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VwGH vom 23.11.2020, Ra 2020/03/0106

VwGH vom 23.11.2020, Ra 2020/03/0106

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Zell am See gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. 405-12/49/1/11-2020 (berichtigt mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , Zl. 405-12/49/1/13-2020), betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in einer Angelegenheit nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz (mitbeteiligte Partei: E D in Z, vertreten durch Dr. Franz Essl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Salzburg gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG iVm § 35 VStG der gegen die Festnahme, das Anlegen der Handfesseln sowie gegen die Anhaltung in der Zelle der Polizeiinspektion Z am gerichteten Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten Folge und stellte fest, dass der Mitbeteiligte durch die zwangsweise durchgesetzte Festnahme um 20.17 Uhr vor und in den Räumlichkeiten der (näher bezeichneten) Bar (1.), durch das dabei erfolgte Anlegen der Handfesseln um 20.20 Uhr (2.) sowie durch die Anhaltung auf der Polizeiinspektion Z bis 21.12 Uhr (3.) in seinen Rechten verletzt worden sei (Spruchpunkt I.). Weiters wurde das Land Salzburg zum Aufwandersatz verpflichtet (Spruchpunkt II.) und die ordentliche Revision für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

2Das Verwaltungsgericht traf folgende (zusammengefasst wiedergegebene) Feststellungen:

Der Mitbeteiligte sei unbeschränkt haftender Gesellschafter der D. & Co KG. Diese betreibe in Z eine näher bezeichnete Bar, wobei der Mitbeteiligte über eine Gewerbeberechtigung für diese verfüge. Auf der Webseite der Bar werde in der Rubrik „Impressum“ auf die D. & Co KG hingewiesen. Auf dem gleichen Grundstück betreibe der Mitbeteiligte auch einen Tischlereibetrieb. Ein weithin sichtbares Schild auf der Fassade der Tischlerei weise auf deren Webseite hin. Auf der Startseite dieser Webseite werde neben dem Foto des Mitbeteiligten auf diesen als Inhaber der Tischlerei und dessen Handynummer hingewiesen.

Aufgrund der geltenden COVID-19-Bestimmungen habe die revisionswerbende Bezirkshauptmannschaft die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ersucht, Betriebsschließungen im Zuge ihres Streifendienstes zu kontrollieren. Am habe sich Z unter Quarantäne befunden. An diesem Tag habe sich der Mitbeteiligte gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und einer weiteren Person in der Bar aufgehalten. Über dem Schild mit den Öffnungszeiten sei auf die Schließung des Lokals wegen der zu dieser Zeit vorherrschenden COVID-19-Situation hingewiesen worden. Aufgrund eines Anrufes eines Passanten habe die Bezirksleitstelle zwei Polizeibeamte zur Bar des Mitbeteiligten beordert. Dort habe einer der beiden Polizeibeamten den Mitbeteiligten mit dem Vorwurf, entgegen der derzeit herrschenden COVID-19-Bestimmungen die Bar zu betreiben, konfrontiert. Dieser habe entgegnet, dass er lediglich ein Kundengespräch für seine Tischlerei führe. Die Polizeibeamten hätten zwei weitere Personen um einen Tisch erblickt, auf dem sich alkoholische Getränke befunden hätten. Deshalb habe der Polizeibeamte dem Mitbeteiligten vorgeworfen, das Lokal geöffnet zu haben, Alkohol auszuschenken und den geforderten Mindestabstand nicht einzuhalten. Der Mitbeteiligte habe den Polizeibeamten aufgefordert, seine Dienstnummer bekannt zu geben. Dieser wiederum habe den Mitbeteiligten aufgefordert, zunächst dessen Ausweis zur Identitätsüberprüfung vorzuzeigen.

