TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 22.02.2012, 2011/08/0078

VwGH vom 22.02.2012, 2011/08/0078

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des A H in Z, vertreten durch den Sachwalter Dr. Bernd Brunner, Rechtsanwalt in 3430 Tulln an der Donau, Karlsgasse 12, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom , Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2011, betreffend Anspruch auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice T (in der Folge: AMS) vom wurde gemäß § 49 AlVG gegenüber dem Beschwerdeführer der Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 14. September bis ausgesprochen, da er den vorgeschriebenen Kontrollmeldetermin am nicht eingehalten habe und eine Meldung beim AMS erst wieder am erfolgt sei.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge.

In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der seit Juni 1997 im Notstandshilfebezug stehende Beschwerdeführer am mit seinem Sachwalter beim AMS erschienen sei und den Beschluss des Bezirksgerichtes T vom vorgelegt habe; demnach sei der Beschwerdeführervertreter zum Sachwalter des Beschwerdeführers bestellt worden und habe für diesen die finanziellen Angelegenheiten, die Einkommens- und Vermögensverwaltung, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten sowie privaten Vertragspartnern zu besorgen. Es sei daraufhin ein Antrag auf Gewährung der Notstandshilfe ausgegeben und ein Kontrollmeldetermin für den vereinbart worden. Ein Exemplar des ausgedruckten Schreibens betreffend den Kontrollmeldetermin (welches die Vorschreibung des Termins, die Bestimmung des § 49 AlVG und die Rechtsfolgenbelehrung bei Nichterscheinen zur Vorsprache ohne triftigen Grund enthalten habe) sei dem Sachwalter übergeben worden; der zweite Ausdruck sei vom Sachwalter mit seinem Stempel und seiner Unterschrift versehen worden und Teil des Verfahrensaktes. Am seien weder der Beschwerdeführer noch der Sachwalter beim AMS erschienen und es sei auch kein Kontakt mit dem AMS aufgenommen worden. Erst am sei der Beschwerdeführer mit dem Sachwalter erschienen und es habe der Sachwalter niederschriftlich erklärt, dass "er den Kontrollmeldetermin am nicht eingehalten habe, weil er vergessen habe."

In der rechtlichen Beurteilung stützte die belangte Behörde die Anwendung von § 49 Abs. 2 AlVG darauf, dass weder der Beschwerdeführer noch der Sachwalter zum vereinbarten Kontrollmeldetermin - trotz des ausdrücklichen Hinweises im erwähnten Schreiben des AMS auf die Rechtsfolgen bei Versäumung des Termins ohne triftigen Grund - erschienen seien. Obwohl es gerade Aufgabe eines Sachwalters sei, die Interessen der betroffenen Person u.a. gegenüber Behörden und Ämtern zu wahren, habe der Beschwerdeführervertreter als Sachwalter nicht dafür gesorgt, dass der Kontrollmeldetermin eingehalten werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 28/2004 hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (Z. 1), die Anwartschaft erfüllt (Z. 2) und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat (Z. 3). Nach Abs. 2 leg. cit. steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

Arbeitsfähig ist nach § 8 Abs. 1 AlVG, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist. Wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, ist der Arbeitslose verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld (§ 8 Abs. 2 AlVG).

§ 49 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung

BGBl. I Nr. 142/2000 lautet:

"Kontrollmeldungen

§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle unter Vorweisung der Meldekarte persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterlässt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören."

Gemäß §§ 38 und 58 sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführervertreter mit Beschluss des Bezirksgerichtes T vom zum Sachwalter des Beschwerdeführers bestellt wurde und für diesen die finanziellen Angelegenheiten, die Einkommens- und Vermögensverwaltung, die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten sowie privaten Vertragspartnern zu besorgen hatte.

Wie sich weiters aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, hat das Sachwalterschaftsgericht diesen Beschluss im Wesentlichen damit begründet, dass beim Beschwerdeführer nach dem eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten "Einbußen der kognitiven Leistungsfähigkeit, der Planungsfähigkeit und der Überblicksgewinnung" vorliegen; er sei "nicht in der Lage vorausschauend zu denken und benötige bezüglich der Alltagsverrichtungen Hilfe".

Ein Kontrolltermin iSd § 49 Abs. 1 AlVG dient in erster Linie der Betreuung des Arbeitslosen (vgl. zu diesem Aspekt das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0159), weshalb grundsätzlich dessen persönliches Erscheinen erforderlich ist. Die Wahrnehmung eines Kontrolltermins durch eine arbeitslose Person betrifft aber weder deren Geschäftsfähigkeit noch deren prozessuale Dispositionsfähigkeit und daher auch nicht den Wirkungskreis eines Sachwalters. Durch die Bestellung eines Sachwalters für einen bestimmten Aufgabenkreis wurde der Beschwerdeführer nur in seiner rechtlichen Dispositionsfähigkeit, jedoch nicht in seiner faktischen Handlungsfähigkeit beschränkt. Ihm war es zwar nicht möglich, ohne Zustimmung seines Sachwalters die im zuvor genannten Sachwalterbestellungsbeschluss beschriebenen Angelegenheiten zu regeln; in seine Fähigkeit, der persönlichen Kontrollmeldepflicht vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice wirksam nachzukommen, wird mit diesem Gerichtsbeschluss aber nicht eingegriffen. Die Nichteinhaltung einer im Bereich des Faktischen liegenden gesetzlichen Verpflichtung, wie der Wahrnehmung eines Kontrolltermins, steht daher nicht dem rechtsgeschäftlichen Handeln nahe, sondern kommt vielmehr dem deliktischen Handeln gleich. Die Bestellung eines Sachwalters im hier in Rede stehenden Umfang bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass die Vermutung des § 1297 erster Satz ABGB gegen den Beschwerdeführer nicht ins Treffen geführt werden kann. Es wäre daher unter Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer "eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig sei, welcher bei gewöhnlichen Fällen angewendet werden kann", d.h. ob der Beschwerdeführer in der Lage war, das Wesen eines Kontrolltermins zu verstehen und ob er an diesem Tag in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Obwohl er sogar in der Berufung auf die im Sachwalterschaftsverfahren aufgezeigten - zuvor angeführten - psychischen Defizite hingewiesen hat, hat die belangte Behörde Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers bzw. eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen nicht für notwendig erachtet. Die belangte Behörde hätte die Frage, ob der Beschwerdeführer in der Lage war, eine Ladung zur Kontrollmeldung wirksam entgegenzunehmen bzw. die Bedeutung der Vorschreibung zu erfassen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, klären müssen, etwa durch Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0039 mwN).

Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Die begehrte Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand findet darin keine Deckung.

Wien, am