VwGH vom 06.08.2021, Ra 2020/02/0030

VwGH vom 06.08.2021, Ra 2020/02/0030

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Landespolizeidirektion Kärnten gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , KLVwG-2465-2466/2/2019, betreffend Übertretungen der StVO (mitbeteiligte Partei: F in K), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Landespolizeidirektion Kärnten vom wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, er habe am zu konkret angegebenen Uhrzeiten auf einer näher bestimmten Straße mit seinem Fahrrad einen Gehsteig in Längsrichtung befahren (Spruchpunkt 1.) und habe sich zudem nach Aufforderung eines besonders geschulten Organs der Bundespolizei geweigert, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Suchtgift zu einem bei einer Landespolizeidirektion tätigen Arzt vorführen zu lassen, wobei vermutet habe werden können, dass das angeführte Fahrzeug in einem vermutlich durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt worden sei (Spruchpunkt 2.). Der Mitbeteiligte habe dadurch zu Spruchpunkt 1. § 68 Abs. 1 StVO und zu Spruchpunkt 2. § 99 Abs. 1 lit. b iVm. § 5 Abs. 5 1. Satz und Abs. 9 StVO verletzt, weshalb über ihn zu Spruchpunkt 1. gemäß § 99 Abs. 3 lit. a. StVO eine Geldstrafe iHv. € 40,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) und zu Spruchpunkt 2. gemäß § 99 Abs. 1 StVO eine Geldstrafe iHv. € 1.600,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 14 Tage) verhängt wurden.

2In der dagegen erhobenen Beschwerde wendete sich der Mitbeteiligte nur gegen die Strafhöhe.

3Mit dem gegenständlich angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die Beschwerde gegen Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses als unbegründet ab (Spruchpunkt I.). Hinsichtlich Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses gab es der Beschwerde insoweit Folge als es die Geldstrafe auf € 800,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 7 Tage herabsetzte (Spruchpunkt II.). Den Beitrag zu den Verfahrenskosten der Behörde setzte es neu mit € 80,-- fest. Die Revision erklärte es für unzulässig.

4Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligte Notstandshilfe mit einem Tagessatz iHv. € 22,19 beziehe und drei nicht einschlägige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen gegen ihn vorliegen würden.

5Das Verwaltungsgericht führte hinsichtlich § 19 VStG begründend aus, dass die gesetzlichen Bestimmungen, gegen die der Mitbeteiligte verstoßen habe, der Verkehrssicherheit dienen würden und er erheblich dagegen verstoßen habe. Als erschwerend sei nichts zu werten gewesen, als mildernd sei hinsichtlich Spruchpunkt 2. zu werten, dass der Mitbeteiligte lediglich mit einem Fahrrad unterwegs gewesen sei. Das Ausmaß des Verschuldens erscheine erheblich, weil nicht erkennbar sei, weshalb die verfahrensgegenständlichen Bestimmungen nicht hätten eingehalten werden können. Hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse sei von einer ungünstigen wirtschaftlichen Lage auszugehen gewesen. Die verhängte Strafe zu Spruchpunkt 1. entspreche den Strafbemessungsbestimmungen nach § 19 VStG. Hinsichtlich Spruchpunkt 2. sei jedoch zu berücksichtigen, dass aufgrund des Umstandes, dass lediglich ein Fahrrad gelenkt worden sei, im Sinne des § 20 VStG von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe auszugehen und demgemäß die Mindeststrafe auf die Hälfte herabzusetzen gewesen sei.

6Nur gegen Spruchpunkt II. dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, zu der eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird vorgebracht, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach der Umstand, dass der Mitbeteiligte nur ein Fahrrad und kein Kraftfahrzeug gelenkt habe, überhaupt keinen Milderungsgrund darstelle und die Anwendung des § 20 VStG nicht zu begründen vermöge.

9Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Im ordentlichen Verfahren sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die § 32 bis 35 StGB sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen (Abs. 2 par. cit.).

10Nach dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen § 20 VStG kann dann, wenn die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen oder der Beschuldigte ein Jugendlicher ist, die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden.

11Die Anwendung des § 20 VStG (außerordentliche Milderung der Strafe) setzt voraus, dass die vorliegenden Milderungsgründe - und zwar nicht der Zahl nach, sondern - dem Gewicht nach die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen (vgl. ). Dass diese Voraussetzung zutrifft, hat das Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise darzutun. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, in der Begründung seines Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG die für die Überprüfung der Ermessensübung maßgeblichen Gründe insoweit offen zu legen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich sein kann (vgl. ). Dazu ist es erforderlich, die im konkreten Fall nach Meinung des Gerichtes jeweils zum Tragen kommenden Milderungsgründe und Erschwerungsgründe einander gegenüberzustellen und darzulegen, dass und weshalb das Gewicht der Milderungsgründe jenes der Erschwerungsgründe „beträchtlich überwiegt“ (vgl. ).

12Bei der Strafbemessung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (, mwN).

13Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. , mwN).

14Indem die Revision aufzeigt, dass das Verwaltungsgericht von der zur Anwendung dieser Bestimmungen ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) abgewichen ist, erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

15§ 5 StVO stellt darauf ab, ob ein Fahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen wird. Der hier anzuwendende Strafsatz des § 99 Abs. 1 StVO sieht eine Geldstrafe von € 1.600,-- bis € 5.900,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen vor.

16Das Verwaltungsgericht nahm als Milderungsgrund den Umstand an, dass der Mitbeteiligte lediglich ein Fahrrad gelenkt habe und sah darin ein Überwiegen gegenüber den Erschwerungsgründen.

17Diese Ansicht des Verwaltungsgerichtes ist nicht zutreffend, denn nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes begründet „nur“ das Lenken eines Fahrrades allein bei einer Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO keineswegs die Anwendung des § 20 VStG (vgl. , und im Ergebnis ebenso: , VwSlg. 16357 A/2004, sowie ).

18Aufgrund dessen kann von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe jedenfalls nicht ausgegangen werden, sodass die Anwendung von § 20 VStG durch das Verwaltungsgericht zu Unrecht erfolgte, weshalb das angefochtene Erkenntnis in seinem Spruchpunkt II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020020030.L00

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