Suchen Hilfe
VwGH vom 14.02.2013, 2011/08/0140

VwGH vom 14.02.2013, 2011/08/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Mag. Daniel Kornfeind, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 27/28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-423979/0002-II/A/3/2010, betreffend Pflichtversicherung nach dem B-PVG (mitbeteiligte Partei: E K in L, vertreten durch Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte OG in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 20), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 und der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt vom wurde ausgesprochen, dass die am geborene Mitbeteiligte vom bis nicht in der Pensionsversicherung der Bauern pflichtversichert sei (Spruchpunkt 1). Dem Antrag vom auf Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Pensionsversicherung werde nicht entsprochen (Spruchpunkt 2).

Begründend führte die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt im Wesentlichen aus, laut dem Antrag der Mitbeteiligten vom sei sie in der Zeit von Juli 1974 bis in der Landwirtschaft ihres Vaters hauptberuflich beschäftigt gewesen. Aus den Unterlagen des elterlichen Betriebes ergebe sich, dass eine Anmeldung der Mitbeteiligten zur Pflichtversicherung durch den Vater der Mitbeteiligten erstmals am mit dem Zeitpunkt erstattet worden sei. Zur Abklärung der Versicherungszeiten vor dem sei am die Mutter um Bekanntgabe ersucht worden, wann die Mitbeteiligte die Pflichtschule beendet und welche hauptberufliche Beschäftigung sie bis ausgeübt habe. Zu dieser Anfrage habe der Vater der Mitbeteiligten erklärt, dass die Mitbeteiligte von bis bei H, Sattlermeister in W in Deutschland, als Hausgehilfin beschäftigt gewesen sei. Die nunmehrigen Angaben des Vaters der Mitbeteiligten, es sei niemals eine Beschäftigung bei H vorgelegen, seien nicht geeignet, die damalige Meldung zu widerlegen.

Es stehe somit fest, dass die Mitbeteiligte in der Zeit von bis wegen einer ausländischen Erwerbstätigkeit nicht hauptberuflich im elterlichen Betrieb beschäftigt gewesen sei. In dieser Zeit liege somit auch keine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung vor, weshalb der Antrag auf Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Pensionsversicherung abzulehnen gewesen sei.

Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Einspruch und legte "eidesstattliche Erklärungen" (ihres Vaters, ihrer Mutter, ihrer Geschwister und des H) vor.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes vom wurde dem Einspruch keine Folge gegeben.

Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung und legte weitere "eidesstattliche Erklärungen" (von Nachbarn und vom Gemeindearzt) vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und stellte fest, dass die Mitbeteiligte in der Zeit von bis der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 2 B-PVG in der Pensionsversicherung der Bauern unterlegen sei (Spruchpunkt 1). Weiter wies die belangte Behörde die Berufung, soweit sie sich auf das Recht zur Nachentrichtung verjährter Beiträge beziehe, als unzulässig zurück (Spruchpunkt 2).

Begründend führte die belangte Behörde - nach Schilderung des Verfahrensganges - im Wesentlichen aus, in Angelegenheiten der Nachentrichtung verjährter Beiträge bestehe kein Rechtsmittel an die belangte Behörde; insoweit sei daher die Berufung zurückzuweisen gewesen.

Die Mitbeteiligte habe am das 15. Lebensjahr vollendet gehabt. Einzige Streitfrage sei, ob die Mitbeteiligte im strittigen Zeitraum - anders als ihr Vater mit Schreiben vom angegeben habe - hauptberuflich im elterlichen Betrieb beschäftigt gewesen sei.

Der Vater der Mitbeteiligte habe zwei einander widersprechende Aussagen getätigt, eine davon in zeitlicher Nähe zum strittigen Zeitraum, die zweite über 30 Jahre später. Die Mitbeteiligte habe auf eine Reihe möglicher Gründe hingewiesen, die ihren Vater dazu veranlasst haben könnten, im Jahr 1977 unwahre Angaben zu machen. So bringe die Mitbeteiligte in nachvollziehbarer Weise vor, dass ihr Vater zunächst auf die Anmeldung seiner Tochter vergessen habe und nach drei Jahren befürchtet habe, er müsse im Falle einer Nachmeldung seiner Tochter hohe Beitragszahlungen nachleisten.

