VwGH vom 14.02.2013, 2011/08/0080
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, MMag. Maislinger und die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des RK in Wien, vertreten durch Dr. Hans Kulka, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 13, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2010-0566-9- 001344, betreffend Höhe der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, der seit vielen Jahren Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, stellte am einen Antrag auf Zuerkennung von Notstandshilfe, in dem er angab, für eine Ehegattin und zwei Kinder sorgepflichtig zu sein und Kreditrückzahlungsverpflichtungen in Höhe von EUR 1.825,13 monatlich zu haben.
Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden: AMS) stellte mit Bescheid vom fest, dass dem Beschwerdeführer ab Notstandshilfe in der Höhe von EUR 14,60 täglich gebühre. Der Beschwerdeführer habe monatliche Aufwendungen wegen Kreditbelastung für Wohnraumbeschaffung in Höhe von EUR 425,13 bekannt gegeben. Diese könnten zu 50 %, sohin im Betrag von EUR 212,56, als Freigrenzenerhöhung, anerkannt werden. Unter Berücksichtigung weiterer Freigrenzen für seine Ehegattin und zwei Kinder sowie des Werbekostenpauschales ergebe sich ein Notstandshilfeanspruch von EUR 14,60 täglich.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er vorbrachte, der erstinstanzliche Bescheid begründe nicht, warum die Kreditrückzahlungsverpflichtungen nicht in voller Höhe von EUR 1.825,13 monatlich berücksichtigt worden seien.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben und stellte fest, der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe zwar erhöhte Aufwendungen in Form von Kreditrückzahlungen in Höhe von EUR 1.825,13 angeführt, jedoch lediglich monatliche Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Darlehen bei W. in Höhe von EUR 363,36 und EUR 61,77, insgesamt sohin EUR 425,13 monatlich nachgewiesen.
Bei der Notstandshilfe habe das Einkommen des Partners/der Partnerin Einfluss auf die Höhe des Notstandshilfeanspruches des Arbeitslosen. Dessen Einkommen sei nach bestimmten, gesetzlich vorgeschriebenen Grundsätzen auf den theoretischen Notstandshilfeanspruch anzurechnen, sodass lediglich der danach verbleibende Differenzbetrag zur Auszahlung kommen könne. Vom Nettoeinkommen der Partnerin würden die pauschalierten Werbungskosten sowie Freigrenzen abgezogen. Dabei handle es sich um einen fixen Betrag, der dem Partner zur freien Verfügung verbleiben müsse (im Jahr 2010 EUR 495,-- monatlich). Weitere Freigrenzen in Höhe von jeweils EUR 247,50 würden für jedes Kind gewährt, für das Unterhaltspflicht bestehe. Diese Freigrenzen könnten nun auf Grund außergewöhnlicher finanzieller Belastungen infolge von Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft, eines Todesfalles sowie Rückzahlungsverpflichtungen infolge einer Hausstandsgründung um bis zu maximal 50 % erhöht werden, wobei Kreditraten zu höchstens 50 % der Ratenhöhe anerkannt würden. Die Anrechnung habe immer auf den Leistungsanspruch des Folgemonats zu erfolgen. Die nachgewiesenen Kreditrückzahlungen an W. in Höhe von monatlich EUR 425,13 würden sich freigrenzenerhöhend zur Hälfte, d. h. in Höhe von EUR 212,56 auswirken. Weitere Freigrenzenerhöhungsgründe seien nicht behauptet worden bzw. hinsichtlich der Kreditrückzahlungen nicht nachgewiesen worden. Unter Berücksichtigung sämtlicher Freigrenzen ergebe sich ein Anrechnungsbetrag von EUR 22,75, der den an sich gebührenden Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers in Höhe von EUR 37,35 auf EUR 14,60 täglich reduziere.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
1. Die Beschwerde bringt vor, die Auffassung der belangten Behörde, Kredite könnten nur dann zu einer Erhöhung der Freigrenze führen, wenn auch tatsächlich Rückzahlungen geleistet würden, sei unzutreffend. Die in der vom AMS gemäß § 4 Abs. 3 AMSG erlassenen Richtlinie zur Freigrenzenerhöhung statuierte Voraussetzung einer tatsächlichen Leistung von Rückzahlungen sei "geradezu absurd". Es hieße, "dass Pferd vom Schwanz aufzuzäumen", wollte man für die Erhöhung der Freigrenze die Zahlung der Kreditrate verlangen. Gerade die Erhöhung solle doch dem Beschwerdeführer die Zahlung der Rate ermöglichen. Überdies stehe die Beschränkung der Freigrenzenerhöhung auf die Hälfte der Aufwendungen im Widerspruch zur allgemeinen Regelung der Richtlinie.
2. Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Notstandshilfe nur zu gewähren, wenn (unter anderem) Notlage vorliegt. Notlage liegt gemäß § 33 Abs. 3 AlVG vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.
