VwGH vom 19.03.2013, 2009/02/0257
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des N in P, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom , Zl. Senat-PL-07-3013, betreffend Übertretung der StVO 1960 (weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe am , 04.13 Uhr, an einem näher genannten Ort die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt gegenüber einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht verweigert, obwohl er ein dem Kennzeichen nach näher bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt habe und es habe vermutet werden können, dass er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe.
Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung des § 5 Abs. 2 und 4 iVm § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 1.162,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Tage) verhängt wurde.
In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, das unterfertigte Mitglied der belangten Behörde sei auch zur Entscheidung im Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers zuständig gewesen, welches mit Bescheid der belangten Behörde vom , Senat-AB-063042, endgültig in dem Sinn entschieden worden sei, dass der Berufung keine Folge geben und der erstinstanzliche Bescheid nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am vollinhaltlich bestätigt worden sei. Dieser Bescheid der belangten Behörde vom sei rechtskräftig und die Berufungsbehörde sei an diesen von ihr selbst erlassenen Bescheid wegen der im Verwaltungsverfahren geltenden Grundsätze der Unabänderlichkeit eigener Entscheidungen und der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gebunden. Wegen dieser Bindung und weil die Beweisaufnahme in der Berufungsverhandlung vom unmittelbar vor dem unterfertigten, auch nun zur Entscheidung zuständigen Mitglied der belangten Behörde erfolgte, seien die Beweisergebnisse und Feststellungen des genannten Verfahrens auch dem nun verfahrensgegenständlichen Bescheid zugrunde zu legen. In der Folge werden sodann wesentliche Passagen der Aussagen des Beschwerdeführers, mehrerer Zeugen sowie des medizinischen Sachverständigen wiedergegeben, die im Berufungsverfahren betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung in der mündlichen Verhandlung vom vor der belangten Behörde getätigt wurden.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird weiter ausgeführt, es ergebe sich aus der glaubwürdigen und schlüssigen Zeugenaussage des Meldungslegers (in der mündlichen Verhandlung am ), dass dieser entsprechend geschult und routiniert sei und die Fehlversuche auf die übermäßige Alkoholisierung und ein "Taktieren" des Beschwerdeführers zurückzuführen gewesen seien. Dem Beschwerdeführer sei entgegenzuhalten, dass die - von ihm leicht steuerbaren - Blasvolumina fast immer deutlich zu gering gewesen seien; er habe viermal keine korrekte Atmung eingesetzt und anscheinend nach Erzielung des einzigen relevanten - mit 1,01 mg/l auf eine relativ erhebliche Alkoholisierung hindeutenden - Ergebnisses beim sechsten Versuch zwar Kooperation vortäuschen wollen, aber die Blasvolumina weiterhin auffällig zu gering gehalten und schließlich, nachdem er beim neunten Versuch den Sollwerten schon wieder nahe gekommen sei, beim zehnten Mal wieder sowohl beim Volumen als auch bei der Blaszeit nur ganz geringe Werte und beim elften Mal gar keine Werte erzielt. Das vom Anzeigeleger geschilderte "Taktieren" finde somit in den Messergebnissen Bestätigung. Jedenfalls könne bei deren Betrachtung nicht die Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer "alles ihm Mögliche unternommen habe".
