VwGH vom 19.10.2011, 2011/08/0167

VwGH vom 19.10.2011, 2011/08/0167

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des N D in Wien, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2011-0566-9-000479, betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldbezuges, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Arbeitslosengeldbezug des Beschwerdeführers ab eingestellt.

Nach Darlegung des Verfahrensgangs und des Berufungsvorbringens stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer vom bis als leitender Angestellter in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zur Firma O in Wien gestanden habe. Dieses Dienstverhältnis sei durch Kündigung seitens des Dienstgebers beendet worden. Für den Zeitraum vom bis sei dem Beschwerdeführer noch eine Urlaubsentschädigung für 85 Werktage ausbezahlt worden. Am habe der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld beantragt und dieses sei ihm ab in der Höhe von EUR 44,70 täglich ausbezahlt worden. Laut Bestätigung der Pensionsversicherungsanstalt vom habe der Beschwerdeführer die Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension frühestmöglich zum Stichtag erfüllt. Mit Schreiben der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien H vom sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, dass er ab einen Anspruch auf Alterspension und demnach gemäß § 22 AlVG ab keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Es sei daher erforderlich, spätestens bis zum bei der Pensionsversicherung einen Antrag auf Alterspension zu stellen. Nach Angaben des Beschwerdeführers habe er bei der Pensionsversicherungsanstalt keinen Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension eingebracht, um Abschläge zu verhindern.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass nach § 22 Abs. 1 erster Satz AlVG Arbeitslose, die eine Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG), dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) oder dem Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbstständig Erwerbstätiger (FSVG), ein Sonderruhegeld nach dem Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz (NSchG) oder einen Ruhegenuss aus einem Dienstverhältnis zu einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. § 22 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 102/2005 sei seit in Kraft und sehe unter anderem ausdrücklich den Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes beim Vorliegen des Tatbestandselements der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus den Versicherungsfällen des Alters vor. Es sei Sache des Gesetzgebers, im Rahmen seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit innerhalb der Schranken der Verfassung und dabei insbesondere des dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebotes, die Grenzen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld für Personen, die bereits die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension erfüllten, zu ziehen. Somit sei diese Bestimmung "jedenfalls bis zu einer Aufhebung, allenfalls nach einer Normenkontrolle durch den Verfassungsgerichtshof, seitens des Arbeitsmarktservice anzuwenden".

Demnach bestehe ab , also mit Stichtag der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld, auch wenn der Beschwerdeführer die Pensionsleistung (noch) nicht beantrage, um Abschläge zu vermeiden; der Bezug sei daher einzustellen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 465/11, ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat. Im Ablehnungsbeschluss verwies der Verfassungsgerichtshof auf seine einschlägige Rechtsprechung (zB VfSlg. 12.739/1991, 14.842/1997, 16.203/2001, sowie das Erkenntnis vom , G 74/10), vor deren Hintergrund angesichts der besonderen Aufgaben der Arbeitslosenversicherung die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sich als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 22 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 102/2005 lautet:

"Ausschluss bei Anspruch auf Alterspension

§ 22. (1) Arbeitslose, die eine Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG), BGBl. I Nr. 142/2004, dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG), BGBl. Nr. 560/1978, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz (BSVG) oder dem Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG), BGBl. Nr. 624/1978, ein Sonderruhegeld nach dem Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz (NSchG), BGBl. Nr. 354/1981, oder einen Ruhegenuss aus einem Dienstverhältnis zu einer öffentlichrechtlichen Körperschaft beziehen oder die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG steht dem Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz für den Zeitraum von einem Jahr, längstens bis zur Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, nicht entgegen, wenn das letzte Dienstverhältnis


