VwGH vom 25.06.2013, 2011/08/0075
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten sowie den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des R R in S, vertreten durch Mag. Serge Preslmaier, Rechtsanwalt in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/2010-0566-4-001070-8, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice E (in der Folge: AMS) vom , mit dem der Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 29. September bis ausgesprochen wurde, nicht stattgegeben.
Der Beschwerdeführer beziehe seit beim AMS Arbeitslosengeld, ab Notstandshilfe. In der Betreuungsvereinbarung vom 13. September "2009" (richtig: ) sei mit dem Beschwerdeführer vereinbart worden, dass ihn das AMS bei der Suche nach einer Stelle als Chemielabortechniker bzw. nach den Notstandshilferichtlinien als Hilfsarbeiter unterstütze. Es lägen keine gesundheitlichen Einschränkungen vor, Betreuungspflichten habe er keine.
Das AMS habe ihm am 29. September "2009" (richtig: 2010) ein befristetes Beschäftigungsverhältnis (gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt) als Projektarbeiter bei RT in E mit mindestens kollektivvertraglicher Entlohnung und möglicher Arbeitsaufnahme am verbindlich angeboten. Die Tätigkeit habe die Grünanlagenpflege mit Anlernmöglichkeit umfasst. Dieses gemeinnützige Beschäftigungsprojekt (nicht Maßnahme) sei für Personen konzipiert, welche von bereits länger andauernder Arbeitslosigkeit betroffen seien. Der Beschwerdeführer werde dort nach dem Erstkontakt für sechs bis acht Monate ins Projekt aufgenommen und unter sozialarbeiterischer Intervention und Betreuung als Transitarbeitskraft im Bereich Planung und Pflege von Gärten und Grünanlagen eingesetzt. Sinn dieses Projektes sei die Integration in den Arbeitsmarkt durch Stabilisierung, Qualifizierung und Bewerbungstraining. Ein weiterer Teil dieses Beschäftigungsprojektes sei die aktive Arbeitssuche.
Am habe sich der Beschwerdeführer bei RT in E bei Frau R vorgestellt und einen Bewerbungsbogen ausgefüllt. Auf Seite 6 dieses Bewerbungsbogens habe er angekreuzt, dass er kein Interesse daran habe, dass RT ihn unterstütze, einen passenden Arbeitsplatz zu finden. Auf die Frage von Frau R, warum er dies nicht wolle, habe er angegeben, dass er diese Beschäftigung nicht machen wolle, weil er Nachteile bei der Arbeitssuche im erlernten Bereich vermute. Dies sei auch auf der ersten Seite des Bewerbungsbogens handschriftlich von Frau R in seiner Anwesenheit vermerkt und auch vom Beschwerdeführer unterschrieben worden ().
Das Beschäftigungsverhältnis sei daher nicht zustande gekommen. Bei der Rückgabe seines Antrages auf Notstandshilfe am beim AMS habe seine Beraterin konkret diese Aussage ("Nachteile bei der Arbeitssuche im erlernten Bereich") mit ihm besprochen, welche vom Beschwerdeführer auch bestätigt worden sei.
Die belangte Behörde führte weiters aus, es gehe ihm nicht um die Tätigkeit, sondern lediglich darum, dass es ein Problem sein könnte, wenn in seinem Lebenslauf eine Beschäftigung mit "FAB" vermerkt sei und dies ein Hinderungsgrund für die Aufnahme in seinem erlernten Beruf (Chemielabortechniker) sein könnte. Auch in seiner Niederschrift vom habe er zum Nichtzustandekommen der Beschäftigung eingewendet, dass er Nachteile bei der Arbeitssuche im erlernten Bereich vermute. Dass vom AMS angebotene Beschäftigungsverhältnis sei in allen Belangen zumutbar.
In seiner Berufung vom habe der Beschwerdeführer eingewendet, dass er ohne Verschulden von RT ausgeschlossen worden sei und die Stellungnahmen von RT Erfindungen seien. Von einem konkreten und verbindlichen Jobangebot seitens des AMS könne zu keiner Zeit die Rede sein und es sei am auch keine Zuweisung erfolgt. Da er seitens der regionalen Geschäftsstelle nicht hinreichend über RT informiert worden sei, habe er annehmen müssen, dass es sich bei dieser Einrichtung um eine reine Maßnahme handeln würde, also keine klassische Bewerbungssituation vorliegen würde.
Rechtlich erachtete die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer durch seine Aussage beim Bewerbungsgespräch, dass die angebotene Beschäftigung ein Hinderungsgrund für eine Aufnahme in seinem erlernten Beruf (Chemielabortechniker) sein könnte und er daher kein Interesse habe, das Nichtzustandekommen dieser Arbeitsaufnahme nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern sogar beabsichtigt habe, sodass für den erwähnten Zeitraum gemäß § 10 Abs. 1 AlVG kein Anspruch auf Notstandshilfe bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zum machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
§ 9 Abs. 7 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:
"(7) Als Beschäftigung gilt, unbeschadet der erforderlichen Beurteilung der Zumutbarkeit im Einzelfall, auch ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebes (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP), soweit dieses den arbeitsrechtlichen Vorschriften und den in den Richtlinien des Verwaltungsrates geregelten Qualitätsstandards entspricht. Im Rahmen dieser Qualitätsstandards ist jedenfalls die gegebenenfalls erforderliche sozialpädagogische Betreuung, die Zielsetzung der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen theoretischen und praktischen Ausbildung sowie im Falle der Arbeitskräfteüberlassung das zulässige Ausmaß überlassungsfreier Zeiten und die Verwendung überlassungsfreier Zeiten zu Ausbildungs- und Betreuungszwecken festzulegen."
