VwGH vom 31.05.2012, 2009/01/0033

VwGH vom 31.05.2012, 2009/01/0033

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 35/IV - H 32/2008, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: H A in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Ein Aufwandersatz findet nicht statt.

Begründung

Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Mitbeteiligten mit Wirkung vom selben Tag gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG die Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens des Mitbeteiligten. Die am eingegangene Ehe des Mitbeteiligten mit der österreichischen Staatsbürgerin M O A sei bereits am geschieden worden, wobei die eheliche Gemeinschaft seit sechs Monaten aufgehoben gewesen sei. Es liege der Verdacht der Scheinehe nahe, die Beschwerdeführerin vermute eine Erschleichung der Staatsbürgerschaft.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme des Staatsbürgerschaftsverfahrens gemäß § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte und M O A seien zum Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Mitbeteiligten in einer (näher bezeichneten) gemeinsamen Wohnung gemeldet gewesen, im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei kein Hinweis auf einen anderen Wohnort des Mitbeteiligten hervorgekommen. Im Hinblick auf die schwere Erkrankung von M O A - diese sei am verstorben - habe zum damaligen Zeitpunkt vermutlich eine Geschlechtsgemeinschaft nicht mehr bestanden; Hinweise darauf, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft der Eheleute vorgelegen habe, seien aber nicht vorhanden. Der Mitbeteiligte habe glaubwürdig dargelegt, während der Krankenhausaufenthalte seiner Ehegattin für diese Besorgungen erledigt und Einkäufe bezahlt zu haben. Die Kosten der Wohnung seien gemeinsam getragen worden, wobei der Mitbeteiligte den Großteil der Kosten übernommen habe, da seine ehemalige Ehegattin nur Sozialhilfe bezogen hätte. Die Bestimmung des § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 verlange u.a., dass die Ehe aufrecht sei und die Ehepartner im gemeinsamen Haushalt lebten. Diese Voraussetzungen seien sowohl im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den Mitbeteiligten am als auch im Zeitpunkt der Ausfolgung des Zusicherungsbescheides an den Mitbeteiligten am erfüllt gewesen. Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 69 AVG seien nicht hervorgekommen, weshalb der Antrag der Beschwerdeführerin abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Kosten des Beschwerdeverfahrens zuzuerkennen.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Amtsbeschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Bestimmung des § 11a Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der (im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des das wiederaufzunehmende Verfahren beendenden Bescheides maßgeblichen) Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG aF) lautet:

"Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 und Abs. 3 die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,

2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,

3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und

4. a) die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder

b) die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht und sein Ehegatte seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen österreichischer Staatsbürger ist oder

c) der Ehegatte die Staatsbürgerschaft durch Verleihung gemäß § 10 Abs. 4 Z 2 oder durch Erklärung gemäß § 58c erworben hat und der Fremde seinen Hauptwohnsitz vor dem im Bundesgebiet hatte und sich damals gemeinsam mit seinem späteren Ehegatten ins Ausland begeben hat."

Gemäß § 35 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 hat die Entziehung der Staatsbürgerschaft (§§ 33 und 34) oder die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG von Amts wegen oder auf Antrag des Bundesministers für Inneres zu erfolgen. Der Bundesminister für Inneres hat in dem auf seinen Antrag einzuleitenden Verfahren Parteistellung.

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/01/0777, mwN).

2. Die Amtsbeschwerde bringt im Wesentlichen vor, der Mitbeteiligte habe hinsichtlich seiner ehelichen Verhältnisse einen falschen Sachverhalt vorgetäuscht. Die Ehe des Mitbeteiligten mit M O A sei am rechtskräftig (einvernehmlich) geschieden worden. Da in der Scheidungsurkunde vermerkt sei, dass die Ehe seit mindestens sechs Monaten - somit mindestens seit - von Tisch und Bett getrennt gewesen sei, sei die eheliche Gemeinschaft zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Mitbeteiligten nicht mehr aufrecht gewesen. Die Einheit der Rechtsordnung gebiete, dass dieselbe faktische Handlung, nämlich die Trennung eines Paares, dieselben Rechtsfolgen - je nach Materie - nach sich ziehe. Dies bedeute im vorliegenden Fall, dass das Faktum der Trennung einerseits "die Rechtsfolge einer zulässigen Scheidung" nach § 55a Ehegesetz nach sich ziehe, andererseits damit aber auch "das Verleihungshindernis des § 11a Abs. 1 Z 2 StbG a.F." vorliege. Verneinte man dies, käme es zu dem Ergebnis, dass die bevorzugte Verleihung der Staatsbürgerschaft an Ehegatten von Österreichern auch dann möglich sei, wenn die Grundlage - die Ehe - "bereits faktisch weggefallen" sei und "die formelle Auflösung nur mehr vom Ablauf der gesetzlich geforderten Frist" abhänge.

