei zwar, dass die Jagdkameraden des Beschwerdeführers nicht Augenzeugen des gegenständlichen Unfalls gewesen seien (das gegenständliche Verfahren gründet sich auf einen Jagdunfall, bei dem sich der Beschwerdeführer selbst eine Schussverletzung zugefügt hatte), jedoch angesichts deren Sachkenntnis und der unmittelbar nach dem Unfall vom Beschwerdeführer selbst abgegebenen Erklärung, es sei sein Verschulden, dass er sich in den Fuß geschossen habe, sei davon auszugehen, dass es zur Schussabgabe mit Verletzungsfolgen an der zweiten rechten Zehe des Beschwerdeführers nur auf Grund eines Fehlverhaltens des Beschwerdeführers habe kommen können. Die Unfallschilderung des Beschwerdeführers sei hingegen nicht überzeugend gewesen, weil es nicht nachvollziehbar erscheine, wie Schrotkugeln einer ordnungsgemäß verwendeten Flinte durch das Touchieren eines Baumstumpfes den rechten Fuß verletzen könnten.
Daran schließen sich folgende Erwägungen:
"Die ordnungsgemäße Verwendung einer Schrotflinte bei Anwartezeiten während einer Treibjagd umfasst nämlich immer das Sichern dieser Waffe , bei besonders gewissenhaften Jägern auch das Brechen des Laufes, damit die unkontrollierte Abgabe eines Schusses - wie in diesem Fall durch die von Ihnen behauptete Abfolge des Geschehens - vom waffentechnischen Standpunkt aus gesehen, vollkommen auszuschließen und demnach auch absolut unmöglich ist.
Dieses Gefahren vorbeugende und im Rahmen der Schulung seitens der Kärntner Jägerschaft als besonders wichtig hervor gehobene weidmännische Verhalten während der Jagd, nämlich das Entsichern der Schusswaffe erst nach deren Anschlag, haben Sie offensichtlich nicht beachtet, anderenfalls es nie zu der verfahrensgegenständlichen Schussabgabe hätte kommen können.
Die Unterlassung dieses Gefahren abwehrenden und somit zwingend gebotenen Verhaltens während der Jagd wertet die Sicherheitsdirektion als Tatsache, welche die Annahme im Sinne des § 8 Absatz 1, Ziffer 2 (1. Fall) WaffG rechtfertigt, weshalb Sie, unbeschadet Ihrer bisherigen Verantwortung, der Vorwurf des unsachgemäßen Bedienens einer Waffe und somit des unvorsichtigen Umgehens mit einer Waffe gemäß der zitierten Gesetzesstelle mit der Rechtsfolge der mangelnden waffenrechtlichen Verlässlichkeit trifft und ergo dessen die spruchgemäße Entscheidung zur Folge hat."
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
2.1. Festzuhalten ist zunächst, dass die belangte Behörde nach Erhebung der Beschwerde mit Bescheid vom den angefochtenen Bescheid gemäß § 68 Abs 2 AVG insofern abänderte, als hinsichtlich des Europäischen Feuerwaffenpasses nicht eine Entziehung, sondern (wie bereits von der BH) lediglich die Streichung der darin registrierten genehmigungspflichtigen Schusswaffen verfügt wurde. Insoweit ist der Beschwerdeführer also klaglos gestellt worden, weshalb das Verfahren diesbezüglich einzustellen war.
2.2. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet.
2.2.1. Das gegenständliche Verfahren gründet sich auf einen Jagdunfall, anlässlich dessen sich der Beschwerdeführer mit seiner Flinte in den rechten Fuß geschossen hat.
Im Bescheid der BH wird dazu ausgeführt, die von der Polizeiinspektion einvernommenen Auskunftspersonen hätten angegeben, dass sich der Unfall "nur auf Grund des undisziplinierten Fehlverhaltens und des unsachgemäßen Umgangs mit der Waffe" ereignet habe. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens habe sich zudem herausgestellt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2004 "wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt" worden sei und "die Polizeiinspektion W mehrmals gegen ihn einschreiten" habe müssen. Der Beschwerdeführer habe dazu Stellung genommen und von einer "verzerrten Berichterstattung" bzw "Falschmeldung" gesprochen; durch den Jagdunfall seien keine weiteren Personen gefährdet worden. Die von der Polizeiinspektion angezeigten Tathandlungen seien nicht im Zusammenhang mit der Jagd gestanden, der Beschwerdeführer habe keine Auffälligkeiten in Verbindung mit Waffen gezeigt.
Die BH folgerte, dass "auf Grund des durch Eigenverschulden des (Beschwerdeführers) verursachten Unfalls zweifelsfrei der Tatbestand des unvorsichtigen Umgehens mit Waffen gesetzt worden sei, weshalb die geforderte Verlässlichkeit nicht mehr gewährleistet sei".
