VwGH vom 10.04.2013, 2011/08/0122
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter, sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der S Ö in P, vertreten durch BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert KG in 1010 Wien, Kärntner Straße 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-424698/0002-II/A/3/2010, betreffend Pflichtversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84- 86), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom stellte die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt fest, dass die Beschwerdeführerin vom bis gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG in der Kranken- und Pensionsversicherung pflichtversichert ist (Spruchpunkt 1.). Der Beschwerdeführerin wurden gemäß § 27 GSVG für die Jahre 2005 und 2006 Beiträge (Spruchpunkt 2.) und gemäß § 35 Abs. 6 GSVG ein Beitragszuschlag vorgeschrieben (Spruchpunkt 3.). Sie führte begründend u.a. aus, dass in Ansehung einer Verpachtung des Gasthauses der Beschwerdeführerin an Frau L. von einer betrieblichen Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG auszugehen sei, wenn tätigkeitsbezogene Betriebsausgaben (das seien gemäß § 4 Abs. 4 EStG 1988 Aufwendungen oder Ausgaben, die durch den Betrieb veranlasst würden, wie z.B. Kosten für Auto, Reisen, PC, Telefon, Büromaterial, Porto, Kopien, etc.) vorlägen. Die von der Beschwerdeführerin übermittelten Unterlagen würden derartige Aufwendungen in Form von Reise- und Fahrtspesen sowie Telefonkosten bestätigen. Es läge kein Ausnahmetatbestand iSd § 4 Abs. 1 Z 3 GSVG vor. Die in den (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheiden ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Pachteinnahmen) seien in die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG einzubeziehen. Es liege eine betriebliche Tätigkeit vor. Auf Grund der Einkommensteuerbescheide stehe fest, dass es sich bei den von der Beschwerdeführerin erzielten Einkünften nicht um solche aus der privaten Lebensführung, sondern um Einkünfte iSd § 23 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) § 23 EStG 1988 handle.
Den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch hat die Landeshauptfrau von Salzburg mit Bescheid vom abgewiesen und den angefochtenen Bescheid bestätigt. Sie führte u. a. aus, dass die Spruchpunkte 2. und 3. des erstinstanzlichen Bescheides "jedenfalls als unstrittig anzusehen und demnach in Teilrechtskraft erwachsen sind".
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Folge gegeben und den zweitinstanzlichen Bescheid bestätigt. Die Beschwerdeführerin habe mit Frau L. beginnend mit einen Pachtvertrag über das (damalige) "Gästehaus Sch." abgeschlossen, welcher nach wie vor gültig sei. Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Höhe von EUR 13.607,81 und im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von EUR 25.576,79 ausgewiesen. Für das Jahr 2005 habe die Beschwerdeführerin in ihrer Einnahmen- und Ausgabenrechnung Reise- und Fahrtspesen von EUR 345,60 sowie Telefonkosten von EUR 150,-- verzeichnet, für das Jahr 2006 Reise- und Fahrtspesen von EUR 364,80 sowie Telefonkosten von EUR 150,--. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt und die zweitinstanzliche Behörde hätten die Sach- und Rechtslage ausführlich dargestellt. Die belangte Behörde könne sich diesen Ausführungen nur anschließen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch - ebenso wie die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt - von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe den erstinstanzlichen Bescheid mit ihrem Einspruch vollumfänglich angefochten. Die Spruchpunkte 2. und 3. des erstinstanzlichen Bescheides seien untrennbar mit dem Spruchpunkt 1. verbunden und könnten nicht eigenständig in Rechtskraft erwachsen.
Dies ist unrichtig. Gegen die Entscheidung des Landeshauptmannes über bei ihm eingebrachte Einsprüche (§ 413 Abs. 1 Z 1 ASVG) steht gemäß § 415 Abs. 1 ASVG nur dann die Berufung an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu, wenn über die Pflichtversicherung, ausgenommen in den Fällen des § 11 Abs. 2 erster Satz ASVG oder die Berechtigung zur Weiter- oder Selbstversicherung entschieden worden ist. Ein "untrennbarer Sach- und Rechtszusammenhang" liegt nicht vor, sodass die Spruchpunkte 2. und 3. des erstinstanzlichen Bescheides, die von der zweitinstanzlichen Behörde im Ergebnis bestätigt wurden, mangels Anfechtung (und Anfechtbarkeit) nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sind. Ergänzend sei angemerkt, dass bei der Entscheidung über die Beitragspflicht (und Beitragszuschläge) der Landeshauptmann, wenn er vorfrageweise auch die Versicherungspflicht zu beurteilen hat, wegen der Grundsätze der Unabänderlichkeit eigener Entscheidungen und der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung an seinen (vorherigen oder gleichzeitigen) Ausspruch über die Pflichtversicherung (als Hauptfragenentscheidung) auch dann gebunden ist, wenn diese Entscheidung noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, sondern einem Rechtszug an den Bundesminister unterliegt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0161). Der Abspruch über die Beiträge kann daher bei diesem Stand des Verfahrens nicht mit dem Argument angegriffen werden, es habe keine Pflichtversicherung bestanden. Eine nachträgliche Änderung des Ausspruches über die Pflichtversicherung im Beitragsverfahren (Beitragszuschlagsverfahren) wird als Wiederaufnahmegrund gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG auf Antrag oder von Amts wegen wahrgenommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0652, mwN).
