TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 30.03.2011, 2009/02/0249

VwGH vom 30.03.2011, 2009/02/0249

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom , Zl. Senat-AM-08-3024, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei: M A, V), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis vom erkannte die BH A den Mitbeteiligten schuldig, er habe am gegen 14:30 Uhr als Arbeitgeber Walter A und Marcel M als Arbeitnehmer im Zuge von Montagearbeiten zur Herstellung von Sonnenschutzrollos auf der Baustelle W in L beschäftigt, wobei diese auf einem zweietagigen nur teilweise abgetragenen bzw. unvollständig errichteten Metallrohrgerüst tätig gewesen seien, welches weder mit dem einzurüstenden Objekt sicher verankert noch freistehend standsicher aufgestellt gewesen und somit keine Sicherheit gegen Kippen gegeben gewesen sei, obwohl bei nicht verankerten Gerüsten die Sicherheit gegen Kippen durch eine fachkundige Person nachzuweisen und kein solcher Nachweis vorgelegen sei.

Der Beschwerdeführer habe dadurch § 130 Abs. 5 Z 1 Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG) iVm § 118 Abs. 3 ASchG iVm § 65 Abs. 5 Z 3 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) iVm § 62 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 BauV verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von 500,-- EUR je Arbeitnehmer, insgesamt somit 1.000,-- EUR (Ersatzfreiheitsstrafe insgesamt 48 Stunden), verhängt wurde.

In der Begründung stellte die erstinstanzliche Behörde über den im Spruch des Straferkenntnisses wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, dass am ein Teilabbau des ursprünglich vorhandenen mehretagigen Metallrohrgerüstes erfolgt sei und lediglich zwei Etagen, die jedoch nicht mehr mit dem Bauwerk fest verbunden gewesen seien, stehengeblieben seien. Die Höhe des Gerüsts habe 4 m betragen, die Aufstandsbreite 0,7 m. Ein Nachweis zur Kippsicherheit durch eine fachkundige Person sei nicht erbracht worden. Überdies habe der Arbeitnehmer Walter A. auf der obersten Etage des Gerüstes eine Leiter an das Bauwerk angelehnt, um noch ausständige Arbeiten bewerkstelligen zu können; dies sei infolge der auftretenden Kräfte kausal für das Umstürzen des Gerüstes und den Unfalltod des Genannten sowie die Verletzungen des Marcel M infolge des Sturzes gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte die erstinstanzliche Behörde aus, Schutzeinrichtungen seien an allen Gefahrenstellen anzubringen, bei denen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass Arbeitnehmer sie im Zuge der Durchführung ihres Auftrages betreten könnten. Der Arbeitgeber habe nicht nur für die Anbringung, sondern auch für die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeiten an Schutzeinrichtungen durch Dritte zu sorgen, wenn er eigene Arbeitnehmer auf den Schutzeinrichtungen - zum Beispiel auf Gerüsten - einzusetzen gedenke. Der Mitbeteiligte habe seine Verpflichtung zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Bestimmungen im Hinblick auf den Bauarbeiterschutz nicht eingehalten. Es obliege dem Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die in der BauV geforderten Schutzvorrichtungen während der gesamten Arbeitszeit angebracht seien und den gesetzlichen Anforderungen entsprächen. Trotz Übertragung der Aufstellungsarbeiten von Gerüsten an mitunter darin besser organisierte, ausgebildete und ausgerüstete Unternehmen könne sich ein Arbeitgeber nur infolge dieser Delegation nicht von sämtlichen ihn als Arbeitgeber treffenden Sorgfaltspflichten befreien, er habe für ein eigenständiges und wirksames innerbetriebliches Kontrollsystem Sorge zu tragen. Gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern habe das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen.

Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung des Mitbeteiligten hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.

In der Begründung gab die belangte Behörde den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides sowie jenen der Berufung wieder, in der der Mitbeteiligte im Wesentlichen eingewendet habe, das umgestürzte Gerüst sei von einem anderen Unternehmen aufgestellt worden; er habe auf die Standsicherheit des Gerüstes vertrauen dürfen. Auf Grund der Ergebnisse der Beweisaufnahmen in der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung stellte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid unter anderem fest, dass Walter A und Marcel M am auf einem Metallrohrgerüst mit Montagetätigkeiten beschäftigt gewesen seien, wobei das Metallrohrgerüst weder mit dem einzurüstenden Objekt sicher verankert noch freistehend standsicher aufgestellt gewesen sei. Die kleinste Aufstandsbreite des Gerüstes habe ca. 70 cm betragen. Die Sicherheit gegen Kippen sei nicht von einer fachkundigen Person nachgewiesen worden. Von Walter A sei eine Stehleiter auf das Gerüst gestellt worden, weil er die Montagestelle von der obersten Gerüstlage nicht habe erreichen können. Schon am Tag davor sei es zu Teilabbauarbeiten des Gerüstes über Auftrag eines anderen Unternehmens gekommen. Zu dieser Zeit seien die Mauerhaken aus der Fassade entfernt und das Gerüst unfixiert zurückgelassen worden. Walter A sei am im Krankenhaus verstorben, Marcel M sei bei dem Arbeitsunfall verletzt worden. Das Gerüst sei von den Arbeitnehmern des Mitbeteiligten schon mehrere Monate benützt worden. Das Unternehmen des Mitbeteiligten verfüge selbst über keine solchen Gerüste. Auf den jeweiligen Baustellen würden Fremdgerüste benützt werden. Das in Rede stehende Gerüst sei von einer hiezu befugten Firma aufgestellt worden. Nach dem Teilabbau des Baugerüstes sei es jedoch verabsäumt worden, die noch vorhandenen Gerüstlagen entsprechend zu sichern. Die zwei Arbeitnehmer des Mitbeteiligten hätten bis zum Unfall in den frühen Nachmittagsstunden auf diesem Gerüst gearbeitet. Offensichtlich erst durch die Verwendung der Anlegeleiter auf dem Gerüst sei dieses von der Fassade weggedrückt worden, wodurch es zum Einsturz gekommen sei. Das Aufstellen der Anlegeleiter sei durch den Vater des Mitbeteiligten erfolgt, der seit ca. 30 Jahren derartige Arbeiten durchgeführt und auch ständig Baugerüste zur Durchführung seiner Arbeiten benutzt habe. Auf Grund der monatelangen problemlosen Benützung des Baugerüstes, das durch eine dazu befugte Firma aufgebaut und umgebaut worden sei, sowie des Umstandes, dass letztendlich der Unfall durch die Verwendung der Anlegeleiter erfolgt sei, sehe die belangte Behörde die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Verwaltungsübertretung als nicht vorwerfbar und als nicht erwiesen an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende gemäß § 13 ArblG erhobene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird zusammengefasst gerügt, die belangte Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Mitbeteiligten die Einhaltung der in Rede stehenden arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen nicht vorwerfbar sei, weil er - so die Beschwerde - nicht glaubhaft gemacht habe, dass er alle zumutbaren Maßnahmen getroffen habe, um die Einhaltung der in Rede stehenden Bestimmungen zu gewährleisten. Im Übrigen gehe aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht hervor, weshalb die belangte Behörde vom Fehlen eines Verschuldens des Mitbeteiligten ausgegangen sei.

