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VwGH vom 14.05.2020, Ra 2020/08/0008

VwGH vom 14.05.2020, Ra 2020/08/0008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Lilienfeld in 3180 Lilienfeld, Liese Prokop Straße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W164 2182733-1/12E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: P S in T), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Die revisionswerbende regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) sprach mit Bescheid vom gemäß § 38 iVm § 10 AlVG aus, dass dem Mitbeteiligten für die Zeit vom bis keine Notstandshilfe gebühre. Der Mitbeteiligte habe sich um eine zumutbare Stelle bei der A. GmbH nicht beworben und somit eine Arbeitsaufnahme vereitelt.

2Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde zunächst mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen. Auf Grund eines Vorlageantrags des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt und behob den bei ihm bekämpften Bescheid ersatzlos.

3Das Bundesverwaltungsgericht stellte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, dass der fünfzigjährige Mitbeteiligte seit 2011 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehe. Sein vom AMS dokumentiertes Verhalten ergebe keine Hinweise auf bisher gegen ihn rechtmäßig verhängte oder angedrohte Sanktionen. Am habe er von seinem Betreuer eine Betreuungsvereinbarung und vier Stellenangebote ausgehändigt bekommen. Dem Mitbeteiligten sei auf Grund der Betreuungsvereinbarung bekannt gewesen, dass er binnen acht Tagen eine Rückmeldung an das AMS über seine Bewerbungen zu geben habe. Der Mitbeteiligte habe nach einem Konkurs mehrere finanziell schwierige Jahre hinter sich, in denen überdies seine Frau schwer erkrankt und in der Folge in ansteigendem Ausmaß auf die Betreuung des Mitbeteiligten angewiesen gewesen sei (2017 sei sie in Pflegestufe 2 gewesen). Er habe die Vermittlungsvorschläge mitgenommen, dann aber verlegt oder verloren und darauf vergessen. Seine privaten Belastungen habe er damals nicht gegenüber seinem Betreuer erwähnt. Am habe sein Betreuer mit zwei der potentiellen DienstgeberInnen (u.a. der A. GmbH) Kontakt aufgenommen und erfahren, dass sich der Mitbeteiligte bei keiner der beiden Stellen beworben habe. Vom AMS damit konfrontiert, dass er sich bei der A. GmbH nicht beworben habe, habe der Mitbeteiligte behauptet, den entsprechenden Vermittlungsvorschlag nicht erhalten zu haben. Während der beiden nachfolgenden Jahre habe sich anlässlich eines vom Mitbeteiligten absolvierten Probearbeitsverhältnisses gezeigt, dass der Mitbeteiligte, um regelmäßig einer Arbeit nachgehen zu können, Unterstützung bei der Betreuung seiner Frau - die mittlerweile Pflegegeld der Stufe 3 beziehe - benötigen würde. Überdies hätten sich beim Mitbeteiligten selbst schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen gezeigt.

4In der Beweiswürdigung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Mitbeteiligte selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben hätte, für seine Vermittlungsvorschläge keine Mappe zu führen, sondern sie nach dem Beratungsgespräch ins Auto zu geben und dann zu Hause „kurz anzuschauen“. Der so festgestellte Umgang mit Vermittlungsvorschlägen begünstige deren nachträgliches Verlorengehen. Nicht glaubwürdig erscheine vor diesem Hintergrund, dass der Mitbeteiligte den Vermittlungsvorschlag gar nicht erhalten habe.