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1.
durch Kündigung des Dienstgebers,
2.
durch berechtigten vorzeitigen Austritt,
3.
durch Lösung während der Probezeit oder
4.
unter der Voraussetzung, dass vor dem befristeten Dienstverhältnis kein unbefristetes Dienstverhältnis mit demselben Dienstgeber bestand, durch Fristablauf beendet wurde."
2.
Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht auf Gewährung von Arbeitslosengeld gemäß §§ 7 ff AlVG in Verbindung mit § 42 AlVG verletzt. Er macht geltend, dass gemäß § 223 Abs. 2 ASVG Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, jeweils der Monatserste ab Antragstellung durch den Versicherten sei. Es stehe im Ermessen des Versicherten, durch eine Antragstellung den Versicherungsfall eintreten zu lassen. Der Anfall eines Pensionsanspruchs erfolge nicht von Gesetzes wegen bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, sondern ausschließlich über Antragstellung.
Bei einer grundrechts- und verfassungskonformen Interpretation der Bestimmung des § 22 Abs. 1 AlVG sei eine Anspruchsvoraussetzung für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters unter anderem die Antragstellung. Es bestehe keine gesetzliche Verpflichtung des Beschwerdeführers, bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen einen Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer zu stellen. Der Beschwerdeführer sei auf Grund seiner Erwerbstätigkeit pflichtversichert in der Arbeitslosenversicherung und pflichtversichert in der Sozialversicherung. Er habe aus Gründen, die nicht von ihm zu vertreten seien, am seinen Arbeitsplatz verloren und auf Grund der über 30jährigen ununterbrochenen Beitragszahlung aus dem AlVG einen Antrag auf Gewährung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gestellt, weil er die Voraussetzungen gemäß §§ 7 ff AlVG hiefür erfüllt habe. Dem Beschwerdeführer sei bekannt gewesen, dass er bei einer Antragstellung auf eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer eine niedrigere Pensionsleistung erhalten werde, als wenn er bei Erreichung des Regelpensionsalters für die Alterspension mit ab dem die Alterspension beziehe. Es sei ihm auch bekannt, dass bei Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer die Verminderung gemäß § 5 Abs. 2 APG nicht mit Erreichung des Regelpensionsalters und des Anfalls der Alterspension ab wieder ausgeglichen werde, sondern die Höhe der Bemessung der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer auch beim Bezug der Alterspension beibehalten werde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liege eine sachliche Differenzierung nur dann vor, wenn sie innerhalb der Regelung einer bestimmten Materie vorgenommen werde. Dies sei hier nicht der Fall. Regelungen, die Differenzierungen innerhalb eines und desselben Rechtsinstitutes enthielten, welche nicht mit entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden könnten, würden gegen das Gleichheitsgebot verstoßen. Eine Differenzierung der Versicherten im Rahmen der Arbeitslosenversicherung nach dem Alter und der langen Versicherungsdauer mit dem Ergebnis, dass diejenigen, die eine lange Versicherungsdauer ohne Inanspruchnahme einer Leistung aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz und ein für die Inanspruchnahme einer Pension entsprechend hohes Alter aufwiesen im Verhältnis zu jüngeren Versicherten, deren Erwerbstätigkeit durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen gewesen seien, schlechter gestellt würden, sei sachlich nicht gerechtfertigt und stelle einen Eingriff in das "Grundrecht auf Eigentum und Vermögen" und einen Eingriff in das Grundrecht auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz dar. Aus der Gesetzesmaterie des Arbeitslosenversicherungsgesetzes lasse sich kein Grund ableiten, der rechtfertigen würde, dass der Beschwerdeführer trotz der jahrzehntelangen Beitragsleistung in der Arbeitslosenversicherung keinen Anspruch daraus für den Zeitraum vom bis erworben hätte. Die Anwendung der Bestimmung des § 22 Abs. 1 AlVG im konkreten Fall sei auch rechtspolitisch bedenklich, weil der Bezug des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe eine weit geringere Leistung der öffentlichen Hand an den Beschwerdeführer als der Bezug der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer darstelle.
3.
Der Beschwerdeführer zieht die Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde, wonach er zum Stichtag die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllte, nicht in Zweifel, meint aber, dass in verfassungskonformer Interpretation auch die Antragstellung für die Pension als "Anspruchsvoraussetzung" im Sinne des § 22 Abs. 1 AlVG zu verstehen sei.
Dem kann nicht gefolgt werden:
Zunächst ist festzuhalten, dass der in § 22 Abs. 1 AlVG verwendete Begriff der "Anspruchsvoraussetzungen" für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters in Zusammenhang mit § 86 Abs. 3 Z 2 ASVG zu verstehen ist, wonach Pensionen (mit Ausnahme der Hinterbliebenenpensionen) "mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (anfallen), wenn sie auf einen Monatsersten fällt, sonst mit dem der Erfüllung der Voraussetzungen folgenden Monatsersten, sofern die Pension binnen einem Monat nach Erfüllung der Voraussetzungen beantragt wird."
Schon daraus wird deutlich, dass die Antragstellung von der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen - im Wesentlichen der Anwartschaft - zu unterscheiden ist. Dieses Verständnis der Wendung "bzw. die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen" hat auch der Verfassungsgerichtshof seinem Erkenntnis vom , VfSlg. 16.203/2001, zugrunde gelegt, wo er § 22 Abs. 1 AlVG in der - diesbezüglich gleichlautenden - Fassung BGBl. Nr. 502/1993 zu beurteilen hatte; demnach habe der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 AlVG auch jene Personen vom Leistungsbezug ausgeschlossen, "welche (bloß) die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pensionsleistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, diese aber (zB zur Vermeidung von Abschlägen beim Steigerungsbetrag) noch nicht in Anspruch nehmen wollen."
Nach dem klaren Wortlaut, gestützt auch durch den systematischen Zusammenhang der Bestimmung, ist die Antragstellung für eine Pension daher nicht Teil der Ausschlussgründe im Sinne des § 22 Abs. 1 AlVG.
4.
Auch dass der Ausschluss vom Leistungsbezug nicht erst beim Erreichen des Regelpensionsalters, sondern bereits ab Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer besteht, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 AlVG, zumal dort ausdrücklich festgeschrieben ist, dass (lediglich) die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension gemäß § 4 Abs. 2 APG dem Anspruch auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz für den Zeitraum von einem Jahr nicht entgegen steht, dies aber "längstens bis Erreichung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer".
5.
Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken waren bereits in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ausgeführt worden, wurden von diesem jedoch - unter Hinweis auf seine einschlägige Rechtsprechung - nicht aufgegriffen. Auch der Verwaltungsgerichtshof vermag im Lichte dieser Rechtsprechung nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 22 AlVG seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hätte; insbesondere teilt der Verwaltungsgerichtshof - unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber mit der Bestimmung des § 22 Abs. 1 AlVG verfolgten Regelungsziels, eine Doppelversorgung aus den öffentlich-rechtlichen Systemen der sozialen Sicherheit zu vermeiden und dabei den Dauerversorgungen den Vorrang vor der temporären Transferleistung einzuräumen (vgl. Dirschmied-Pfeil, AlVG, S. 214) - nicht die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken betreffend eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Verhältnis zu jüngeren Erwerbstätigen, die keinen Anspruch auf eine vorzeitige Alterspension haben.
6.
Die Beschwerde war daher, da bereits ihr Inhalt erkennen ließ, dass die behauptete Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am