Überdies seien zwei allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen der letzten 30 Jahre zu berücksichtigen: Seit 1977 habe sich das Bewusstsein der Bevölkerung über die Bedeutung einer eigenständigen Pensionsversicherung für Frauen entscheidend geändert. Auch seien in den letzten 30 Jahren, was die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu Pensionsleistungen betreffe, einschneidende Gesetzesänderungen vorgenommen worden, deren bevorstehende Notwendigkeit 1977 noch nicht öffentlich diskutiert worden sei. Vor diesem Hintergrund erschienen die Angaben der Mitbeteiligten nachvollziehbar und lebensnahe, wonach ihr Vater im Jahr 1977 die Anfrage der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt einfach falsch beantwortet habe, ohne vorher bei der Sozialversicherungsanstalt nachzufragen, da er als einzige realistische Konsequenz einer nachträglichen Meldung seiner Tochter im elterlichen Betrieb mögliche Nachzahlungen vor Augen gehabt habe. Es müsse ihrem Vater nicht bewusst gewesen sein, dass er durch die fehlende Nachmeldung der Mitbeteiligten und durch den falschen Hinweis auf ihre angebliche Beschäftigung in Deutschland seiner Tochter für deren Zukunft Schaden zufügen könne. Aus diesem Blickwinkel erscheine es auch glaubwürdig, dass sich der Vater der Mitbeteiligten an sein seinerzeitiges Schreiben nicht mehr habe erinnern können.

Die von der Mitbeteiligten angebotenen Beweismittel erschienen im vorliegenden Gesamtzusammenhang durchwegs geeignet zu belegen, dass ihre Behauptungen der Wahrheit entsprechen würden.

Es sei daher davon auszugehen, dass die Mitbeteiligte in der Zeit von bis hauptberuflich im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen sei.

Gegen Spruchpunkt 1 dieses Bescheides wendet sich die Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. § 2 Bauern-Pensionsversicherungsgesetz (B-PVG, BGBl. 28/1970) lautete in der Fassung der 2. Novelle BGBl. 33/1973 (auszugsweise):

"(1) Auf Grund dieses Bundesgesetzes sind, soweit es sich um natürliche Personen handelt und nicht eine Ausnahme nach § 3 gegeben ist, pflichtversichert:

1. Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)- wirtschaftlichen Betrieb im Sinne der Bestimmungen des Landarbeitsgesetzes vom , BGBl. Nr. 140, führen oder auf deren Rechnung und Gefahr ein solcher Betrieb geführt wird;

2. die Kinder, Enkel, Wahl- und Stiefkinder sowie die Schwiegerkinder einer in Z. 1 genannten Person, alle diese, wenn sie hauptberuflich in diesem Betrieb beschäftigt sind;

(…)

(3) Die Pflichtversicherung besteht für die im Abs. 1 bezeichneten Personen nur, wenn sie das 15. Lebensjahr vollendet haben. (…)".

2. Die beschwerdeführende Sozialversicherungsanstalt macht geltend, die spätere Erklärung des Vaters könne bei der Ermittlung des Sachverhaltes nicht herangezogen werden. Einerseits könne nicht herausgefunden werden, wann der Vater der Mitbeteiligten die Unwahrheit bestätigt habe. Tatsache sei, dass er jedenfalls einmal eine Falschbestätigung ausgestellt habe, sodass seine Glaubwürdigkeit zweifelhaft sei. Zum anderen komme der ursprünglichen Bestätigung erhöhte Beweiskraft zu, weil er damals sogar habe benennen können, wo und bei wem die Mitbeteiligte tätig gewesen sei. Dass ein Fantasiename herangezogen worden sei, werde dadurch widerlegt, dass auch diese Person eine entsprechende eidesstättige Erklärung abgegeben habe.