Zu § 9 Abs. 7 AlVG idF BGBl. I Nr. 104/2007 führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (298 BlgNR 23. GP, 9) unter anderem aus:
"Abs. 7 enthält die Klarstellung, dass auch Arbeitsverhältnisse im Rahmen eines Sozialökonomischen Betriebs (SÖB) oder eines Gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes (GBP) - bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen - zumutbar sind.
Sozialökonomische Betriebe dienen der Förderung der Beschäftigung von arbeitslosen und schwer vermittelbaren Personen in Produktions- oder Dienstleistungsbetrieben von gemeinnützigen Trägern. Sie stellen marktnahe, befristete Arbeitsplätze (so genannte 'Transitarbeitsplätze') zur Verfügung und haben den Auftrag, vor allem Personen mit eingeschränkter Produktivität bei der Wiedererlangung jener Fähigkeiten zu unterstützen, die Einstiegsvoraussetzungen in den regulären Arbeitsmarkt sind. Im Rahmen eines Wirtschaftsbetriebes werden Betreuungs- und Trainingsmöglichkeiten für am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen geboten sowie die Reintegration in den regulären Arbeitsmarkt durch Beseitigung von Vermittlungshemmnissen und durch Qualifizierungsmaßnahmen vorbereitet."
§ 10 Abs. 1 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lautet:
"§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person
1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder
2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder
3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Die Bestimmungen des § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecks, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/08/0157 uva).
Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheidet sich nach dem aus dem Gesetzeswortlaut abzuleitenden Konzept des Gesetzgebers von der bloßen Vermittlung durch die regionale Geschäftsstelle dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann "bieten" wird, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, oder wenn zumindest der potentielle Dienstgeber direkt mit der arbeitsuchenden Person in Kontakt tritt und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/08/0163).
Die Verpflichtung einer arbeitslosen Person, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich sonst bietende Beschäftigung innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen des § 9 Abs. 2 bis 4 AlVG anzunehmen, deren Verletzung gemäß § 10 AlVG mit dem Verlust von Geldleistungen durch mindestens sechs Wochen sanktioniert ist, dient dem gerechtfertigten Ziel der Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Das Gesetz überlässt es aber der arbeitslosen Person selbst, vorerst die näheren Bedingungen der ihr von der regionalen Geschäftsstelle bekannt gegebenen oder der sonst sich bietenden Beschäftigung (wie Inhalt der Arbeitsverpflichtung, Arbeitszeit, Entlohnung und ähnliches) mit dem potentiellen Arbeitgeber zu besprechen, und verpflichtet sie sodann, dessen Angebot - wenn dieses nach den gesetzlichen Kriterien zumutbar ist - anzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0039).
In § 10 AlVG ist die "sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit" nicht explizit angeführt. Sie wird nur in § 9 Abs. 1 AlVG genannt. Aus dem systematischen Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen ergibt sich jedoch ebenso wie aus dem Zweck dieser Regelungen, Leistungsbezieher zu verhalten, ehestmöglich durch die Aufnahme einer Beschäftigung aus dem Leistungsbezug wieder auszuscheiden, dass die in § 10 AlVG vorgesehenen Sanktionen auch bei der Ausschlagung einer "sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit" in Frage kommen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/08/0085, und vom , Zl. 2009/08/0264)
2. Der Beschwerdeführer hat nicht bestritten, dass ihm von RT ein befristetes Beschäftigungsverhältnis angeboten worden ist, also eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit vorlag.
Die belangte Behörde hat die Vereitelungshandlung des Beschwerdeführers darin erblickt, er habe angegeben, dass er diese Beschäftigung nicht machen wolle, weil er Nachteile bei der Arbeitssuche im erlernten Bereich vermute.
3. Bei dem Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer habe keinesfalls generell eine ablehnende Haltung gegenüber einem Arbeitsbeginn bei RT gehabt, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (vgl. § 41 VwGG), hat doch der Beschwerdeführer in umfangreichen Eingaben stets betont, zu einer Arbeitsaufnahme bei RT nicht bereit zu sein.
Das weitere Vorbringen, dass RT "gemeinnützige Beschäftigungsprojekte anbietet" geht ins Leere, weil RT selbst ein solches ist. Das von ihm im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen, der Arbeitsplatz wäre unzumutbar gewesen, wird in der Beschwerde nicht aufrecht erhalten. Vor diesem Hintergrund stellt es auch keinen Verfahrensmangel dar, wenn die belangte Behörde - wie die Beschwerde meint - Nachforschungen darüber unterlassen hat, "warum es sich … um keine Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gehandelt haben soll".
4. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Rechtsrüge die Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt thematisiert, ist er darauf zu verweisen, dass unter Bedachtnahme der eingangs dargelegten Grundsätze eine solche nicht vorliegt.
5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist und die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung beantwortet sind; in der Beschwerde wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. zur Vereinbarkeit des Unterbleibens einer Verhandlung mit Artikel 6 EMRK in einem solchen Fall etwa die Entscheidung des EGMR vom , Zl. 8/1997/792/993, Jacobsson).
7. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am