Da sich nach mehrmaligen Aufforderungen des Polizeibeamten, einen Ausweis vorzuzeigen und im Gegenzug Aufforderungen des Mitbeteiligten, die Dienstnummer bekanntzugeben, die Situation zunehmend aufgeschaukelt habe, habe der Polizeibeamte Verstärkung angefordert. Die weiteren vier Polizeibeamten seien um 20.15 Uhr eingetroffen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Mitbeteiligte den anwesenden Polizeiorganen bekannt gewesen sei. Als sich der Mitbeteiligte zurück in das Lokal bewegt habe, habe sich die Türe aufgrund der automatischen Schließvorrichtung zu schließen begonnen, wobei einer der Polizeibeamten den Türgriff umfasst und die Türe wieder aufgezogen habe. In weiterer Folge habe der Mitbeteiligte versucht, die Türe zu schließen, wogegen ein Polizeibeamter unter Mithilfe eines weiteren Widerstand geleistet habe. Zeitgleich mit dem nochmaligen Öffnen der Türe habe der Polizeibeamte den Mitbeteiligten ohne vorhergehende Androhung oder Ankündigung am Arm ergriffen und diesen aus dem Lokal ziehen wollen. Dabei habe sich der Mitbeteiligte in die Gegenrichtung in das Lokal hineinbewegt. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Mitbeteiligte von den Polizeibeamten zu Boden gerissen worden sei oder sich der Mitbeteiligte gegen den Polizeibeamten fallen gelassen habe. Dem Mitbeteiligten seien daraufhin Handfesseln angelegt worden. In weiterer Folge sei der Mitbeteiligte zur Polizeiinspektion gebracht worden. Dort habe man ihm die Handfesseln entfernt, ihn durchsucht und anhand des in der Geldbörse befindlichen Führerscheins seine Identität feststellen können. Danach sei die Anhaltung aufrechterhalten worden, weil sich der Mitbeteiligte nicht kooperativ gezeigt habe. Die Anhaltung sei um 21.12 Uhr aufgehoben worden.

3Diese Feststellungen stützte das Verwaltungsgericht auf die mit der Beschwerde und der Gegenschrift vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht verlesenen Dokumente sowie auf das vom Verwaltungsgericht geführte Beweisverfahren mit den Einvernahmen des Mitbeteiligten, dessen Lebensgefährtin und der dritten Person, die sich im Zuge der Amtshandlung in der Bar befunden habe. Im Weiteren legte das Verwaltungsgericht im Einzelnen seine Erwägungen zur Beweiswürdigung dar.

4Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde zum einen gegen die Festnahme, verbunden mit der Gewaltanwendung und dem Anlegen der Handfesseln, sowie zum anderen gegen die Anhaltung in der Zelle der Polizeiinspektion richte. Zur Festnahme des Mitbeteiligten legte es näher dar, dass § 1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz) den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ermächtige, durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen zu untersagen. Von dieser Verordnungsermächtigung habe der Bundesminister Gebrauch gemacht und in § 3 der Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II 2020/96, das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe untersagt. Diese Bestimmung sei zum Zeitpunkt der gegenständlichen Amtshandlung am in Kraft gewesen. § 3 COVID-19-Maßnahmengesetz sanktioniere unter anderem das Betreten einer Betriebsstätte (Abs. 1) und das Unterlassen des Inhabers einer Betriebsstätte, dafür Sorge zu tragen, dass diese nicht betreten werde (Abs. 2), als Verwaltungsübertretungen. Da die Bar über eine Gewerbeberechtigung verfüge, sei diese als Gastbetrieb anzusehen. Das Betretungsverbot sei zum Tatzeitpunkt auf die Bar anwendbar gewesen. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 VStG reiche es aus, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund (und daher vertretbar) annehmen könne. Die einschreitenden Organe hätten im Ergebnis vertretbar vom Vorliegen einer Verwaltungsübertretung ausgehen können.

5Zur Zuständigkeit der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes legte das Verwaltungsgericht dar, dass gemäß § 2a Abs. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die nach dem Bundesgesetz zuständigen Behörden und Organe „über deren Ersuchen“ bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben bzw. zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen hätten. Die Bezirkshauptmannschaft habe die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ersucht, Betriebsschließungen im Zuge ihres Streifendienstes zu kontrollieren. Ein konkretes Ersuchen zur zwangsweisen Durchsetzung der Schließung der Bar am sei nicht vorgelegen. Der mit dem 3. COVID-19-Gesetz, BGBl. I 2020/23, eingefügte und am in Kraft getretene § 2a Abs. 1a COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtige Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, an der Vollziehung dieses Bundesgesetzes und der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen mitzuwirken. Nach den Materialien seien die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes „künftig ausdrücklich ermächtigt, Maßnahmen sowohl zur Vorbeugung gegen drohende Verwaltungsübertretungen als auch zur Einleitung und Sicherung des Verwaltungsstrafverfahrens zu ergreifen.“ Zum Zeitpunkt der gegenständlichen Amtshandlung am sei somit keine Ermächtigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorgelegen, Festnahmen nach § 35 VStG wegen einer Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz eigenständig - ohne konkretes Ersuchen der Behörde - durchzusetzen.

