VwGH vom 04.03.2022, Ra 2020/02/0229
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision des K in M, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , 405-4/3182/1/13-2020, betreffend Übertretung der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Salzburg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, am um 00:37 Uhr an einem näher bezeichneten Ort ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft: 0,91 mg/l) gelenkt zu haben. Die Messung sei um 01:54 Uhr erfolgt; eine Rückrechnung habe nicht stattgefunden. Dadurch habe der Revisionswerber § 5 Abs. 1, § 99 Abs. 1a StVO verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von € 1.900,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 432 Stunden) verhängt wurde.
2Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit gegenständlich angefochtenem Erkenntnis als unbegründet ab. Zudem verpflichtete das Verwaltungsgericht den Revisionswerber zur Entrichtung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens von € 380,--. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
3Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - nach eingehender Erörterung unterschiedlicher Beweisergebnisse aus, es habe den Eindruck gewonnen, dass der angegebene Nachtrunk nicht stattgefunden habe, vor allem nicht gegen oder kurz nach Mitternacht, sondern dass dies nur eine Schutzbehauptung darstelle und versucht worden sei, einen Nachtrunk zum Vorteil des Revisionswerbers zu konstruieren. Das Unterbleiben der Vernehmung zweier Zeugen rechtfertigte das Verwaltungsgericht u.a. damit, dass der Revisionswerber in seiner Stellungnahme vom nicht auf bestimmte Zeugen hingewiesen habe und das Beschwerdevorbringen, wonach auch W.K. und F.K. den Nachtrunk bestätigen könnten, nicht erkennen lasse, wer diese Personen seien, denn die Eltern des Revisionswerbers würden wohl nicht so heißen und seien wohl beim angeblichen Nachtrunk nicht zugegen gewesen, wie sich aus näher dargestellten Aussagen des Revisionswerbers und einer anderen Zeugin ergebe.
4Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionsweber das Kraftfahrzeug tatörtlich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und eine Übertretung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1a StVO begangen habe. Die Tat sei vom Revisionswerber auch dahingehend zugestanden worden, dass er den PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe, wobei eben der Nachtrunk eingewendet worden sei. Dass nach dem Lenken ein Nachtrunk erfolgt sei, habe aber aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens nicht erwiesen werden können und sei nicht glaubhaft.
5Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Abweisung der Revision.
7Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt.
8Der Revisionswerber bemängelt, dass das Verwaltungsgericht in unzulässiger antizipativer Beweiswürdigung seinem Beweisantrag auf Vernehmung der in der Beschwerde beantragten Zeugen nicht nachgekommen sei.
9Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Dem AVG (vgl. zur Anwendbarkeit im vorliegenden Fall § 38 VwGVG iVm § 24 VStG und § 45 Abs. 2 AVG) ist eine antizipierende Beweiswürdigung fremd und dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw. an sich nicht geeignet ist, über den beweiserheblichen Gegenstand einen Beweis zu liefern (vgl. , mwN).
10Ordnungsgemäße Beweisanträge haben nach der hg. Rechtsprechung das Beweismittel, das Beweisthema und im Falle von Zeugen auch deren Adresse anzugeben (vgl. , mwN).
11Die Begründung des Verwaltungsgerichtes zur Ablehnung des Beweisantrages beruht im Wesentlichen auf bloßen Vermutungen (arg: wohl) über die Identität und über die Unmöglichkeit eigener Wahrnehmungen der Zeugen betreffend den behaupteten Nachtrunk. Die angenommene Untauglichkeit des Beweismittels wird somit nicht ausreichend nachvollziehbar dargetan. Schon aus den zitierten Schriftsätzen ist klar ersichtlich, dass es sich bei einem Vornamen im Beweisantrag um einen offensichtlichen Schreibfehler handelt und wer gemeint war. Inwiefern das vom Verwaltungsgericht geforderte Geburtsdatum der Zeugen bei der konkreten Sachlage erforderlich gewesen wäre, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht erläutert, zumal die Adresse der Zeugen in der Beschwerde genannt wird. Die Begründung für das Ablehnen des Beweisantrages reicht nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus und belastet das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
12Der Revisionswerber rügt auch, dass das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Erkenntnis nach Schluss der Verhandlung nicht mündlich verkündet hat.
