VwGH vom 13.11.2013, 2011/08/0181

VwGH vom 13.11.2013, 2011/08/0181

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten, die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. Julcher und Mag. Rossmeisel als Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des LZ in I, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Herbert Fink, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kaiser-Josefstraße 13, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom , Zl. LGSTi/V/0566/-702/2011, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Zuerkennung der Notstandshilfe an den Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 3. November bis zum widerrufen und ihn zur Rückzahlung des ungerechtfertigt empfangenen Pensionsvorschusses aus Notstandshilfe in Höhe von EUR 624,12 verpflichtet.

Der Beschwerdeführer habe laut bundeseinheitlichem Antragformular zuletzt am , geltend für den , beim Arbeitsmarktservice I einen Antrag auf Notstandshilfe als Pensionsvorschuss gestellt und dabei verneint, in einer Beschäftigung zu stehen und eigenes Einkommen zu lukrieren. Auf Seite 4 des von ihm unterzeichneten Antragsformulars sei eine Rechtsbelehrung bezüglich der Bestimmung des § 50 AlVG, insbesondere der sofortigen Mitteilungspflicht eines Eintrittes in ein Arbeitsverhältnis, auch bei geringfügiger Beschäftigung, erfolgt. Laut Auskunft des Finanzamtes I vom sei der Beschwerdeführer am im Zuge einer Routinekontrolle bei der Ausübung einer geringfügigen Tätigkeit in R betreten worden. Im Zuge des erstinstanzlich gewährten Gehörs am habe der Beschwerdeführer dem AMS gegenüber angegeben, dass er "gedacht habe die Meldung des geringfügigen Dienstverhältnisses (…) geht automatisch über Computer" und er sei nicht davon ausgegangen, dass er "es extra dem AMS melden" müsse.

Da es unstrittig sei, dass der Beschwerdeführer im angegebenen Zeitraum geringfügig beschäftigt gewesen und dies dem AMS nicht angezeigt worden sei, sei nach Ansicht der belangten Behörde gemäß § 50 AlVG eine Meldepflichtverletzung eingetreten und in Ermangelung der Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosigkeit gemäß § 12 AlVG der Anspruch auf Notstandshilfe als Pensionsvorschuss für den Zeitraum von vier Wochen ab dem Tag der Betretung rückwirkend gemäß § 38 und § 24 Abs. 1 AlVG zu widerrufen. Weiters sei demzufolge die Notstandshilfe für den Zeitraum vom 3. November bis gemäß § 38 und § 25 Abs. 2 leg. cit. rückzufordern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 64/2010 ist arbeitslos, wer eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat (Z. 1), nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt (Z. 2) und keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt (Z. 3).

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung gilt als arbeitslos insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a) sowie, wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist (lit. h).

§ 23 AlVG lautet:

"(1) Arbeitslosen, die die Zuerkennung

1. einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit oder eines Übergangsgeldes aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung oder

2. einer Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz, dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder eines Sonderruhegeldes nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz

beantragt haben, kann bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf diese Leistungen als Vorschuss auf die Leistung Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gewährt werden.

(2) Für die vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ist erforderlich, dass

1. abgesehen von der Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen vorliegen,

2. im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung zu rechnen ist und

3. im Fall des Abs. 1 Z 2 überdies eine Bestätigung des Pensionsversicherungsträgers vorliegt, dass voraussichtlich eine Leistungspflicht dem Grunde nach binnen zwei Monaten nach dem Stichtag für die Pension nicht festgestellt werden kann."

Gemäß § 24 Abs. 1 AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist - wenn die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war - die Zuerkennung zu widerrufen.

§ 25 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet (auszugsweise) wie folgt:

"§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. …

(2) Wird ein Empfänger von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d durch öffentliche Organe, insbesondere Organe von Behörden oder Sozialversicherungsträgern oder Exekutivorgane, betreten, die er nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt hat (§ 50), so gilt die unwiderlegliche Rechtsvermutung, dass diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) für zumindest vier Wochen ist rückzufordern. Erfolgte in einem solchen Fall keine zeitgerechte Meldung durch den Dienstgeber an den zuständigen Träger der Krankenversicherung, so ist dem Dienstgeber von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ein Sonderbeitrag in der doppelten Höhe des Dienstgeber- und des Dienstnehmeranteiles zur Arbeitslosenversicherung (§ 2 des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994) für die Dauer von sechs Wochen vorzuschreiben. Als Bemessungsgrundlage dient der jeweilige Kollektivvertragslohn bzw., falls kein Kollektivvertrag gilt, der Anspruchslohn. Die Vorschreibung gilt als vollstreckbarer Titel und ist im Wege der gerichtlichen Exekution eintreibbar.

(3)…"

Gemäß § 50 Abs. 1 AlVG sind Bezieher von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, die Aufnahme einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 AlVG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle anzuzeigen. Diese Verpflichtung besteht selbst dann, wenn nach Auffassung des Leistungsempfängers diese Tätigkeit den Leistungsanspruch nicht zu beeinflussen vermag (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0191, mwN).

Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, im Zeitraum vom 3. November bis geringfügig beschäftigt gewesen zu sein und diese Beschäftigung nicht dem AMS gemeldet zu haben.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer gemäß § 50 AlVG meldepflichtigen Beschäftigung betreten wurde, weshalb gemäß der unwiderleglichen Rechtsvermutung des § 25 Abs. 2 AlVG eine Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze anzunehmen sei.