6Würde man die Zuständigkeit der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur zwangsweisen Festnahme wegen der vertretbar angenommenen Verwaltungsübertretung gemäß § 3 COVID-19-Maßnahmengesetz bejahen, wäre die Festnahme unverhältnismäßig. Die Identität des Mitbeteiligten wäre gemäß § 35 Z 1 VStG auch sonst feststellbar gewesen. Die Bar habe sich auf dem Grundstück unmittelbar neben der Tischlerei des Mitbeteiligten befunden. Auf der Fassade der Tischlerei sei ein Hinweis auf eine Domain der Tischlerei angebracht gewesen, auf deren Webseite das Gesicht des Mitbeteiligten samt seinem Namen zu sehen gewesen sei. Auf der Homepage der Tischlerei sei auf die Bar verwiesen worden. Mit wenigen Klicks habe somit auf die Identität des Mitbeteiligten geschlossen werden können. Schließlich sei der Mitbeteiligte als Betreiber der Bar bekannt, was die Polizeiorgane ebenfalls innerhalb von wenigen Minuten hätten herausfinden können. Wiederum unabhängig davon habe sich der Mitbeteiligte selbst als „Chef“ des Lokals zu erkennen gegeben.

7Auch die Festnahmeermächtigung des Verharrens in der Fortsetzung der strafbaren Handlung gemäß § 35 Z 3 VStG scheide im gegenständlichen Fall aus. Die vorherige Abmahnung sei eine unerlässliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Festnahme. Eine solche Abmahnung liege nicht vor.

8Schließlich stehe die Festnahme außer Verhältnis zur vorgeworfenen Verwaltungsübertretung. Die zwangsweise durchgesetzte Festnahme sei somit rechtswidrig. Aufgrund der rechtswidrigen Festnahme seien auch alle nachfolgenden Akte zur Durchsetzung derselben rechtswidrig. Dies treffe auf das Anlegen der Handfesseln und die Anhaltung in der Zelle zu.

9Die weiteren Ausführungen beziehen sich auf die Kostenentscheidung und auf die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision: Das Verwaltungsgericht weiche mit seiner Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgebenden materiell- und verfahrensrechtlichen Bestimmungen, soweit relevant, auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es lägen auch keine sonstigen Hinweise für eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft Zell am See, die zur Begründung der Zulässigkeit fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage geltend macht, ob aufgrund des Ersuchens der Bezirkshauptmannschaft eine Ermächtigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 2a Abs. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz zur Durchsetzung der Betriebsschließung vorgelegen sei. Die Bezirkshauptmannschaft vertritt die Auffassung, dass es nichts an der Ermächtigung der öffentlichen Sicherheitsorgane ändere, die Behörde bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben zu unterstützen, wenn sich das Ersuchen nicht konkret auf den gegenständlichen Gastgewerbebetrieb des Mitbeteiligten bezogen habe. Zur „Ausübung der beschriebenen Aufgaben“ gehöre ebenso die Einleitung und Sicherung der im COVID-19-Maßnahmengesetz normierten Strafbestimmungen. Darüber hinaus seien die verfahrensgegenständliche Festnahme, das Anlegen der Handschellen sowie die Anhaltung auf der Polizeiinspektion verhältnismäßig gewesen. Aus der Kombination dessen, dass der Mitbeteiligte unkooperativ gewesen sei, alkoholische Getränke getrunken worden seien und er auch angegeben habe, ein Kundengespräch zu führen, was für einen Gastgewerbebetrieb untypisch sei, sei für die einschreitenden Beamten nicht ableitbar gewesen, dass es sich um den Inhaber des Gastgewerbebetriebes handle. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Beamten im Zuge der Amtshandlung die auf dem Tischlereibetrieb angebrachte Webseite hätten abfragen sollen.

11Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12Die Revision erweist sich bereits hinsichtlich des Zulässigkeitsvorbringens in Bezug auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 2a Abs. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Zur maßgeblichen Rechtslage

13Im Zeitpunkt der Amtshandlung am stand das COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl. I Nr. 12/2020, in der Fassung BGBl. I Nr. 16/2020, in Geltung. Die für den Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen daraus lauten (auszugsweise):

Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte

§ 1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des § 2 Abs. 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind.“

„Mitwirkung von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes

§ 2a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben die nach diesem Bundesgesetz zuständigen Behörden und Organe über deren Ersuchen bei der Ausübung ihrer beschriebenen Aufgaben bzw. zur Durchsetzung der vorgesehenen Maßnahmen erforderlichenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln zu unterstützen.

[...]“

„Strafbestimmungen

§ 3. (1) Wer eine Betriebsstätte betritt, deren Betreten gemäß § 1 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte, deren Betreten gemäß § 1 untersagt ist, nicht betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 30 000 Euro zu bestrafen. Wer als Inhaber einer Betriebsstätte nicht dafür Sorge trägt, dass die Betriebsstätte höchstens von der in der Verordnung genannten Zahl an Personen betreten wird, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.