Die Beschwerdeführerin bringt weiters vor, sie erziele zwar Einkünfte gemäß § 23 EStG 1988, sie sei aber nicht als selbständig erwerbstätig iSd § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG zu betrachten, weil sie mit der Verpachtungstätigkeit nicht am allgemeinen Wirtschaftsleben teilnehme.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG sind selbständig erwerbstätige Personen, die auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte iSd §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 EStG 1988 erzielen, nach dem GSVG in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert, wenn auf Grund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz oder einem anderen Bundesgesetz in dem (den) entsprechenden Versicherungszweig(en) eingetreten ist.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass sich die Versicherungspflicht gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG grundsätzlich nach der Einkommensteuerpflicht richtet. Bei Vorliegen eines rechtskräftigen Einkommensteuerbescheides, aus dem die Versicherungsgrenzen übersteigende Einkünfte der im § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG genannten Art hervorgehen, besteht nach dieser Bestimmung Versicherungspflicht, sofern die zu Grunde liegende Tätigkeit im betreffenden Zeitraum (weiter) ausgeübt wurde und auf Grund dieser Tätigkeit nicht bereits die Pflichtversicherung nach anderen Bestimmungen des GSVG oder nach einem anderen Bundesgesetz eingetreten ist. Ob die von der zuständigen Abgabenbehörde getroffene einkommensteuerrechtliche Beurteilung zutreffend ist, ist im Verfahren betreffend die Versicherungspflicht nach dem GSVG nicht (mehr) zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0215, mwN; zu einer Überprüfung der Qualifikation der Einkunftsart - nach der allerdings erst ab (§ 323 Abs. 37 BAO) anwendbaren Rechtslage - vgl. § 293a BAO idF BGBl. I Nr. 14/2013, und hiezu die Erläuterungen 2007 BlgNR
24. GP, 21).
Voraussetzung für die Pflichtversicherung ist sohin, dass im zu beurteilenden Zeitraum eine betriebliche Tätigkeit (noch) vorliegt, und damit auch, dass eine betriebliche Tätigkeit überhaupt aufgenommen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0163).
Die Annahme einer Betriebsunterbrechung (d.h. einer zeitlich befristeten Beendigung der betrieblichen Tätigkeit aus besonderen Gründen und damit einer Unterbrechung auch der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG) setzt nicht voraus, dass der Betriebsinhaber und Versicherte (iSd § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG) eine Berufsbefugnis besitzt, die ruhend gestellt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0126, mwN, sowie - darauf verweisend - das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/08/0145, und schließlich das vom , Zl. 2010/08/0036).
Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass ein Betrieb verpachtet wurde. Wird in einem solchen Fall die betriebliche Tätigkeit (zeitlich befristet) beendet und die Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterbrochen, so kommt es ebenfalls nicht darauf an, dass der Betriebsinhaber und Versicherte (iSd § 4 Abs. 1 Z 3 GSVG) eine ausschließlich auf der verpachteten Gewerbeberechtigung beruhende Kammermitgliedschaft besitzt.
Die Beschwerdeführerin hat stets bestritten, in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen im Zusammenhang mit der Verpachtung ihres Gastgewerbeunternehmens (auf Grund derer ihr Einkünfte iSd § 23 EStG 1988 steuerlich zugerechnet worden sind) als selbständig erwerbstätige Person auf Grund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte bezogen zu haben. Es habe im maßgeblichen Zeitraum in den Jahren 2005 und 2006 "eine passive, rein vermögensverwaltende Tätigkeit" vorgelegen, die "mangels eines
aktiv geführten ... Betriebes aber keine betriebliche Tätigkeit"
habe begründen können.
Dass die Beschwerdeführerin - ungeachtet der erfolgten Verpachtung - weiterhin eine betriebliche Tätigkeit ausüben würde, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Die mit der Verpachtung verbundene (zeitlich befristete) Beendigung der betrieblichen Tätigkeit hat nach dem Gesagten aber zur Folge, dass im verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine Pflichtversicherung iSd § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG nicht bestanden hat (vgl. § 4 Abs. 1 Z 3 GSVG).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Ein Ersatz für Eingabegebühren war wegen der sachlichen Abgabefreiheit (vgl. § 46 GSVG) nicht zuzusprechen. Der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass auch das auf deren Ersatz gerichtete Begehren abzuweisen war.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abzusehen, weil die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht
erwarten lässt und Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0261).
Wien, am