3. Mit diesem Vorbringen wird keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt:

3.1. Soweit die Amtsbeschwerde auf die Bestimmung des § 11a Abs. 1 Z. 2 StbG aF Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass die Ehe des Mitbeteiligten mit M O A unstrittig (erst) am gerichtlich geschieden wurde. Damit war diese Ehe im Verleihungszeitpunkt () nicht gerichtlich geschieden, sodass eine Täuschung des Mitbeteiligten über die Verleihungsvoraussetzung des § 11a Abs. 1 Z. 2 StbG aF von vornherein nicht in Betracht kommt.

3.2. Mit dem Tatbestandselement "Leben im gemeinsamen Haushalt" des § 11a Abs. 1 Z. 1 StbG aF im Verhältnis zu § 55a Ehegesetz, auf das sich die Amtsbeschwerdeführerin (erkennbar) bezieht, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 2007/01/1051 (auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird) auseinandergesetzt. Danach setzt der gemeinsame Haushalt nach § 11a StbG aF das Zusammenleben der Ehegatten in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft voraus, wobei kurzfristige Unterbrechungen dieses Zusammenlebens bei grundsätzlich aufrechtem gemeinsamen Wohnsitz und gemeinsamer Wirtschaftsführung nicht schaden. Bei der Prüfung, ob ein derartiger gemeinsamer Haushalt vorgelegen ist, macht ein Ehescheidungsbeschluss nach § 55a Ehegesetz bzw. die in diesem Zusammenhang abgegebene Erklärung, die eheliche Lebensgemeinschaft sei seit mindestens einem halben Jahr aufgelöst, Ermittlungen darüber, ob der Einbürgerungswerber mit seiner Ehegattin im gemeinsamen Haushalt lebte, nicht schlechterdings entbehrlich (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/01/0617, vom , Zl. 2007/01/1144, und vom , Zl. 2008/01/0357, jeweils mwN).

3.3. Die belangte Behörde ist aufgrund (näher ausgeführter) beweiswürdigender Überlegungen (u.a.) zur Feststellung gelangt, der Mitbeteiligte habe im Zeitpunkt der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft am mit seiner damaligen Ehefrau M O A im gemeinsamen Haushalt gelebt.

Die Amtsbeschwerde tritt weder den beweiswürdigenden Überlegungen der belangten Behörde entgegen noch enthält sie konkrete Ausführungen dazu, aus welchen Gründen die Annahme des Vorliegens eines gemeinsamen Haushaltes im Verleihungszeitpunkt unrichtig und dem Mitbeteiligten insofern ein Erschleichen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG vorzuwerfen sei.

Entgegen der (erkennbaren) Ansicht der Amtsbeschwerdeführerin lässt sich allein aus dem Ehescheidungsbeschluss nach § 55a Ehegesetz bzw. der in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärung, die eheliche Lebensgemeinschaft sei seit mindestens einem halben Jahr aufgelöst, nicht ohne weitere Ermittlungen ableiten, dass der Einbürgerungswerber mit seiner Ehegattin (im Verleihungszeitpunkt) nicht im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Auf das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 55a Ehegesetz kommt es nach der hier maßgeblichen Rechtslage nicht an bzw. stellt die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft - verstanden als Verlust jeder Ehegesinnung - für sich allein kein Verleihungshindernis dar (vgl. dazu auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/01/0674, und vom , Zl. 2009/01/0064).

4. Die Amtsbeschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die Bestimmung des § 47 Abs. 4 VwGG, wonach im Falle einer Amtsbeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG für den Beschwerdeführer und die belangte Behörde kein Aufwandersatz stattfindet.

Wien, am