Die belangte Behörde habe (im Rahmen des Verfahrens betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung) ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, das aber nicht das Ergebnis erbracht habe, dass der Beschwerdeführer aus medizinischen Gründen (Schock oder Verletzung an der Oberlippe) außer Stande gewesen wäre, die geforderte Atemluftalkoholuntersuchung ordnungsgemäß zu absolvieren. Er habe selbst eingeräumt, dass er auf die Verletzung an der Oberlippe erst nachher aufmerksam geworden sei, was bedeute, dass sie ihm zuvor noch keine spürbaren Beschwerden habe verursachen können; weiters habe der Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar die Unterscheidung zwischen einem Unfallschock und dem (hier vorgelegenen) Unfallschreck dargestellt. Dass der Alkotest nach dem Verkehrsunfall für den Berufungswerber keine "normale Situation" dargestellt habe, sei nachvollziehbar, jedoch würden die wenigsten Probanden (noch dazu wenn sie wie der Beschwerdeführer zuvor Alkohol konsumiert und einen Unfall gehabt hätten), bei einem Alkotest "cool bleiben", sodass dies für sich allein nach der Lebenserfahrung noch keinen Grund für ungenügende Blasvolumina und unkorrekte Atmung bzw. im allgemeinen für Fehlversuche in so hoher Anzahl darstellen könne. Von einem Kraftfahrer, der die Risiken einer Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nehme, könne ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke verlangt werden, dass er einen Unfallschreck und die etwa drohenden Folgen überwinden könne.
Dafür, dass der Alkomat nicht einwandfrei funktioniert habe, liege kein Beweisergebnis vor; ganz im Gegenteil belegten die vom Meldungsleger in der Berufungsverhandlung vom vorgelegten Urkunden die Funktionsfähigkeit des Alkomaten im Tatzeitpunkt.
Zusammengefasst sei das Verhalten des Beschwerdeführers als Alkotestverweigerung zu werten und es seien bei ihm "keine medizinischen Hinderungsgründe für einen Alkomattest" vorgelegen bzw. habe er auf solche anlässlich der Messung unstrittiger Weise auch nicht hingewiesen.
Eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung sei in der Berufung nicht beantragt worden. Aufgrund der bereits abgehaltenen Berufungsverhandlung vor derselben Behörde und demselben Mitglied dieser Behörde im FSG-Verfahren und aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 51e Abs. 3 Z. 1 VStG (in der Berufung seien keine Sachverhaltsfragen aufgeworfen und Beweisaufnahmen beantragt, sondern nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet worden), sei von einer neuerlichen Berufungsverhandlung im Verwaltungsstrafverfahren abzusehen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher die Behandlung derselben mit Beschluss vom , B 524/08, ablehnte und sie in der Folge mit Beschluss vom gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
In seiner über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird u.a. eingewendet, die belangte Behörde habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Es entspreche den Tatsachen, dass in den Berufungen vom und vom vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers kein expliziter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung über das Rechtsmittel gestellt worden sei, dennoch wäre nach § 51e VStG eine solche durchzuführen gewesen, weil entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung nach § 51e Abs. 3 Z. 1 VStG nicht vorlägen, zumal in der Berufung Sachverhaltsfragen aufgeworfen und Beweisaufnahmen beantragt worden seien; die Rechtsmittelschrift enthalte keineswegs nur die Behauptung einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung durch die Erstbehörde.
Der Beschwerdeführer habe in der Berufung ausgeführt, dass sich schon aus den bisher vorgebrachten Argumenten ergebe, dass er den Tatbestand der Alkotestverweigerung nicht gesetzt habe. In der Berufung sei sowohl die Erfüllung des Tatbildes als auch das Vorliegen eines Verschuldens seinerseits bestritten, also die objektive und subjektive Tatseite erörtert worden.
Das Bestreiten des Vorliegens des Verschuldens an der zur Last gelegten Übertretung sei ein sachverhaltsbezogenes Vorbringen, das die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung über das Rechtsmittel notwendig gemacht habe.
Gemäß § 51e Abs. 3 Z. 1 VStG kann der unabhängige Verwaltungssenat von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen.
Die Formulierung in § 51e Abs. 3 Z. 1 VStG, dass von einer Berufungsverhandlung abgesehen werden kann, wenn in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung "behauptet" wird, kann nicht dahin ausgelegt werden, dass diese Voraussetzung für den Entfall der mündlichen Verhandlung schon dann nicht erfüllt ist, wenn der Berufungswerber Sachverhaltsfragen aufwirft, die für die Entscheidung über die Berufung keine Bedeutung haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2001/07/0116, 0117).
