VwGH vom 20.01.2022, Ra 2020/08/0106
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des W M in L, vertreten durch die Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G312 2227900-1/3E, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in einer Angelegenheit des ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Pensionsversicherungsanstalt hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1Mit Bescheid vom nahm die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) das - mit rechtskräftigem Bescheid vom abgeschlossene - Verfahren über den Anspruch des Revisionswerbers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer wieder auf und lehnte den darauf gerichteten Antrag des Revisionswerbers ab. Den vom bis entstandenen Überbezug an Pension forderte die PVA zurück.
2Begründend führte die PVA unter Hinweis auf § 69 Abs. 1 Z 1 AVG aus, die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens seien gegeben, weil der Revisionswerber „Pflichtversicherungszeiten nicht bekanntgegeben“ habe.
3Mit dem in Revision gezogenen - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen - Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid der PVA vom erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe am die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer - mit Stichtag - beantragt. Im Antragsformular habe er seine selbständige Erwerbstätigkeit auf Basis eines Werkvertrages bekanntgegeben und die Aufgabe dieser Erwerbstätigkeit - für den Fall des Bestehens des Anspruchs auf vorzeitige Alterspension - in Aussicht gestellt. Weiters habe er die Frage nach dem Bestehen einer Ausnahme von der Pflichtversicherung ua. nach dem GSVG verneint.
5Der Revisionswerber unterliege ua. in den Jahren 2017 bis 2019 der Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung nach dem GSVG aufgrund seiner Gewerbeberechtigung. Mit Schreiben vom habe er bei der - damaligen - Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) die Ausnahme von der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 7 GSVG aufgrund Nichterreichung der Versicherungsgrenze beantragt.
6Aufgrund der Mitteilung des - damaligen - Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger habe die PVA Kenntnis darüber erlangt, dass die SVA mit eine Versicherungszeitenänderung durchgeführt und eine Pflichtversicherung des Revisionswerbers für das gesamte Jahr 2017 festgestellt habe. Damit sei die Beendigung der Pflichtversicherung des Revisionswerbers vom auf den abgeändert worden.
7Das Bundesverwaltungsgericht führte in Folge aus, dem Revisionswerber hätte ab dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG (am ) bewusst sein müssen, dass eine Pflichtversicherung nach dem GSVG bestehe. Eine diesbezügliche Meldung an die PVA sei von ihm jedoch nicht erstattet worden. Damit habe der Revisionswerber mit Irreführungsabsicht gehandelt, weil er „wider besseres Wissens entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen“ habe, womit die Wiederaufnahme von Amts wegen berechtigt gewesen sei.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
9Zur Zulässigkeit der Revision wird ua. vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe die angenommene Irreführungsabsicht des Revisionswerbers damit begründet, dass dieser den Antrag auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG der PVA nicht bekanntgegeben habe. Dies sei jedoch aktenwidrig, weil der Revisionswerber diesen Antrag der PVA offengelegt habe.
10Die Revision ist zulässig und berechtigt.
11Das Bundesverwaltungsgericht hat - in Bestätigung des Bescheides der PVA vom - ausgesprochen, die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen sei berechtigt, weil der Revisionswerber entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen und daher mit Irreführungsabsicht gehandelt habe, womit der Erschleichungstatbestand gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG verwirklicht sei.
12Die Verschweigung entscheidungswesentlicher Umstände hat das Bundesverwaltungsgericht (ausschließlich) damit begründet, dass der Revisionswerber das Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem GSVG nicht an die PVA gemeldet habe, obwohl er sich ab Stellung des Antrags auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vom des Bestehens der Pflichtversicherung bewusst sein habe müssen.
13Wie die Revision zurecht rügt, ist diese - als dislozierte Feststellung zu wertende - Sachverhaltsannahme des Bundesverwaltungsgerichtes aktenwidrig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit dann vor, wenn der Akteninhalt unrichtig wiedergegeben wurde bzw. wenn sich das Verwaltungsgericht bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts mit dem Akteninhalt hinsichtlich der dort festgehaltenen Tatsachen in Widerspruch gesetzt hat (vgl. , mwN). Aus der - an das Bundesverwaltungsgericht gerichteten - Äußerung der PVA zur Beschwerde vom ergibt sich, dass der Revisionswerber den Antrag auf Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG vorgelegt hat. Daraus folgt aber, dass er der PVA den aus diesen Antrag ersichtlichen Bestehen der Pflichtversicherung nicht verschwiegen hat.
14Da die aktenwidrige Feststellung im angefochtenen Erkenntnis für die rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass der Erschleichungstatbestand gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vorliege, wesentlich war (vgl. , mwN), belastete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
15Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis konnte eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Revisionsvorbringen entfallen.
16Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
17Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Der beantragte Ersatz der Eingabengebühr war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020080106.L00 |
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