VwGH vom 08.07.2013, 2011/08/0170
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2011/08/0171 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde der S Gesellschaft m.b.H. in L, vertreten durch Welzl Schuster Schenk Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Fabrikstraße 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/2010-0566-4- 000848-0, betreffend Verpflichtung zum Rückersatz von Arbeitslosengeld gemäß § 25 Abs. 3 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Mit Bescheid vom hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice S (in der Folge: AMS) gegenüber M. den Bezug von Karenzurlaubsgeld vom 1. Mai bis zum , vom 1. September bis und vom 1. März bis zum widerrufen und den Betrag von S 70.974,-- (EUR 5.187,88) von ihr zurückgefordert. Diesen Bescheid hat die belangte Behörde über Berufung der M. mit Bescheid vom dahin abgeändert, dass das Karenzurlaubsgeld widerrufen, von M. aber nicht zurückgefordert werde.
2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde gegenüber der beschwerdeführenden Partei aus, dass der gegenüber M. bescheidmäßig widerrufene Bezug von Karenzurlaubsgeld gemäß § 25 Abs. 3 AlVG mit einem Betrag von EUR 5.187,88 zurückgefordert werde.
M. habe ab Karenzurlaubsgeld bezogen. Eine Abfrage des AMS beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom habe ergeben, dass M. (in den zu 1. genannten Zeiträumen) bei der beschwerdeführenden Partei in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden sei.
M. habe erklärt, sie habe bei der beschwerdeführenden Partei in Erfahrung gebracht, dass ihr die geringfügige Beschäftigung bei Aufrechterhaltung des Karenzurlaubsgeldbezuges möglich sei. Daher habe sie dem AMS von ihrem Aushilfsdienstverhältnis nichts gemeldet. Die beschwerdeführende Partei habe ihr versichert, dem AMS im Februar 1995 das Bestehen des geringfügigen Dienstverhältnisses schriftlich mitgeteilt zu haben. Von der Lohnverrechnerin der beschwerdeführenden Partei sei ihr gesagt worden, das Dienstverhältnis sei geringfügig und die Ausübung neben dem Bezug des Karenzurlaubsgeldes möglich. Sie habe sich in Bezug auf die Meldung auf die beschwerdeführende Partei verlassen und beim AMS keine Angabe über ihre Nebenbeschäftigung gemacht.
Der (den vorgelegten Verwaltungsakten zu Folge am ) vorgelegten Lohnabrechnung zufolge - so die belangte Behörde weiter - habe M. im Mai 1995 S 3.358,-- "brutto für netto" bei der beschwerdeführenden Partei verdient. Die Geringfügigkeitsgrenze habe im Jahr 1995 S 3.452,-- brutto monatlich und 1996 S 3.600,-- brutto monatlich betragen. Mit Bescheid vom habe die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse in einem (nicht M. betreffenden) Anlassfall ausgesprochen, dass die Beschäftigung als Verpackerin bei der beschwerdeführenden Partei der Vollversicherung und damit auch der Arbeitslosenversicherung unterliege. Der "Grund für die Abänderung des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses in ein vollversicherungspflichtiges war die gesetzwidrige Bezahlung der Verpackerinnen unter dem im entsprechenden Kollektivvertrag festgesetzten Lohn". In der Folge sei von der belangten Behörde (ua mit dem oben erwähnten Bescheid vom ) festgestellt worden, dass von den betreffenden Frauen die Leistung nicht zurückgefordert werden könne, weil diese kein Verschulden treffe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, M. sei unstrittig (in den oben zu 1. genannten Zeiträumen) bei der beschwerdeführenden Partei in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden und habe zugleich Karenzurlaubsgeld bezogen. Neben einem solchen Dienstverhältnis sei der Bezug von Karenzurlaubsgeld nicht möglich, da Arbeitslosigkeit nur dann vorliege, wenn die Arbeitslose ein Arbeitseinkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze erziele. Aus diesem Grund sei das Karenzurlaubsgeld (gegenüber M.) zu widerrufen gewesen.