In der gegen den Erstbescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, die einvernommenen Auskunftspersonen hätten den Unfallhergang nicht beobachtet, die Behauptung eines "undisziplinierten Fehlverhaltens" stelle eine reine Spekulation dar. Tatsächlich bestünden keine Anhaltspunkte für ein undiszipliniertes Fehlverhalten. Im Weiteren erstattete der Beschwerdeführer konkretes Vorbringen zum Unfallhergang und beantragte zum Beweis dafür, dass ein undiszipliniertes Fehlverhalten nicht vorliege, seine Einvernahme und die Beiziehung eines Sachverständigen. Er habe am Vorabend der Jagd "alle Varianten der Sicherheit und Anschlagfunktion mit der Querflinte durchexerziert" und die Waffe, weil sich etwas Flugrost angesetzt habe, auch im Bereich der Schiebesicherung mit Waffenöl eingeölt. Am Jagdtag habe er, als der Trieb Richtung Osten bereits vorbei gewesen sei und sich nichts mehr gerührt habe, während der übermäßig langen Anwartezeit die Flinte mit dem Lauf auf den Boden gestellt. Nach längerer Zeit sei das Buschdickicht vor ihm in starke Bewegung geraten, weshalb er das Näherkommen eines Fuchses vermutet habe. Aus diesem Grund habe er die Flinte in Schussposition bringen wollen und beim Hochnehmen einen Baumstumpf touchiert. Auf Grund dessen habe er auch den Abzug berührt, wobei sich ein Schuss gelöst habe, und er durch drei Schrotkugeln leicht an der zweiten Zehe verletzt worden sei. Der gegenständliche Unfall sei auf das Touchieren mit dem Baumstumpf zurückzuführen und sohin das Ergebnis eines unglücklichen Umstands. Wesentlich sei, dass durch sein Verhalten niemand gefährdet gewesen sei; ein Schuss habe sich nur in Richtung des Bodens lösen können.
Im Weiteren erstattete der Beschwerdeführer noch Vorbringen, warum (zusammengefasst) die Verurteilung wegen § 88 Abs 1 StGB und das "mehrmalige Einschreiten" der Polizeiinspektion W keinen Rückschluss auf seine waffenrechtliche Verlässlichkeit erlaube.
Diese weiteren Sachverhaltselemente werden, wie im angefochtenen Bescheid einleitend klargestellt wurde, von der belangten Behörde nicht übernommen. Der Entziehung der waffenrechtlichen Dokumente des Beschwerdeführers wird daher nur mehr der Jagdunfall zu Grunde gelegt.
2.2.2. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten, pauschal gebliebenen erstinstanzlichen Feststellungen und des dazu erstatteten Berufungsvorbringens ist die Auffassung der belangten Behörde, die diesbezüglichen Ausführungen der BH seien vollständig und ausreichend, nicht nachvollziehbar.
Zwar kann die Beurteilung, jemand sei nicht verlässlich im Sinne des § 8 Abs 1 Z 2 erster Fall WaffG, auch auf ein einmaliges, gravierendes Fehlverhalten gestützt werden. Der Umstand allein, dass sich der Beschwerdeführer bei dem in Rede stehenden Jagdunfall selbst angeschossen hat, rechtfertigt aber nicht schon für sich genommen, ohne Blick auf die näheren Umstände, die Annahme der Unverlässlichkeit (vgl das - ebenfalls einen Jagdunfall betreffende - hg Erkenntnis vom , Zl 99/20/0125).
2.2.3. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid weder zu den - der Aktenlage nach widersprüchlichen - Ergebnissen der ergänzenden Beweisaufnahme (Durchführung eines Lokalaugenscheins und Einvernahme der Zeugen K und P) noch zu dem (wegen Befangenheit erfolglos gebliebenen) Versuch, eine Befundaufnahme und Gutachtenserstattung durch einen Sachverständigen zu erreichen, geäußert. Sie hat das von ihr vermutete Fehlverhalten des Beschwerdeführers lediglich damit begründet, dass dieser die jagdlich gebotene Sorgfalt unterlassen habe, die Schusswaffe erst nach dem Anschlag zu entsichern.
Für diese von der belangten Behörde als entscheidend angesehene Annahme, es sei jagdlich geboten, Flinten erst nach dem Anschlag zu entsichern, fehlt aber, wie die Beschwerde mit Recht rügt, jede Begründung.
2.3. Die belangte Behörde hat daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
Aus verfahrensökonomischen Gründen sei abschließend noch Folgendes bemerkt:
Der zu Grunde liegende Vorfall ereignete sich am , also bereits vor fünf Jahren. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist das Verstreichen eines Zeitraums von fünf Jahren regelmäßig als wesentliche Änderung des für die Beurteilung der Verlässlichkeit maßgeblichen Sachverhalts anzusehen (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 2007/03/0059), und daher - auch - von der belangten Behörde, die zu prüfen hat, ob im Zeitpunkt der Erlassung ihres (Ersatz-) Bescheids der Beschwerdeführer (noch) als unverlässlich anzusehen ist, zu beachten.
Aus den genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl II Nr 455.
Wien, am