Zur eidesstättigen Erklärung des H sei zu bemerken, dass auch für diesen das Motiv, sich Beiträge zu ersparen, ins Treffen geführt werden könne. Dieser habe ein Interesse, nunmehr falsch zu bestätigen, dass die Mitbeteiligte nicht bei ihm tätig gewesen sei, weil sonst etwaige Nachzahlungen drohen könnten oder auch die Mitbeteiligte ihm gegenüber Ansprüche geltend machen könnte.

Hinsichtlich der übrigen eidesstättigen Erklärungen ("Geschwister etc.") sei anzumerken, dass diese nahezu wortident und vorgeschrieben worden seien, sodass sie bloß hätten unterfertigt werden müssen. Es sei davon auszugehen, dass es sich dabei um "Gefälligkeitserklärungen" handle, sodass auch diese Erklärungen für die weitere Ermittlung des Sachverhaltes nicht herangezogen werden könnten.

Der Meldezettel sei bloß ein Indiz, wobei es notorisch sei, dass Abmeldungen in vergleichbaren Fällen selten vorgekommen seien.

Schließlich hätte die belangte Behörde prüfen müssen, in welchem Umfang die Mitbeteiligte tätig gewesen sei, um eine hauptberufliche Tätigkeit feststellen zu können.

3. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0064, mwN).

4. Der beschwerdeführenden Sozialversicherungsanstalt gelingt es mit ihren Ausführungen nicht, eine Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde aufzuzeigen. Die belangte Behörde hat sich mit sämtlichen relevanten Beweisergebnissen auseinandergesetzt; sie hat dabei nicht gegen Denkgesetze oder das allgemeine menschliche Erfahrungsgut verstoßen:

Die belangte Behörde setzte sich im angefochtenen Bescheid eingehend mit den Erklärungen des Vaters der Mitbeteiligten auseinander und kam zum Schluss, dass überwiegende Gründe dafür sprächen, dass die Erklärung des Vaters der Mitbeteiligten aus dem Jahr 1977 unrichtig gewesen sei. Unter Einbeziehung der weiters vorliegenden, insbesondere auch von unbefangenen Dritten (etwa dem Gemeindearzt) stammenden Urkunden kann der Beweiswürdigung der belangten Behörde nach dem vom Verwaltungsgerichtshof anzulegenden Prüfungsmaßstab nicht entgegen getreten werden.

5. Ausgehend von den sohin auf einer unbedenklichen Beweiswürdigung gründenden Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde ist auch die Rechtsrüge nicht begründet:

Unter "hauptberuflich" iSd § 2 Abs. 1 Z 2 B-PVG und § 2 Abs. 1 Z 2 BSVG ist nichts anderes zu verstehen, als "hauptberuflich keiner anderen Beschäftigung nachzugehen". Das Anknüpfen des Gesetzgebers an die Praxis bäuerlichen Lebens und das Bemühen um die Ermöglichung einer praxisgerechten Vollziehung deutet auf ein Vorverständnis des Gesetzgebers hin, nach welchem ein Kind, das keiner anderen Beschäftigung als der Mitarbeit im elterlichen Betrieb nachgeht, in aller Regel in einem solchen Ausmaß zur Arbeit herangezogen wird, dass von hauptberuflicher Beschäftigung gesprochen werden kann, sodass eine nähere Prüfung des Beschäftigungsausmaßes bei Fehlen einer anderen Beschäftigung nicht erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/08/0064, mwN).

Dass die Mitbeteiligte im hier zu prüfenden Zeitraum neben ihrer Tätigkeit in der Landwirtschaft ihres Vaters eine weitere Tätigkeit ausgeübt hätte, ergibt sich aus den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde nicht und wird auch in der Beschwerde - abgesehen von der von der belangten Behörde verneinten Beschäftigung bei H - nicht behauptet. Damit ist aber die Tätigkeit der Mitbeteiligten in der Landwirtschaft ihres Vaters als "hauptberuflich" zu beurteilen.

6. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet in §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
VAAAE-86345