[...]“

14Mit der Novelle BGBl. I Nr. 23/2020 - in Kraft getreten am - wurde in § 2a COVID-19-Maßnahmengesetz folgender Absatz 1a neu eingefügt:

„(1a) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben an der Vollziehung dieses Bundesgesetzes und der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen mitzuwirken durch

1.Maßnahmen zur Vorbeugung gegen drohende Verwaltungsübertretungen,

2.Maßnahmen zur Einleitung und Sicherung eines Verwaltungsstrafverfahrens und

3.die Ahndung von Verwaltungsübertretungen durch Organstrafverfügungen (§ 50 VStG).“

15Auf der Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmengesetzes erließ der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, BGBl. II Nr. 96/2020. § 3 in der im Revisionsfall anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 130/2020; im Folgenden: Covid-19-Maßnahmenverordnung-96 lautete (auszugsweise):

„§ 3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

[...]“

16§ 35 VStG, BGBl. Nr. 52/1991 lautet:

Festnahme

§ 35. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

1.Der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

2.Begründeter Verdacht besteht, daß er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

3.Der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.“

Zum Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage für die Festnahme

17Das Verwaltungsgericht stützte die Feststellung der Rechtsverletzung zunächst auf eine fehlende gesetzliche Ermächtigung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Festnahme nach § 35 VStG. Das Verwaltungsgericht vertrat die Auffassung, dass sich das Ersuchen der Behörde um Unterstützung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Sinne des § 2a Abs. 1 COVID-19-Maßnahmengesetz auf eine konkrete Betriebsstätte hätte beziehen müssen und leitete aus den Materialien zu dem am (und somit zwei Tage nach dem gegenständlichen Vorfall) in Kraft getretenen Abs. 1a des § 2a COVID-19-Maßnahmengesetzes (AB 115 BlgNR. 27. GP, S 20) ab, dass erst mit der Einfügung dieser Bestimmung eine generelle Ermächtigung der öffentlichen Sicherheitsdienste zur selbständigen Festnahme nach § 35 VStG geschaffen worden sei.

18Dabei übersieht das Verwaltungsgericht, dass bereits § 35 VStG die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt - außer in den gesetzlich besonders geregelten Fällen - Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festzunehmen, wenn der Betretende dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist. § 2a Abs. 1 und - wenn auch zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Maßnahme noch nicht in Kraft - Abs. 1a COVID-19-Maßnahmengesetz regeln zwar, unter welchen Voraussetzungen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die zuständige Gesundheitsbehörde zu unterstützen bzw. an der Vollziehung mitzuwirken haben, sie regeln aber die Voraussetzungen für die Festnahme von Personen, die auf frischer Tat bei einer Übertretung des COVID-19-Maßnahmengesetzes oder einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung betreten werden, nicht besonders im Sinne des § 35 VStG.

19Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt voraus, dass die festzunehmende Person „auf frischer Tat betreten“ wird. Das heißt, diese Person muss eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (vgl. , mwN).

20Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt konnten die einschreitenden Organwalter - wie das Verwaltungsgericht auch zutreffend dargelegt hat - vertretbar vom Vorliegen einer Übertretung des § 3 Covid-19-Maßnahmenverordnung-96 durch den Mitbeteiligten ausgehen, wobei dieser dabei auf frischer Tat im Sinne des § 35 VStG betreten wurde. Daran ändert auch nichts, dass der Verfassungsgerichtshof den hier maßgeblichen § 3 der Verordnung mit Erkenntnis vom , V 405/2020-14, als gesetzwidrig aufgehoben und ausgesprochen hat, dass die gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Ex ante betrachtet konnten die einschreitenden Organwalter trotzdem mit gutem Grund von einer zu ahndenden Verwaltungsübertretung ausgehen. Damit waren die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Feststellung der Identität nach § 34b VStG und unter den Voraussetzungen des § 35 Z 1 VStG - wenn die Feststellung der Identität nicht sofort möglich war - zur Festnahme nach ermächtigt.

21Indem das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legte, dass keine gesetzliche Ermächtigung der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Festnahme wegen einer Übertretung des COVID-19-Maßnahmengesetzes vorgelegen sei, hat es sein Erkenntnis daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Zur Verhältnismäßigkeit der Festnahme

22Darüber hinaus wendet sich die Revision gegen die vom Verwaltungsgericht alternativ herangezogene Begründung, wonach die Festnahme und die damit zusammenhängenden Maßnahmen unverhältnismäßig gewesen wären, weil die Identität des Mitbeteiligten leicht feststellbar gewesen wäre.

