VwGH vom 16.02.2012, 2009/01/0062

VwGH vom 16.02.2012, 2009/01/0062

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des H B in S, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Georg-Wagner-Gasse 5, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 1/12-21624/5-2009, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland, beantragte am die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und brachte dazu vor, seit rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhältig zu sein.

Mit Schreiben vom hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, die Verleihungsvoraussetzung des rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts von sechs Jahren gemäß § 11a Abs. 4 Z. 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) sei nicht erfüllt. Der Nachweis des rechtmäßigen Aufenthalts richte sich nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG). Demnach hätten EWR-Bürger, die sich in Österreich niedergelassen haben, zur Dokumentation ihres gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts eine Anmeldebescheinigung gemäß §§ 9 und 53 NAG vorzulegen. Für EWR-Bürger, die bereits vor dem (dem Inkrafttreten des NAG) rechtmäßig in Österreich niedergelassen gewesen seien, gelte gemäß den Übergangsbestimmungen des § 81 NAG ihre aufrechte Meldung nach dem Meldegesetz 1991 (MeldeG) als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG. Der Beschwerdeführer sei deutscher Staatsbürger und erst seit in Salzburg mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seit verfüge er über eine Anmeldebescheinigung. Ein rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt von sechs Jahren sei somit nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu (mit Schreiben vom , das bei der belangten Behörde am einlangte) dahingehend, dass es seiner Ansicht nach - entgegen der Rechtsmeinung der belangten Behörde - für die Frage der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts gemäß § 11a Abs. 4 Z. 2 StbG nicht auf das Vorliegen einer Anmeldebescheinigung ankomme. Die Anmeldebescheinigung bescheinige bloß ein bereits bestehendes Recht, das aus dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht resultiere. Die Unterlassung der Beantragung einer Anmeldebescheinigung löse lediglich verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen aus und führe nicht zur Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft könnte dem Beschwerdeführer somit nur dann verweigert werden, wenn er nicht für den geforderten Zeitraum in Österreich seinen Hauptwohnsitz gehabt hätte, wobei die polizeiliche Meldung lediglich ein Indiz für den tatsächlichen Aufenthalt darstelle. Im Zusammenhang mit dieser Stellungnahme vorgelegte Unterlagen würden beweisen, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensmittelpunkt bereits Ende 2002 nach Salzburg verlegt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom , dem Beschwerdeführer zugestellt am , wies die belangte Behörde den Antrag "gemäß § 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 idgF (StbG) iVm § 11a Abs 4 Z 2 leg cit" ab.

Begründend führte die belangte Behörde dazu im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe anlässlich seines Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft neben Personenstandsdokumenten und Nachweisen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine Bestätigung über eine aufrechte Wohnsitzmeldung in der Stadt Salzburg und eine Anmeldebescheinigung für EWR- und Schweizer Bürger gemäß §§ 51 bis 53 und § 57 NAG sowie § 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung vorgelegt. Demnach sei er seit in Österreich ununterbrochen mit Hauptwohnsitz gemeldet und seit im Besitz einer Anmeldebescheinigung für EWR- und Schweizer Bürger.

Der Nachweis des rechtmäßigen Aufenthalts (nach § 11a Abs. 4 StbG) richte sich nach den Bestimmungen des NAG. Gemäß §§ 9 und 53 NAG hätten EWR-Bürger, die sich in Österreich niedergelassen haben, zur Dokumentation ihres gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts eine Anmeldebescheinigung vorzulegen. Für EWR-Bürger, die bereits vor dem Inkrafttreten des NAG rechtmäßig in Österreich niedergelassen gewesen seien, gelte gemäß den Übergangsbestimmungen des § 81 NAG ihre aufrechte Meldung nach dem MeldeG als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG. Im Ermittlungsverfahren sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer erst seit rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich aufhältig sei. Weitere Nachweise, die seinen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt vor diesem Zeitpunkt dokumentierten, seien vom Beschwerdeführer nicht vorgelegt worden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß der (insofern seit der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006, unveränderten) Bestimmung des § 11a Abs. 4 Z. 2 StbG ist einem Fremden nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet (und unter weiteren, näher genannten Voraussetzungen) die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn er im Besitz der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, ist.