Die Beschwerde sieht die in § 25 Abs. 2 Satz 1 AlVG normierte "unwiderlegliche Rechtsvermutung" als grob unsachlich und verfassungswidrig an, weil durch diese Regelung jene Fälle, in denen tatsächlich die Geringfügigkeitsgrenze überschritten werde und daher eine Meldepflichtverletzung kausal für den Leistungsbezug sei, gleich behandelt würden wie jene Fälle, in denen der bloße Formalverstoß irrelevant für den Leistungsanspruch sei. Es sei Zweck dieser Regelung, der Behörde den Nachweis eines die Geringfügigkeit übersteigenden Entgeltes zu ersparen. Daher sei es in verfassungskonformer Interpretation des § 25 Abs. 2 Satz 1 AlVG geboten, den Anwendungsbereich auf Fälle mit zweifelhafter Sachlage einzuschränken. Auch im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom , G 78/99, ergebe sich eine Anwendungseinschränkung auf Fälle, in denen eine Meldepflichtverletzung vorliegt. Da aber im gegenständlichen Fall "der Dienstgeber den Antritt des Beschäftigungsverhältnisses ordnungsgemäß bei der Gebietskrankenkasse angemeldet" habe und Beweisschwierigkeiten nicht vorlägen, sei "jedenfalls eine restriktive Auslegung des § 25 Abs. 2 Satz 1 AlVG geboten, um mit dem Gleichheitsgrundsatz in klarem Widerspruch stehende Resultate zu vermeiden". Sollte der Verwaltungsgerichtshof hingegen nicht dieser Meinung sein, so rege der Beschwerdeführer eine Unterbrechung des Verfahrens und einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung des § 25 Abs. 2 Satz 1 AlVG an.

Dem ist Folgendes zu erwidern:

§ 25 Abs. 2 AlVG verweist auf eine "Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d". In Betracht kommt im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Betretung in einem Dienstverhältnis im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. a AlVG stand. Ungeachtet dessen, dass § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht auf das Bestehen der Vollversicherungspflicht, sondern auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses abstellt, ist zufolge der Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG der Begriff des nicht geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses, der sich aus den genannten Bestimmungen des § 12 AlVG in ihrem Zusammenhang ergibt, ident mit dem des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG, an welches § 1 Abs. 1 lit. a iVm Abs. 4 AlVG für die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft. § 25 Abs. 2 AlVG stellt daher mit seinem Verweis auf § 12 Abs. 3 lit. a AlVG auf das Vorliegen eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG ab, wenngleich im Falle der Betretung bei einer solchen Tätigkeit die Geringfügigkeit der Beschäftigung nicht eingewandt werden kann (vgl. zu all dem das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0033).

Dem Beschwerdeführer musste auf Grund des festgestellten Hinweises durch das AMS die ihn treffende Meldepflicht gegenüber dem AMS bekannt und bewusst sein. Auf das Motiv für die Unterlassung kommt es dabei nicht an (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0284). Der vom Beschwerdeführer herangezogene Umstand der Meldung dieser Beschäftigung seitens des Arbeitgebers gegenüber dem (zuständigen) Sozialversicherungsträger und der von ihm angenommenen "Vernetzung" mit dem AMS ist damit für die Prüfung eines Meldepflichtverstoßes des Arbeitslosen gegenüber dem AMS ohne Bedeutung, sondern nur für die im anschließenden Teil des Absatzes der erwähnten Gesetzesbestimmung normierten Meldepflichten des Arbeitgebers bzw. diesen - bei Zuwiderhandeln - treffenden Sanktionen von Belang (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0150).

Davon ausgehend begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde ohne weitere Erhebungen (wie einer Anfrage beim jeweiligen Sozialversicherungsträger) durch die unstrittige Unterlassung der Meldung dieser Tätigkeit iSv § 12 Abs. 3 lit. a AlVG seitens des Beschwerdeführers gegenüber dem AMS den Tatbestand nach § 25 Abs. 2 erster Satz AlVG (mit der unwiderleglichen Rechtsvermutung einer Entlohnung über der Geringfügigkeitsgrenze) als verwirklicht sieht und den erstinstanzlichen Bescheidausspruch zur Rückforderung der Notstandshilfe wie auch dessen Widerruf bestätigt. Die genannte "unwiderlegliche Rechtsvermutung" steht für die Anordnung, dass - als Gegenausnahme zu § 12 Abs. 6 lit. a AlVG - die Aufnahme einer Beschäftigung gegen ein unter der Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG liegendes Entgelt nur unter der Voraussetzung den Anspruch auf das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) wahrt, dass eine Anzeige nach § 50 AlVG erfolgt (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 78/99 ua, VfSlg. Nr. 15.850).

Der Verwaltungsgerichtshof hegt auch keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 25 Abs. 2 AlVG: Wie der Beschwerdeführer richtig ausführt, hat der Verfassungsgerichtshof in seinem zitierten Erkenntnis vom , G 78/99 ua, VfSlg.Nr. 15.850, zu § 25 Abs. 2 AlVG ausgesprochen, dass der in § 25 Abs. 2 erster und zweiter Satz AlVG angeordnete begrenzte Anspruchsverlust die leistungsrechtliche Lösung einer Beweisschwierigkeit und keine Strafe ist. Es wird demnach nicht ein sozialschädliches Verhalten sanktioniert, sondern die Ungewissheit über den Bestand eines Leistungsanspruchs sachlich gerechtfertigt zu Lasten desjenigen gewertet, der sie durch die Unterlassung der Anzeige ausgelöst hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0117). Eine Differenzierung, ob es tatsächlich zu Beweisschwierigkeiten kommen könnte oder nicht, lässt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers daraus jedoch nicht ableiten. Vielmehr sollen auch im Lichte der bereits dargelegten Grundsätze zu § 25 Abs. 2 AlVG Beweiserhebungen im generellen obsolet sein.

Die Beschwerde erweist sich daher insgesamt als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch auf Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am