Gemäß § 36 Abs. 1 AlVG hat der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Richtlinien über das Vorliegen einer Notlage im Sinne des § 33 Abs. 3 AlVG zu erlassen. Bei der Beurteilung der Notlage sind gemäß § 36 Abs. 2 AlVG die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des (der) mit dem (der) Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten, Ehegattin, eingetragenen Partners, eingetragenen Partnerin, Lebensgefährten oder Lebensgefährtin zu berücksichtigen.
Für die Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners sieht § 36 Abs. 3 lit. B sublit. a vor, dass vom Einkommen des Ehepartners bei der Anrechnung ein zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendiger Betrag (Freibetrag) freizulassen ist, der nach der Größe der Familie verschieden bemessen werden kann.
Gemäß § 36 Abs. 5 AlVG kann eine Erhöhung der im Abs. 3 lit. B sublit. a angeführten Freibeträge in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung und dgl. im Rahmen der vom Arbeitsmarktservice festgelegten Richtlinien erfolgen.
Die auf Grund des § 36 Abs. 5 AlVG vom Arbeitsmarktservice im Sinne des § 4 Abs. 3 AMSG erlassenen, gemäß § 4 Abs. 4 AMSG am im Internet kundgemachten Richtlinien zur Freigrenzenerhöhung bringen in ihrem Abschnitt I. ("Allgemeines") zunächst zum Ausdruck, dass die Berücksichtigungswürdigkeit freigrenzenerhöhender Umstände keine Ermessensentscheidung gestattet. Liegt Berücksichtigungswürdigkeit vor, so ist die Freigrenze zu erhöhen, wobei es - erst hier - im Ermessen des Arbeitsmarktservice liegt, in welchem Ausmaß die Freigrenze erhöht wird. Das Ausmaß der Erhöhung der Freigrenze darf die Freigrenze gemäß § 6 Abs. 2 bis 4 NH-VO um maximal 50 Prozent übersteigen. Bei Vorliegen mehrerer Freigrenzen erhöhender Tatbestände darf die Summe der berücksichtigten Kosten die vorstehende 50-Prozent-Grenze nicht überschreiten. Die Freigrenzenerhöhung für ältere Arbeitslose gemäß § 36 Abs. 3 lit. B sublit. b AlVG bleibt unberührt.
In Abschnitt II. ("Berücksichtigungswürdige Umstände im Sinne des § 36 Abs. 5 AlVG") ist als Umstand, der zur Freigrenzenerhöhung führen kann, unter anderem angeführt:
"7. Darlehen für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung; während des Leistungsbezuges bzw. nach Eintritt der letzten Arbeitslosigkeit aufgenommene Darlehen für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung können ausnahmsweise und nur dann berücksichtigt werden, wenn die damit getätigten Anschaffungen (im unbedingt notwendigen Umfang) zur Sicherung einer angemessenen Haushaltsführung im bisherigen Umfang erforderlich sind (z.B. Wohnraumsanierung usw.)."
In Abschnitt III ("Entscheidung über die Freigrenzenerhöhung") wird zu den Darlehen ausgeführt:
"4. Darlehen:
Darlehen, die zum Zweck einer Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung aufgenommen wurden, können zu einer Erhöhung der Freigrenze führen, wenn auch tatsächlich Rückzahlungen geleistet werden. Grundsätzlich können nur Rückzahlungsverpflichtungen berücksichtigt werden, die vor Eintritt der Arbeitslosigkeit entstanden sind bzw. bei denen Punkt II 7 dieser Richtlinie zutrifft. In den übrigen Fällen finden während eines Leistungsbezuges aufgenommene Darlehen keine Berücksichtigung, erst nach Erfüllung einer neuen Anwartschaft können diese Rückzahlungsverpflichtungen bei nachfolgenden Bezügen berücksichtigt werden. Die tatsächlichen Zahlungen können zur Hälfte durch eine Freigrenzenerhöhung abgedeckt werden. Aufwendungen, die für Zweitwohnsitze getätigt werden, finden keine Berücksichtigung. Aufwendungen für Privatdarlehen (von Angehörigen) sind wie Bankdarlehen zu behandeln, wenn ein vergebührter Darlehensvertrag vorliegt und auch tatsächlich Rückzahlungen geleistet werden.
Darlehen, deren Verwendungszweck nicht nachgewiesen wurde, sowie Darlehen, die zur Bestreitung des laufenden Lebensunterhaltes aufgenommen wurden, sind nicht geeignet, eine Freigrenzenerhöhung zu begründen."
Diese Richtlinien zur Freigrenzenerhöhung stellen eine Rechtsverordnung dar (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2004/08/0254 und 2004/08/0166).