13Nach § 47 Abs. 4 letzter Satz VwGVG sind in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen nach dem Schluss der Verhandlung der Spruch des Erkenntnisses und seine wesentliche Begründung nach Möglichkeit sofort zu beschließen und zu verkünden.
14Die Verkündung der Entscheidung direkt nach der Verhandlung stellt den gesetzlichen, wenn auch in der Praxis nicht immer umsetzbaren, Regelfall dar. Ist eine anschließende Verkündung nicht möglich, etwa wegen der Komplexität der Sach- oder Rechtslage, hat die Entscheidung schriftlich zu ergehen. Bedarf die Fällung des Erkenntnisses (etwa die Beweiswürdigung) reiflicher Überlegung, so kann das Verwaltungsgericht von der sofortigen Verkündung Abstand nehmen, andernfalls belastet die rechtswidrige Unterlassung der Verkündung durch das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. , mwN).
15Im Revisionsfall begründete das Verwaltungsgericht weder in der mündlichen Verhandlung noch im schriftlichen Erkenntnis, warum es ihm nicht möglich (gewesen) sei, das Erkenntnis nach Schluss der Verhandlung sofort zu beschließen und zu verkünden. Eine solche Begründung wäre - infolge ihrer Einzelfallbezogenheit - im Regelfall, wenn sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt, nicht revisibel. Im Revisionsfall ist auch nicht offensichtlich, dass die Verkündung des Spruches des Erkenntnisses und seiner wesentlichen Begründung nach dem Schluss der Verhandlung nicht möglich gewesen wäre (vgl. , mwN).
16Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht durch das unbegründete Unterlassen der Verkündung des Erkenntnisses nach Schluss der mündlichen Verhandlung in einer Verwaltungsstrafsache das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
17Die Revision bringt zudem richtigerweise auch einen Verstoß gegen die Rechtsprechung Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 2 VStG vor.
18Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird dem Gebot des § 44a Z 2 VStG dann nicht entsprochen, wenn die durch die Tat verletzte Verwaltungsvorschrift nicht unter Zitierung der entsprechenden Norm im Spruch angeführt wird. Hierzu zählt auch die Angabe ihrer - richtigen - „Fundstelle“. Dem Gebot der ausreichend deutlichen Angabe der Fundstelle der verletzten Verwaltungsvorschrift wird nur dann Rechnung getragen, wenn die Fundstelle jener Novelle angegeben wird, durch welche die als verletzt betrachtete Norm ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat. Ein diesbezüglich unrichtiger oder unvollständiger Ausspruch im Spruch kann durch Ausführungen in der Begründung des Straferkenntnisses nicht ersetzt werden (vgl. , mwN).
19Dem Spruch des behördlichen Straferkenntnisses ist eine Fundstelle der als verletzte Verwaltungsvorschrift zitierten Norm des § 5 Abs. 1 StVO nicht zu entnehmen. Durch die - insoweit erfolgte - Abweisung der Beschwerde übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des mit Beschwerde bekämpften Bescheids der vor ihm belangten Behörde. Eine Fundstelle der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift führte auch das Verwaltungsgericht nicht an.
20Das angefochtene Erkenntnis entspricht somit diesbezüglich nicht den Vorgaben des § 44a Z 2 VStG, weshalb es das Erkenntnis ebenfalls mit Rechtswidrigkeit belastete.
21Im Übrigen ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes auf dem Boden des § 29 VwGVG 2014 mit Blick auf § 17 leg. cit. den Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung, und drittens in der rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa ). Das angefochtene Erkenntnis genügt diesen Anforderungen nicht, weil es keine ausdrücklichen Feststellungen zum konkreten Sachverhalt enthält. Letztere sind zum Teil lediglich im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung erkennbar und werden mit dieser vermischt. Insgesamt wird den Anforderungen des § 29 VwGVG hierdurch nicht Genüge getan.
22Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
23Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020229.L00 |
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