23Der Festnahmegrund nach § 35 Z 1 VStG setzt ungeachtet einer allenfalls verweigerten Ausweisleistung einen dem amtshandelnden Organ unbekannten Betretenen voraus, dessen Identität auch sonst (also anders als durch Ausweisleistung) nicht sofort feststellbar ist. Welche alternativen Methoden der Identitätsfeststellung in Betracht kommen, normiert das Gesetz nicht ausdrücklich. Nach dem Zweck der Vorschrift (Sicherung der Strafverfolgung; vgl. Art. 2 Abs. 1 Z 3 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit - PersFrG) ist es freilich erforderlich, dass die Maßnahmen zur „sonstigen Identitätsfeststellung“ ausreichende Verlässlichkeit bieten müssen, und zwar in einem solchen Maß, wie es üblicherweise durch Vorzeigen eines Ausweises erreicht wird. Allerdings dürfen - auch vor dem Hintergrund des allgemein für behördliches Handeln bestimmenden Verhältnismäßigkeitsgebotes (vgl. Art. 1 Abs. 3 PersFrG) - nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden, weil andernfalls die Möglichkeit einer Identitätsfeststellung ohne Ausweis weitgehend leer liefe. In Betracht kommt daher etwa eine „Identitätsbezeugung“ durch eine unbedenkliche dritte Person (vgl. , mwN).

24Unstrittig ist zunächst, dass der Mitbeteiligte den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes unbekannt war und sich trotz Aufforderung nicht ausgewiesen hat. Feststellungen dazu, dass die verlässliche Feststellung der Identität durch unbedenkliche dritte Person vor Ort möglich gewesen wäre (etwa durch die Lebensgefährtin des Mitbeteiligten oder die andere in der Bar befindliche Person), wurden im angefochtenen Erkenntnis nicht getroffen.

25Das Verwaltungsgericht stützte seine rechtlichen Ausführungen vielmehr auf die Möglichkeit, „mit wenigen Klicks“ die Identität des Mitbeteiligten festzustellen. Es argumentierte näher damit, dass über die Webseite der Tischlerei, deren Domain auf der Fassade der neben der Bar befindlichen Tischlerei ersichtlich gewesen sei, das Gesicht des Mitbeteiligten samt dessen Namen und Handynummer abgerufen hätte werden können.

26Vor dem Hintergrund der oben dargelegten Rechtsprechung ist allerdings nicht erkennbar, dass diese Möglichkeit der Identitätsfeststellung eine ausreichende Verlässlichkeit in dem Ausmaß böte, wie es üblicherweise durch Vorzeigen eines Ausweises erreicht wird (dies auch abgesehen von der hier nicht weiter zu verfolgenden Frage, inwieweit eine derartige Internet-Recherche den einschreitenden Organen vor Ort möglich und in der konkreten Situation zumutbar gewesen wäre, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass § 35 Z 1 VStG darauf abstellt, dass die Identität sofort feststellbar sein muss).

27Die vom Verwaltungsgericht herangezogene Argumentation findet auch in den Feststellungen keine Deckung, weil daraus nicht ersichtlich ist, dass für die einschreitenden Organe eine Verbindung zwischen der Bar und der auf demselben Grundstück befindlichen Tischlerei erkennbar gewesen wäre. Ebenso wenig sind dem angefochtenen Erkenntnis Ausführungen zu entnehmen, wie die Polizeiorgane aufgrund der Bekanntheit des Mitbeteiligten in Z „innerhalb von wenigen Minuten“ dessen Identität hätten herausfinden sollen. Soweit das Verwaltungsgericht darüber hinaus im Zuge der rechtlichen Beurteilung ausführt, dass der Mitbeteiligte sich selbst als „Chef“ des Lokals zu erkennen gegeben habe, fehlt es insbesondere vor dem Hintergrund der in der Beweiswürdigung wiedergegeben Aussagen eines Polizeibeamten, wonach der Mitbeteiligte gesagt habe, dass er der Chef sei und die Beamten das so verstanden hätten, dass er der Chef der Amtshandlung, aber nicht der Chef des Lokals sei, an entsprechenden eindeutigen Feststellungen, wonach der Mitbeteiligte von den einschreitenden Organen als Betriebsinhaber der Bar zu erkennen war.

28Da damit auch die alternativ herangezogene Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht frei von Rechtsfehlern ist, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit eines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020030106.L00

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