VwGH vom 25.06.2020, Ra 2020/02/0015
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag.a Dr.in Maurer-Kober als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der M in S, vertreten durch Mag. Michael Rettenwander, Rechtsanwalt in 5760 Saalfelden, Almerstraße 2/3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , 405-7/780/1/22-2019, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Zell am See), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerberin als handelsrechtlichen Geschäftsführerin und somit der gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufenen der Z. GmbH & Co KG angelastet, diese Gesellschaft habe es als Arbeitgeberin zu verantworten, dass am um 14:20 Uhr ein Arbeitnehmer in der Arbeitsstelle M in S auf dem Vordach mit einer Neigung bis 20° und einer Absturzhöhe von mehr als drei Meter ohne Absturzsicherung oder Schutzeinrichtung gemäß § 7 bis 10 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV mit Schneeräumarbeiten beschäftigt gewesen sei. Auch sei der Arbeitnehmer nicht mittels geeigneter persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz gesichert gewesen. Die Revisionswerberin habe dadurch § 87 Abs. 2 und Abs. 5 BauV übertreten, wofür über sie gemäß § 130 Abs. 5 Z 1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.330,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 53 Stunden) verhängt wurde. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht unter anderem fest, dass die Z. GmbH & Co KG ein Restaurant betreibe. Ein Arbeitnehmer, der im Restaurant als Kellner tätig gewesen sei, habe auf einem Vordach im 2. Stock [nach der Aktenlage zwischen dem 2. und dem 3. Stock] des Objektes Schneeräumarbeiten ohne die im Spruch angeführten Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, obwohl auf diesem Dach mit einer Neigung von bis zu 20° und einer Absturzhöhe von mehr als drei Meter Absturzgefahr bestanden habe. Unstrittig sei, dass dem Arbeitnehmer diese Tätigkeit zwar von der Revisionswerberin nicht aufgetragen worden sei, die Arbeiten aber im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses erfolgt seien.
3Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, bei den Schneeräumarbeiten auf dem Vordach habe es sich um Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung von Gebäuden, somit um Bauarbeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 BauV und § 2 Abs. 3 ASchG gehandelt. Es hätten daher die in der BauV vorgesehenen Maßnahmen zur Absturzsicherung von Arbeitnehmern getroffen werden müssen.
4Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision erkennbar wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.
5Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat von der Einbringung einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen.
6Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7Die Revisionswerberin erachtet die Revision für zulässig, weil das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis unter anderem auf , und ) von der Anwendung der BauV ausgegangen sei. Das Vordach sei keine Baustelle und die Schneeräumarbeiten am Vordach seien keine Bauarbeiten gewesen.
8Die Revision ist hinsichtlich der Frage der Anwendung der BauV zulässig und auch berechtigt.
9Gemäß § 1 Abs. 1 BauV gilt diese Verordnung für die Beschäftigung von Arbeitnehmern auf Baustellen im Sinn des § 2 Abs. 3 dritter Satz ASchG.
10Nach § 2 Abs. 3 ASchG sind Baustellen im Sinne dieses Bundesgesetzes zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen, an denen Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt werden. Dazu zählen insbesondere folgende Arbeiten: Aushub, Erdarbeiten, Bauarbeiten im engeren Sinne, Errichtung und Abbau von Fertigbauelementen, Einrichtung oder Ausstattung, Umbau, Renovierung, Reparatur, Abbauarbeiten, Abbrucharbeiten, Wartung, Instandhaltungs-, Maler- und Reinigungsarbeiten, Sanierung.
11Nach der Rechtsprechung setzt die Qualifikation einer Arbeitsstelle als Baustelle definitionsgemäß (vgl. § 2 Abs. 3 ASchG) voraus, dass an dieser Stelle Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt werden (vgl. ). Die in § 2 Abs. 3 ASchG angeführten Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung fallen nur dann darunter, wenn sie im Zusammenhang mit der Durchführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten erfolgen (vgl. ).
12Wenn das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass es sich bei den Schneeräumarbeiten am Vordach um Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung von Gebäuden, somit um Bauarbeiten iSd § 2 Abs. 3 ASchG gehandelt habe, ohne dass es einen Zusammenhang dieser Arbeiten mit der Durchführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten festgestellt hat (vgl. § 41 VwGG, wonach der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts zu überprüfen hat), weicht es von der dargestellten Rechtsprechung ab.
13Ist das Vordach aber keine Baustelle, weil dort keine Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt wurden, sind die Bestimmungen der BauV im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Bestrafung wegen Übertretung von § 87 Abs. 2 und Abs. 5 BauV erweist sich daher als rechtswidrig.
14Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abzusehen.
16Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020020015.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 |
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