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VwGH vom 16.11.2012, 2009/02/0310

VwGH vom 16.11.2012, 2009/02/0310

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der M M in S, vertreten durch Dr. Franz Amler, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Brunngasse 12/2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-LF-09-0053, betreffend Übertretung der StVO 1960 (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am um 21.31 Uhr an einem näher genannten Ort als Fußgängerin den vorhandenen Gehsteig nicht benutzt, weil sie mitten auf der Fahrbahn befindlich versucht habe, mit Auf- und Abbewegungen des Armes Fahrzeuge aufzuhalten.

Die Beschwerdeführerin habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 76 Abs. 1 in Verbindung mit § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 begangen; über sie wurde eine Freiheitsstrafe von 1 Tag verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin am amtsärztlich untersucht worden sei. Anamnestisch sei u.a. erhoben worden, dass sie seit 2001 nicht mehr beruflich aktiv sei. Sie habe den Führerschein der Klasse B besessen, ihn aufgrund von einer Alkoholisierung am Steuer vor mehreren Jahren verloren und nicht mehr neu erworben. Auf die zahlreichen Vorfälle Delikte angesprochen, habe sie als Begründung häufige und laute Streitereien mit ihrem Bekannten/Freund/Lebensgefährten angegeben, der dazu neige, sie im alkoholisierten Zustand zu schlagen und/oder zu beschimpfen. Seit einigen Wochen habe sie allerdings keinen Kontakt mehr mit ihm. Frau M. sei zeitlich, örtlich und zur Person orientiert, eine Kontaktaufnahme mit ihr problemlos möglich, ihr Verhalten während der Untersuchung ruhig und angepasst gewesen. Sie scheine problemeinsichtig zu sein, und sehe als "Präventionsmaßnahme" ein völliges Verzichten auf weitere Kontakte mit streitbaren Kumpanen ein. Es bestehe bei ihr ein hochgradiger Verdacht auf eine intellektuelle Minderbegabung. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung samt Verhaltensauffälligkeit seien der Untersuchten bereits vor Jahren fachärztlichpsychiatrisch attestiert worden. Der psychiatrische SV habe in seinem Gutachten dieser Störung einen Krankheitswert gegeben und eine einschlägige Behandlung empfohlen. Dieser Empfehlung sei jedoch nicht entsprochen worden. Aus den zur Verfügung stehenden Unterlagen gingen ansonsten eine geringe psychische Belastbarkeit, eine sehr niedrige Frustrationstoleranz sowie eine bevorzugte simple Methodik der Streitschlichtung hervor. Bei Menschen mit intellektueller Minderbegabung sei die Zurechnungsfähigkeit generell vermindert, jedoch nicht aufgehoben. Die Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sei hier bedeutender als jene des Einsichtsvermögens. Die Handlungsfähigkeit der Untersuchten sei somit eingeschränkt, sie sei eingeschränkt fähig, das Unerlaubte ihrer Handlungen und Taten einzusehen und gemäß dieser Einsicht zu handeln. Mit wesentlicher Änderung, insbesondere mit einer Besserung dieses Zustandes sei auch zukünftig nicht zu rechnen. In der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde habe die beigezogene amtsärztliche Sachverständige in Ergänzung zu dem bereits am erstatteten Gutachten weiters ausgeführt, dass man nicht sagen könne, dass die vorgeworfenen Handlungen einfach aus der Beschwerdeführerin "herausbrächen". Sie wolle das einfach so machen;

Zurechnungsfähigkeit sei aus medizinischer Sicht gegeben. Sie müsse die Beschwerdeführerin auch nicht neuerlich begutachten, weil sie ihr bekannt sei und weil sie sie bei Erstellung des Gutachtens vom persönlich befundet habe.

Die Erfüllung der objektiven Tatseite - so die belangte Behörde weiter in der Begründung - sei durch die Beschwerdeführerin nicht bestritten worden und die Übertretung durch den Inhalt der zu Grunde liegenden Anzeige dokumentiert. Die Beschwerdeführerin habe weder im Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde noch im Verfahren vor der Berufungsbehörde konkrete Befunde und Gutachten vorgelegt, aus welchen sich die behauptete, die Zurechnungsfähigkeit und Straffähigkeit ausschließende, psychische Störung ergäbe. Den bloßen Darlegungen der Beschwerdeführerin in Form der Eingaben stehe die Befundung und Begutachtung durch die amtsärztliche Sachverständige bereits im Verfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde gegenüber. Die beigezogene ärztliche Amtssachverständige habe das von ihr am erstellte Gutachten bekräftigt und in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung neuerlich festgestellt, dass die Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdeführerin aus medizinischer Sicht gegeben sei. Die belangte Behörde habe daher davon auszugehen, dass ein die Zurechnungsfähigkeit ausschließendes Krankheitsbild bei der Beschwerdeführerin nicht gegeben sei.

Im Hinblick auf die zahlreichen einschlägigen Vormerkungen sei die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach § 11 VStG unabdingbar erforderlich, um die Beschwerdeführerin von der Begehung neuerlicher gleichartiger Delikte abzuhalten und ihr den Unrechtsgehalt der Tat nachhaltig vor Augen zu führen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der die Verletzung "gesetzlich gewährleisteter Rechte" geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie das Grunddelikt zwar objektiv begangen habe, ihr jedoch ein subjektives Alternativverhalten nicht zumutbar gewesen sei, weil sie sich in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden habe, sodass das Tatbild auf der subjektiven Seite nicht erfüllt worden sei.

Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Wenn Indizien in Richtung einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vorliegen, so ist nach hg. Rechtsprechung die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens notwendig, um diese Frage hinreichend beurteilen zu können (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/02/0065, und vom , Zl. 94/03/0150).

Die beigezogene Sachverständige hat in ihrem Gutachten umfassend, schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass nichts gegen die Annahme der Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdeführerin zum Tatzeitpunkt spreche. Diesen nicht als unschlüssig zu erkennenden fachlichen Ausführungen vermochte die Beschwerdeführerin nichts Wesentliches entgegenzusetzen. Insbesondere ist sie diesen Ausführungen im Verwaltungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Wenn die belangte Behörde daher dieses Gutachten ihrer Entscheidung zu Grunde legte, kann dies im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Beweiswürdigung zukommenden Kontrolle (vgl. insbesondere das hg Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 85/02/0053) nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Soweit die Beschwerdeführerin schließlich rügt, ihre psychischen Erkrankungen seien durch die Amtssachverständige nicht umfassend beurteilt worden und hätten keinen Eingang in das Gutachten gefunden, sodass bereits die Erstbehörde hiezu eine Ergänzung des amtsärztlichen Gutachtens hätte einholen müssen bzw. die Beschwerdeführerin einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen gehabt hätte, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Amtssachverständige in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungsbehörde ihr Gutachten ergänzt und - wie oben ausgeführt - darauf hingewiesen hat, dass sie die Beschwerdeführerin nicht neuerlich begutachten müsse, weil sie ihr bekannt sei und sie sie bei Erstellung des Gutachtens vom persönlich befundet habe, sodass der Behörde erster Instanz allenfalls unterlaufene Verfahrensmängel als saniert anzusehen sind.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
KAAAE-86434