3. Den Bedenken des Beschwerdeführers, § 36 Abs. 5 AlVG erweise sich im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 B-VG als zu unbestimmt, ist entgegenzuhalten, dass die in dieser Gesetzesstelle angeordnete Ermächtigung durch die Wortfolge "in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen" sowie durch die Anführung von Beispielen hiefür durchaus hinreichend bestimmt ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/08/0038, und vom , Zl. 2004/08/0035).
4. § 6 der Notstandshilfeverordnung in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. II Nr. 490/2001 enthält Bestimmungen darüber, wie bei der Heranziehung des Einkommens des Ehepartners des Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage vorzugehen ist. Gemäß § 6 Abs. 7 NH-VO ist bei der Anrechnung dieses Einkommens § 5 erster Satz der Notstandshilfeverordnung sinngemäß anzuwenden. Die zuletzt genannte Bestimmung sieht vor, dass das Einkommen des Arbeitslosen, das er innerhalb eines Monats erzielt, nach Abzug der Steuern und sozialen Abgaben sowie des zur Erwerbung dieses Einkommens notwendigen Aufwandes auf die Notstandshilfe, die im Folgemonat gebührt, anzurechnen ist. Für die Bemessung der im Jänner 2010 gebührenden Notstandshilfe sind daher die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin im Dezember 2009 maßgebend. Dies gilt auch für die Belastung durch die tatsächliche Bezahlung von Kreditraten.
5. Nach der Freigrenzenerhöhungsrichtlinie (II.7. und III.4.) bilden Darlehen nur dann einen berücksichtigungswürdigen Umstand iSd § 36 Abs. 5 AlVG, wenn sie für Hausstandsgründung bzw. Wohnraumbeschaffung aufgenommen und tatsächlich Rückzahlungen geleistet wurden. Tatsächliche Zahlungen können zur Hälfte durch eine Freigrenzenerhöhung berücksichtigt werden. Es stand ersichtlich nicht im Bestreben des Verordnungsgebers, Darlehen, die vom Notstandshilfebezieher im betreffenden Zeitraum gar nicht bedient werden, als berücksichtigungswürdigen Fall iSd § 36 Abs. 5 AlVG anzusehen. Die Arbeitslosenversicherung soll dem Versicherten nach dem Ende seines Anspruches auf Arbeitslosengeld (nur mehr) einen "Beitrag" zur persönlichen Existenzsicherung in Relation zum letzten Arbeitseinkommen (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2002/08/0038) in Form der Notstandshilfe gewähren und verfolgt nicht den Zweck, Notstandshilfebeziehern die Bedienung ihrer Kreditraten zu ermöglichen.
6. Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer habe erhöhte Aufwendungen geltend gemacht, nämlich Rückzahlungsraten für die Kredite für Wohnraumbeschaffung einerseits bei W. (EUR 425,13 monatlich) und andererseits bei B. (EUR 1.400,-- monatlich), sohin zusammen EUR 1.825,13 monatlich. Diese Kreditverbindlichkeiten seien der belangten Behörde aus den Verwaltungsakten (früheren Bescheidentwürfen) bekannt. Auch die Zahlungsbelege für die Monate Oktober bis Dezember 2007 würden der belangten Behörde vorliegen. Diese habe es unterlassen, den Beschwerdeführer zur Vorlage von (aktuellen) Zahlungsbelegen anzuleiten. Wäre der Beschwerdeführer angeleitet worden, hätte er zumindest die von ihm im Zeitraum des Notstandshilfebezuges tatsächlich geleisteten Kreditrückzahlungsraten an die B. nachweisen können (im Zeitraum vom 4. Juni bis zum insgesamt EUR 5.600,--).
7. In diesem Punkt ist die Beschwerde berechtigt. Die belangte Behörde hat es unterlassen, den Beschwerdeführer aufzufordern, die tatsächlich gezahlten Kreditrückzahlungsraten näher nachzuweisen. Maßgebend sind nach dem Gesagten die wirtschaftlichen Verhältnisse in den jeweiligen Vormonaten des den bis zur Erlassung des in Beschwerde gezogenen Bescheids umfassenden Zeitraums des Anspruchs auf Notstandshilfe. Die Behörde hat die Sachlage und Rechtslage ab Antragstellung bis zur Erlassung des Bescheides - gemäß § 66 Abs. 4 AVG bis zur Erlassung des Berufungsbescheides - zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0280), sohin auch die vom Beschwerdeführer behaupteten Zahlungen im Zeitraum vom 4. Juni bis zum . Erst wenn der Beschwerdeführer einer Aufforderung der belangten Behörde, die Zahlungen ab dem der Antragstellung vorausgehenden Monat nachzuweisen, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen wäre (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/08/0011, und vom , Zl. 2006/08/0295), hätte die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht erfüllt. Hätte die belangte Behörde aber ein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, hätte sie auch zu einem anderen Bescheid kommen können.
8. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
9. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am