Es ergebe sich ein Übergenuss von S 70.974,-- (EUR 5.157,88). Die beschwerdeführende Partei habe mit M. eine geringfügige Beschäftigung vereinbart. M. treffe kein Verschulden. Von ihr könne der Übergenuss nicht rückgefordert werden. Die beschwerdeführende Partei habe M. und auch die anderen Frauen, deren Berufungsfälle bei der beschwerdeführenden Partei anhängig seien, entgegen § 3 Abs. 1 ArbVG unter dem im Kollektivvertrag festgesetzten Mindestlohn entlohnt. Der beschwerdeführenden Partei sei zum Zeitpunkt der Vereinbarung eines geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses mit M. bewusst gewesen, dass diese beim AMS "Sondernotstandshilfe" beziehe. Ebenso sei ihr bewusst gewesen, dass ein Anspruch auf "Sondernotstandshilfe" nur dann bestehe, wenn die Entlohnung die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreite. Die belangte Behörde
"geht davon aus, dass die Bezahlung unter dem Kollektivvertragslohn mit hoher Wahrscheinlichkeit vorsätzlich geschah. Doch selbst dann, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, trifft den Arbeitgeber immer auch eine gesetzlich bestimmte Fürsorgepflicht für seine DienstnehmerInnen. Er hat zumindest den im Kollektivvertrag der entsprechenden Branche vereinbarten Mindestlohn zu zahlen. Tut er das nicht, so hat der damit zu rechnen, dass er, wie im konkreten Fall, die rechtlichen Folgen zu tragen hat.
Weiters trifft den Dienstgeber auch eine Sorgfaltspflicht. Danach hat er sich über den in seiner Branche gerade geltenden Mindestlohn zu informieren. Wenn sich dann aus einer auf Grund einer Prüfung der Gebietskrankenkasse berichtigten Unterbezahlung rechtliche Folgen ergeben, so kann er sich nicht auf 'Nicht-Wissen' berufen."
Ein Dienstgeber, der die Schutzfunktion des Kollektivvertrags missachte, handle jedenfalls grob fahrlässig. Es tue nichts zur Sache, wer bei der beschwerdeführenden Partei, die das Lohnbüro verantwortlich gemacht habe, "daran schuld" sei. Ein Mitarbeiter in einem Lohnbüro sei immer ein Erfüllungsgehilfe, dessen Handlungen sich der Vertretene voll anrechnen lassen müsse, solange eine schädigende Handlung mit der Erfüllung des Auftrags in unmittelbarem Zusammenhang stehe, was hier der Fall sei. Gerade die Mitarbeiter eines Lohnbüros sollten die Mindestlöhne nach dem Kollektivvertrag kennen. Dieser Fehler wäre einem ordentlichen Mitarbeiter eines Lohnbüros nicht unterlaufen. Ebenso hätte ein Dienstgeber, der seine Sorgfaltspflichten den Dienstnehmern gegenüber ernst nehme, über den Kollektivvertragslohn Bescheid gewusst. Die Argumentation der Beschwerdeführerin deute darauf hin, dass sie mit den gesetzlichen Bestimmungen leichtfertig umgehe.
Auf Grund des "von M. geleisteten Stundenausmaßes und der ihr dafür gebührenden kollektivvertraglichen Entlohnung" hätte die von M. verrichtete Beschäftigung von der beschwerdeführenden Partei nicht als "geringfügige Entlohnung" bewertet werden dürfen. M. hätte die nunmehr widerrufene Leistung nicht gebührt. Wie sich aus der "eigenen Argumentation im Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof" leicht ersehen lasse, sei die Entlohnung unter dem geltenden Kollektivvertrag jedenfalls bewusst erfolgt. Die belangte Behörde gehe von Vorsatz aus und fordere den Übergenuss in Höhe von EUR 5.157,88 gemäß § 25 Abs. 3 AlVG zurück.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 1462/10- 10, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde sei zu Unrecht von einer Bindungswirkung des - nicht M. betreffenden - hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2000/08/0078, ausgegangen und habe keine Feststellungen darüber getroffen, wie viele Stunden und zu welchem Stundensatz M. in den verfahrensgegenständlichen Monaten tätig gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, ob bei M. die Geringfügigkeitsgrenze tatsächlich überschritten worden sei. Lediglich aus dem Dienstverhältnis der H. den Schluss zu ziehen, dass nicht nur bei diesem Dienstverhältnis, sondern auch bei einem anderen Dienstverhältnis die Geringfügigkeitsgrenze überschritten worden sei, sei nicht zulässig. Die belangte Behörde habe weder Feststellungen über das Stundenausmaß noch über die Höhe der kollektivvertraglichen Entlohnung der M. getroffen. Ohne diese Feststellungen könne die Frage, ob ein unberechtigter Bezug vorliege, nicht beurteilt werden.