Gemäß § 62 Abs. 4 BauV in der hier anwendbaren Fassung vor der Novelle BGBl. II Nr. 408/2009 darf ein unvollständig errichtetes oder nur teilweise abgetragenes Gerüst, das den Anforderungen an Gerüste nicht voll entspricht, nicht benützt werden.

Gemäß § 65 Abs. 5 Z 3 BauV (ebenfalls in der hier anwendbaren Fassung vor der Novelle BGBl. II Nr. 408/2009) ist der Nachweis der Sicherheit gegen Kippen durch eine fachkundige Person bei nichtverankerten Gerüsten zu erbringen, es sei denn, die kleinste Aufstandsbreite bei Aufstellung des Gerüsts beträgt im Freien mindestens 2,00 m.

Gemäß § 161 BauV in Verbindung mit § 130 Abs. 5 Z 1 iVm § 118 Abs. 3 AschG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber den Bestimmungen der BauV zuwider handelt.

Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei den Bestimmungen der BauV um arbeitnehmerschutzrechtliche Regelungen. Allen arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen ist gemeinsam, dass sie den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Auge haben. Dabei ist der Arbeitgeber regelmäßig dann für eine Beeinträchtigung dieser Rechtsgüter seines Arbeitnehmers verantwortlich, wenn er Schutzvorschriften, die in seinem Einflussbereich zu erfüllen wären, nicht beachtet. Der Arbeitgeber ist somit verpflichtet, die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu überprüfen und nur soweit diese gegeben sind, dem Arbeitnehmer die Verrichtung seiner Tätigkeit zu ermöglichen. Es kommt dabei auch nicht darauf an, dass sich die in Rede stehenden Bestimmungen der BauV nur an denjenigen Unternehmer richten, der die Bauarbeiten durchführt; die Anordnungen richten sich auch an den Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer eine von einem Dritten hergestellte Vorrichtung betreten sollen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2007/02/0279).

Wurde demnach ein Gerüst nicht vom Arbeitgeber selbst, sondern von einem Dritten aufgestellt, ist bei einer Benützung des Gerüstes durch seine Arbeitnehmer trotzdem der Arbeitgeber für die Einhaltung der das Gerüst betreffenden arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen verantwortlich.

Nach dem im angefochtenen Bescheid festgestellten - unbekämpften - Sachverhalt hat der Mitbeteiligte als Arbeitgeber weder einen Nachweis der Sicherheit des Gerüstes gegen Kippen durch eine fachkundige Person erbracht noch hat er dafür gesorgt, dass das teilweise abgetragene Gerüst von seinen Arbeitnehmern nicht benützt wird. Davon ausgehend hat der Mitbeteiligte demnach § 62 Abs. 4 BauV und § 65 Abs. 5 Z 3 BauV übertreten.

Während die erstinstanzliche Behörde vor dem Hintergrund des von ihr festgestellten Sachverhaltes, der in den wesentlichen Teilen auch der Entscheidung der belangten Behörde zu Grunde liegt, von einer Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten ausgegangen ist, hat die belangte Behörde die - dargestellte -Rechtslage insofern verkannt, als es an dieser Verantwortlichkeit nichts ändert, wenn das Gerüst nicht vom Mitbeteiligten auf- und umgebaut und monatelang problemlos von seinen Arbeitnehmern benutzt worden ist oder wenn die Verwendung der Anlegeleiter den Unfall verursacht hat. Gegenstand des Verfahrens ist nämlich ausschließlich die Nichteinhaltung der angeführten arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen durch den Arbeitgeber zum festgestellten Zeitpunkt; deren Verletzung hat der Mitbeteiligte gar nicht bestritten.

Dies zu Grunde gelegt hat die belangte Behörde den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht unrichtig beurteilt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war.

Wien, am