Wenn der Beschwerdeführer in seinen umfangreichen Berufungsausführungen darlegt, dass für die Beweisführung auch eine Blutabnahme nach § 5 Abs. 8 StVO 1960 zulässig und geboten gewesen wäre, geht dies an der eigentlich wesentlichen Frage, ob er im Zeitpunkt der Ablegung des Alkomattests überhaupt in der Lage war, einen solchen Test ordnungsgemäß durchzuführen, vorbei. Damit wäre keine Notwendigkeit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung - auch mangels eines diesbezüglichen Antrages des rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführers in seinem Berufungsschriftsatz - gegeben gewesen.
Insoweit die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aber die Meinung vertritt, sie sei aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung im Administrativverfahren betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung an die darin geäußerte Rechtsansicht, der Beschwerdeführer habe eine Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen, gebunden, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:
Die Rechtsansicht, wonach der unabhängige Verwaltungssenat bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschuldigte den strafbaren Tatbestand verwirklicht hat (objektiver Tatbestand) und auch der subjektive Tatbestand vorliegt (Schuld als Voraussetzung der Strafbarkeit) an einen (rechtskräftigen) Administrativbescheid gebunden sei, findet im VStG keine Deckung. Vielmehr ergibt sich schon aus § 25 Abs. 2 VStG dass die Verwaltungsstrafbehörde von Amts wegen sowohl den objektiv gegebenen Tatbestand als auch die subjektive Tatseite von Amts wegen festzustellen hat. Damit ist nicht gesagt, dass die Verwaltungsstrafbehörde grundsätzlich nicht an eine rechtskräftige Vorfragenentscheidung einer zuständigen Behörde gebunden sei. Vielmehr gilt gemäß § 24 VStG § 38 AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/06/0099). Die Bindungswirkung geht aber nicht so weit, dass damit der Strafbehörde keinerlei Kompetenz hinsichtlich des Schuldspruches zukäme, sondern nur mehr hinsichtlich der Strafbemessung. Die Beurteilung, ob ein Beschuldigter einen verwaltungsstrafrechtlichen Tatbestand verwirklicht hat und ihm auch das erforderliche Verschulden anzulasten ist, kommt allein der Strafbehörde zu (vgl. auch dazu das vorzitierte hg. Erkenntnis vom ).
Hat der Beschuldigte in der Berufung jedoch die Begehung der Tat bestritten, so wurde von ihm nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/17/0124).
Der Beschwerdeführer stellte bereits in seiner mit Schriftsatz vom erhobenen Berufung, wenngleich in völlig allgemeiner Form ausdrücklich in Abrede, die ihm zur Last gelegte Übertretung nach § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen zu haben. Ferner wies der Beschwerdeführer in diesem Schriftsatz darauf hin, dass der Meldungsleger - wie er im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vom (im Verfahren betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung) angegeben habe - der Meinung gewesen sei, die zehn Fehlversuche seien auf die übermäßige Alkoholisierung des Beschwerdeführers zurückzuführen.
Damit liegen entgegen der Ansicht der belangten Behörde aber nicht nur Einwendungen im Umfang einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung, sondern auch ein konkretes Bestreiten der Begehung der Tat vor. Da sohin die Voraussetzungen für den Entfall einer mündlichen Verhandlung nach § 51e Abs. 3 Z. 1 VStG - unbeschadet der in der mündlichen Verhandlung im Administrativverfahren erfolgten ergänzenden Ermittlungen durch die belangte Behörde - nicht gegeben waren, und die belangte Behörde - wie oben dargestellt - Feststellungen zur Tatfrage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (unter der Annahme einer Bindung an die Feststellungen im Berufungsbescheid betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung) traf, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Aufgrund dieses Ergebnisses erübrigt es sich auch, auf das weitere Beschwerdevorbingen näher einzugehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am