Selbst wenn der Anspruchslohn der M. die Geringfügigkeitsgrenze überschritten haben sollte, habe die "Meldung" der beschwerdeführenden Partei über deren Arbeitszeit und ihr monatliches Gehalt der tatsächlichen Vereinbarung und den vorgenommenen Auszahlungen entsprochen. Dem angefochtenen Bescheid lasse sich nicht entnehmen, welche unrichtigen Angaben die beschwerdeführende Partei dem AMS gegenüber gemacht bzw. welche ihr obliegenden Anzeigen sie zumindest aus grober Fahrlässigkeit unterlassen habe. Den Behörden sei der für die Beurteilung der Frage der Anwendbarkeit von Kollektivverträgen notwendige Sachverhalt bekannt gewesen. Hätte die belangte Behörde die ihr von der beschwerdeführenden Partei bekannt gegebenen Daten einer rechtlichen Beurteilung unterzogen, so hätte sie den Anspruchslohn und damit das nun behauptete Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze im Anspruchszeitraum selbst erkennen können. Wenn ein Arbeitgeber unter Verkennung des Kollektivvertrages tatsächlich nur einen unter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Betrag ausbezahlt, könne kein Anspruch nach § 25 Abs. 3 AlVG geltend gemacht werden. Die "tatsächlichen Angaben" der beschwerdeführenden Partei seien richtig gewesen. Nur die - nicht in den Aufgabenbereich der beschwerdeführenden Partei fallende - rechtliche Einschätzung des Vorliegens einer bloß geringfügigen Beschäftigung iSd § 5 ASVG sei nach Ansicht der belangten Behörde unter dem Aspekt des für die Versicherungspflicht nach dem ASVG ausschlaggebenden Anspruchslohns falsch gewesen. Die Unkenntnis der Details der kollektivvertraglichen Bestimmungen könne ihr nicht als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden.
Die Beschwerde ist berechtigt:
Gemäß § 25 Abs. 3 AlVG kann eine dritte Person zum Ersatz verpflichtet werden, wenn sie "eine ihr nach diesem Bundesgesetz obliegende Anzeige vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit unterlassen oder falsche Angaben gemacht und hiedurch einen unberechtigten Bezug verursacht hat".
Die belangte Behörde stützt ihren Rückforderungsbescheid nicht darauf, dass die beschwerdeführende Partei eine ihr obliegende Anzeige unterlassen hätte. Sie stellt auch nicht fest, dass die beschwerdeführende Partei iSd dritten Tatbestandsvariante des § 25 Abs. 3 AlVG zu bestimmten Zeitpunkten gegenüber bestimmten Stellen bestimmte Angaben gemacht hätte. Schon aus diesem Grunde kann rechtlich nicht der Schluss gezogen werden, dass vorliegend der genannte Tatbestand erfüllt und eine Rückforderung zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0200, mwN).
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu beachten haben, dass das Verhältnis der Bestimmung des § 25 Abs. 1 zu jener des § 25 Abs. 3 AlVG dadurch gekennzeichnet ist, dass bei Verwirklichung der Tatbestände des § 25 Abs. 1 AlVG die Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen (gegenüber dem Empfänger der Leistung) auszusprechen ist, während nach § 25 Abs. 3 AlVG diese Verpflichtung gegenüber den dort genannten Personen von der Behörde ausgesprochen werden "kann". Der Verwaltungsgerichtshof geht nach seiner Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Wortwahl innerhalb ein- und desselben Paragraphen verschiedene Regelungsinhalte zum Ausdruck bringen wollte. Aus dem Regelungszusammenhang der zitierten Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes ist zu schließen, dass eine positive Gebrauchnahme vom Ermessen nach § 25 Abs. 3 AlVG - abgesehen von den übrigen Voraussetzungen - nur dann als im Sinne des Gesetzes gelegen in Betracht kommt, wenn entweder ein Rückforderungstatbestand nach § 25 Abs. 1 AlVG nicht vorliegt oder ein solcher zwar verwirklicht ist, aber eine Rückforderung vom Empfänger der Leistung nach diesen Bestimmungen aus tatsächlichen Gründen scheitert (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2008/08/0200). Ob eine Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG gegen M. möglich ist, ist dem angefochtenen Bescheid, der diese Voraussetzung ohne Bindung an die im Verfahren mit M. ergangene Entscheidung zu beurteilen hätte, nicht zu entnehmen, zumal festgestellt wurde, dass M., die sich diesbezüglich auf ihren Dienstgeber verlassen haben will, ihr (geringfügiges) Dienstverhältnis dem AMS nicht gemeldet hat.
Weiters wird die belangte Behörde zu berücksichtigen haben, dass dem Tatbestandsmerkmal des "hiedurch" in § 25 Abs. 3 AlVG (nämlich durch die unterlassenen oder falschen Angaben) verursachten unberechtigten Bezuges eine über das bloße Erfordernis eines ursächlichen Zusammenhanges hinausgehende Bedeutung im Sinne eines normativen Zurechnungskriteriums zukommt. Daher wäre eine Argumentation verfehlt, wonach das Außerachtlassen kollektivvertraglicher Bestimmungen (vgl. zur Maßgeblichkeit des Anspruchslohnes für § 26 Abs. 4 iVm § 12 Abs. 6 lit. a AlVG etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0025) ein Fehler sei, der einem sorgfältigen Dienstgeber nicht passieren könne (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0084).
Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am