5Dass sich der Mitbeteiligte vorsätzlich nicht beworben habe oder ein bewusst unachtsames, das Nichtzustandekommen der zugewiesenen Beschäftigung in Kauf nehmendes Verhalten gesetzt hätte, sei nicht als erwiesen anzunehmen. Bezüglich der in der Beschwerdevorentscheidung zum Nachteil des Mitbeteiligten gewerteten vergangenen Kontrollmeldeversäumnisse habe sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass dafür jeweils ein triftiger Verhinderungsgrund vorhanden gewesen sei. Auch hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass sich der Mitbeteiligte während der Zeit des Bezugs von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung generell unkooperativ verhalten hätte. Zwar habe der ehemalige Betreuer in der Verhandlung angegeben, er habe den Eindruck gehabt, dass der Mitbeteiligte viel Energie aufwende, um einen Job nicht zu bekommen. Dieser Eindruck weise aber im vorliegenden Gesamtzusammenhang nicht eindeutig auf Vereitelungsvorsatz, sondern eher auf einen anderen Hintergrund hin: Die in der mündlichen Verhandlung hervorgekommenen Gesamtumstände legten nahe, dass der Mitbeteiligte sich über einen längeren Zeitraum mit seiner privaten Situation latent überfordert habe. Dafür spreche etwa, dass er die gesundheitlich schwierige Situation seiner Frau und die ihn aus diesem Grund treffenden täglichen Belastungen gegenüber dem AMS bis ins Jahr 2018 nicht erwähnt habe. Einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegeldes für seine Frau habe er unmittelbar nach einer Beratung durch die (mit dem AMS kooperierende) P. GmbH gestellt und sofort bewilligt bekommen. Diese letztgenannte Beratung habe das AMS veranlasst, nachdem der Mitbeteiligte nach einer erfolgreichen Probearbeit für ein in Aussicht gestelltes Beschäftigungsangebot vor der Herausforderung zurückgeschreckt sei, eine geeignete Betreuung für seine Frau zu finden. Die genannten Umstände wiesen in ihrer Gesamtheit darauf hin, dass der Mitbeteiligte kein ausgeprägtes Geschick darin gehabt habe, aus eigenem Antrieb aktiv die Hilfe und Unterstützung anzustreben, die er zur Bewältigung seiner belastenden privaten Situation gebraucht hätte. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte den verfahrensgegenständlichen Vermittlungsvorschlag verlegt oder verloren und vergessen habe, beweise vor diesem Hintergrund lediglich sein fahrlässiges Verhalten.

6In seiner rechtlichen Beurteilung kam das Bundesverwaltungsgericht sodann zum Ergebnis, dass der Mitbeteiligte durch sein Verhalten zwar die Chancen auf das Zustandekommen des in Aussicht gestellten Beschäftigungsverhältnisses entscheidend verringert habe, dass sein Verhalten unter Berücksichtigung seiner Gesamtsituation aber als fahrlässig und nicht als vorsätzlich, sei es auch im Sinn eines dolus eventualis, zu beurteilen sei. Der Tatbestand der Vereitelung im Sinn des § 10 AlVG sei daher nicht erfüllt.

7Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die außerordentliche Revision des AMS hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Das AMS bringt zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, dass das Bundesverwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und damit zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass der Mitbeteiligte nicht (zumindest bedingt) vorsätzlich gehandelt habe.

9Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und berechtigt.

10Nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG verliert eine arbeitslose Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen - bzw. unter näher umschriebenen Voraussetzungen acht Wochen - den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

11Gemäß § 38 AlVG ist die Bestimmungen für die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

12Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichtemacht.

13Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. zum Ganzen , mwN).

14Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht einen Umgang des Mitbeteiligten mit Vermittlungsvorschlägen festgestellt, der deren nachträgliches Verlorengehen begünstigte. Der Mitbeteiligte führe für seine Vermittlungsvorschläge keine Mappe, sondern gebe sie nach dem Beratungsgespräch ins Auto, um sie dann zu Hause „kurz anzuschauen“. Ein solches Verhalten einer langjährig arbeitslosen und daher jedenfalls mit der Bedeutung von Vermittlungsvorschlägen vertrauten Person kann nicht als bloß fahrlässig angesehen werden, wird doch damit - solange der arbeitslosen Person die Fähigkeit zur Selbstorganisation nicht überhaupt abzusprechen ist - offenkundig in Kauf genommen, dass Vermittlungsvorschläge verloren gehen oder vergessen werden und in der Folge kein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation ).

15Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher auf Basis seiner Feststellungen nicht den Vorsatz des Mitbeteiligten als Voraussetzung für den Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG verneinen dürfen. Aus den vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Gründen wäre nur eine Nachsicht nach § 10 Abs. 3 AlVG in Betracht gekommen. Ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn dieser Bestimmung kann u.a. dann vorliegen, wenn dem Arbeitslosen sein - wenn auch in Bezug auf die Weigerung bzw. Vereitelung vorsätzliches - Verhalten ausnahmsweise aus besonderen Gründen im Einzelfall nicht vorgeworfen werden kann (vgl. etwa , mwN).

16Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080008.L00

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Fundstelle(n):
RAAAE-86504