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VwGH vom 15.02.2021, Ra 2020/01/0351

VwGH vom 15.02.2021, Ra 2020/01/0351

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W248 2206254-1/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M R, in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und setzte eine vierzehntätige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom wurde der Mitbeteiligte wegen § 87 Abs. 1 StGB sowie § 15, 269 Abs. 1 erster Fall und § 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.

4Die gegen den Bescheid des BFA vom erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Erkenntnis hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab und gab der Beschwerde im Übrigen statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, behob die übrigen Spruchpunkte ersatzlos und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5Begründend führte das BVwG zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass dem Mitbeteiligten eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz aufgrund der volatilen Sicherheitslage nicht möglich und ihm aufgrund der Covid-19-Pandemie keine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar sei.

6Gegen dieses Erkenntnis erhob das BFA die vorliegende Amtsrevision. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er die Zurück-, in eventu die Abweisung der Amtsrevision beantragte.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Die Amtsrevision ist im Hinblick auf die im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigte Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zulässig; sie ist auch begründet.

9Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung weiters dargelegt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. etwa , mwN).

10In Bezug auf die Covid-19-Pandemie und subsidiären Schutz ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits klargestellt wurde, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. ; , Ra 2020/20/0416; , Ra 2020/01/0242, jeweils mwN).

11Darüber hinaus reicht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet allerdings nicht aus, um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. ; , Ra 2020/01/0130, jeweils mwN).

12Beim Mitbeteiligten handelt es sich unstrittig um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertrauten Mann, der über eine mehrjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung im Herkunftsstaat verfügt. Dass der Mitbeteiligte in Bezug auf die Covid-19-Pandemie einer „Risikogruppe“ angehören würde, wurde im Verfahren nicht vorgebracht.

13Das BVwG stützt die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich auf die Annahme, dem Mitbeteiligten sei weder eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz möglich noch sei ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar. Das BVwG hielt in diesem Zusammenhang darüber hinaus ausdrücklich fest, dass dem Mitbeteiligten grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative in den genannten Städten zur Verfügung stehe, eine solche jedoch aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Afghanistan derzeit nicht zumutbar sei.

14Das BVwG ist somit von der angeführten Rechtsprechung abgewichen.

15Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010351.L00

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