Die belangte Behörde stützt sich zur Begründung der Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers darauf, dass ein rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Bundesgebiet (erst) seit vorliege. In der Bescheidbegründung differenziert die belangte Behörde insofern nicht ausdrücklich zwischen dem tatsächlichen Aufenthalt und dessen Rechtmäßigkeit, in ihrer Gegenschrift führt sie jedoch ausdrücklich aus, eine Prüfung des faktischen Aufenthalts habe (offensichtlich gemeint: mangels Vorliegens eines Titels) unterbleiben können.

Dagegen bringt die Beschwerde vor, die belangte Behörde scheine vom konstitutiven Charakter der Aufenthaltsbescheinigung bzw. der polizeilichen Meldung auszugehen. Die Aufenthaltsbescheinigung gemäß §§ 8 und 53 NAG habe jedoch lediglich deklaratorischen Charakter und dokumentiere ein bereits bestehendes, aus dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht resultierendes Recht des Beschwerdeführers. Die nicht fristgerechte Beantragung der Anmeldebescheinigung stelle lediglich eine Verwaltungsübertretung dar und sei entsprechend zu bestrafen. Auch die Absätze 11 und 12 der Richtlinie 2004/38/EG würden davon sprechen, dass sich das Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern unmittelbar aus dem Vertrag ableite und nicht von der Einhaltung von Verwaltungsverfahren abhänge. Auf das Datum der "Aufenthaltsbescheinigung" komme es für die Beurteilung der geforderten Frist von sechs Jahren somit nicht an. Schließlich sei die Regelung des § 81 Abs. 4 NAG, wonach für EWR-Bürger, die bereits vor dem Inkrafttreten des NAG rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und nach dem MeldeG gemeldet waren, die aufrechte Meldung nach dem MeldeG als Anmeldebescheinigung im Sinne des § 53 NAG gelte, auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar, da der Beschwerdeführer vor diesem Zeitpunkt auch nicht gemeldet gewesen sei. Da die belangte Behörde der unrichtigen Ansicht sei, die beiden genannten Dokumente (Anmeldebescheinigung und polizeiliche Meldung) würden die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers erst konstitutiv begründen, habe sie Feststellungen dazu unterlassen, ob der Beschwerdeführer innerhalb der letzten sechs Jahre faktisch seinen Wohnsitz im Bundesgebiet begründet habe.

Nach dem Wortlaut (auch) der Bestimmung des § 11a Abs. 4 StbG ("nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt von") ist Verleihungsvoraussetzung, dass ein Verleihungswerber zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsbürgerschaftsbehörde einen - unter Berücksichtigung der Unterbrechungstatbestände des § 15 Abs. 1 StbG - durchgehenden legalen Aufenthalt im Bundesgebiet in der erforderlichen Mindestdauer (von sechs Jahren) aufweisen kann (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/01/0020, mwN).

Der Beschwerdeführer beruft sich auf die Inanspruchnahme eines gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlich begründeten Aufenthaltsrechts über mehr als sechs Jahre und hat dazu auch bereits im Verfahren vor der belangten Behörde - vor Erlassung des angefochtenen Bescheides - ein konkretes Vorbringen (samt Beweisanboten) erstattet.

Maßgeblich ist somit die Beurteilung der Frage, ob durch die Inanspruchnahme der gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlichen Freizügigkeit bereits vor Ausstellung einer Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG ein rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne des § 11a Abs. 4 StbG begründet werden konnte. Auf die Meldung nach dem MeldeG - von diesem Zeitpunkt an geht die belangte Behörde vom Vorliegen eines rechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers aus - kann es insofern schon deshalb nicht ankommen, weil auch die Meldebestätigung erst nach Inkrafttreten des NAG ausgestellt wurde und die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 4 NAG somit nicht anzuwenden ist.

Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG ("Freizügigkeitsrichtlinie") sehen die §§ 9 und 53 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 29/2009) mit der Anmeldebescheinigung ein eigenes, nicht rechtsbegründend, sondern lediglich deklaratorisch wirkendes Dokument zum Nachweis des in § 51 NAG geregelten Aufenthaltsrechts von EWR-Bürgern und damit auch von Unionsbürgern vor.

Das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat ergibt sich unmittelbar aus dem Gemeinschafts- (nunmehr: Unions-)recht. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Unionsbürger ist nicht als rechtsbegründende Handlung zu betrachten, sondern als Handlung eines Mitgliedstaats, die dazu dient, die individuelle Situation eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf die Bestimmungen des Gemeinschafts- (nunmehr: Unions-)rechts festzustellen (vgl. die Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom , Rs C-325/09, Dias, Rn 48, vom , Rs C- 408/03, Kommission/Belgien, Rn 62 f, und vom , Rs C- 459/99, MRAX, Rn 74, sowie die bei Obwexer , Grundfreiheit Freizügigkeit, 2009, S. 201 f, zitierte Vorjudikatur des EuGH; vgl. auch die hg. Beschlüsse vom , Zl. 2008/22/0394, und vom , Zl. 2008/22/0060, mwH).

Der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. Nr. 37/2006, mit der auch die Bestimmungen des StbG über die Aufenthaltsfristen novelliert wurden, lag den Erläuternden Bemerkungen (ErlRV 1189 BlgNR 22. GP, S. 3) zufolge unter anderem das Ziel zugrunde, das StbG an das NAG anzupassen, sodass es zu keinen Wertungswidersprüchen kommt. Zum Erfordernis des rechtmäßigen Aufenthalts verweisen die Erläuterungen "vor allem" auf Zeiten des sichtvermerksfreien Aufenthalts, des Aufenthalts mit Visum oder auf Grund einer Legitimationskarte oder einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG (ErlRV, a.a.O., S. 4).

Daneben muss der Nachweis des rechtmäßigen Aufenthalts eines Unionsbürgers aber auch aufgrund eines gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlich begründeten Aufenthaltsrechts möglich sein, zumal bei Bestehen eines solchen kein Aufenthaltstitel gemäß § 8 NAG auszustellen ist. Aus den §§ 8 und 9 NAG geht nämlich deutlich hervor, dass der Gesetzgeber zwischen Aufenthaltstiteln und Dokumentationen von bereits auf gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlicher Grundlage bestehenden Aufenthaltsrechten unterscheiden wollte (vgl. dazu das einen Familienangehörigen einer Unionsbürgerin betreffende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0378).

Vor diesem Hintergrund ist aber nicht ersichtlich, dass der Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts im Staatsbürgerschaftsrecht - abweichend vom aufenthaltsrechtlichen Verständnis - so auszulegen wäre, dass der Aufenthalt im Fall eines gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlich begründeten Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers nicht bereits mit dessen Bestehen, sondern erst mit der Ausstellung einer - das Bestehen des Aufenthaltsrechts nur feststellenden - Anmeldebescheinigung rechtmäßig wäre. Vielmehr kommt es auch nach dem StbG auf die gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtliche Begründung des Aufenthaltsrechts (durch Erfüllung der Voraussetzungen gemäß § 51 NAG) an.

Da die belangte Behörde dies verkannt und davon ausgehend die Voraussetzungen des gemeinschafts- (nunmehr: unions-)rechtlichen Aufenthaltsrechts des Beschwerdeführers - eines Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland und damit eines Unionsbürgers - für den von ihm behaupteten Zeitraum nicht geprüft hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am