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VwGH 23.06.2010, 2008/23/1452

VwGH 23.06.2010, 2008/23/1452

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/23/1453

2008/23/1455

2008/23/1454

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde 1. der SY, geboren 1980, 2. der MI, geboren 2002, 3. des EI, geboren 2001, und 4. des EY, geboren 2004, alle in G, alle vertreten durch Dr. Herwig Wutscher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Körösistraße 9/1, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) , Zl. 251.495/0/7E-V/13/04, 2.) , Zl. 267.364/0/1E-V/13/06, 3.) , Zl. 267.362/0/1E-V/13/06 und 4.) , Zl. 257.845/0/2E-V/13/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden im Umfang ihres jeweiligen Spruchpunktes III. (Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei) hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 4.425,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien. Alle Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am Asyl. Als Fluchtgrund gab sie an, sie habe die Beschimpfungen und Bedrohungen durch ihre Brüder wegen ihrer Scheidung nicht mehr ertragen. Für ihren am in Österreich geborenen Sohn, den Viertbeschwerdeführer, beantragte sie am Asyl. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer reisten danach in das Bundesgebiet nach; die Erstbeschwerdeführerin beantragte auch für sie am Asyl.

Mit den im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gegen die ihre Asylanträge abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes vom (betreffend die Erstbeschwerdeführerin), vom (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer) bzw. vom (betreffend den Viertbeschwerdeführer) gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Türkei fest und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus.

Die belangte Behörde traf im erstangefochtenen Bescheid zur familiären Situation der Erstbeschwerdeführerin folgende Feststellungen (Fehler hier und im Folgenden im Original):

"Die Antragstellerin hat vier Kinder aus erster Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen, sowie ein weiteres Kind mit einem türkischen Staatsangehörigen. Die Antragstellerin wurde von ihrem Ehemann im Jahre 2002 geschieden. (...)

Die Antragstellerin verfügt im österreichischen Bundesgebiet über keine engen familiären Bindungen zu in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Personen. Die Antragstellerin lebt nicht mit dem Vater des fünften Kindes in einem gemeinsamen Haushalt oder sonstiger Lebensgemeinschaft.

Im Einzelnen werden die Angaben der Antragstellerin zu ihrer Lebenssituation (...) als gesicherter Sachverhalt festgestellt der Entscheidung zugrunde gelegt."

Ferner führte die belangte Behörde zur Begründung der Ausweisungsentscheidung der Erstbeschwerdeführerin Folgendes aus:

"Dass die Antragstellerin durch Rückverbringung in dem gewährleisteten Recht auf Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK berührt wäre, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Hiezu ist auszuführen, dass die Antragstellerin (mit) einer österreichischen Staatsbürgerin türkische Provenienz, mit welcher sie weder verwandt noch verschwägert ist, zusammenlebt. Des weiteren führte die Antragstellerin ausdrücklich aus, dass sie mit ihrem Ex-Ehemann nichts mehr zu tun habe, sie teilweise jedoch mit ihm zusammen in einer Wohnung lebe, diesbezüglich dieser Zustand, wegen des Wohlergehens der gemeinsamen Kinder besteht, sie sich eine eigene Wohnung alleine nicht leisten kann.

Weitere enge familiäre Bindungen bzw. soziale Bindungen allenfalls zum Vater ihres nach Scheidung gezeugten Kindes, führte die Antragstellerin nicht ins Treffen, weshalb auch diesbezüglich auch nicht von einer familiären Bindung auszugehen ist. Hervorzuheben ist, dass diesbezüglich auch kein gemeinsamer Wohnsitz oder sonstige finanzielle Abhängigkeiten zum Ex-Ehemann bzw. Vater des nach Scheidung gezeugten Kindes bestehen."

Hinsichtlich der anderen beschwerdeführenden Parteien wurde - nach Hinweis auf die negativ beschiedenen Asylanträge der Erstbeschwerdeführerin sowie der jeweils anderen beschwerdeführenden Geschwister - im jeweiligen angefochtenen Bescheid wortgleich ausgeführt, dass die Ausweisung keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen würde, weil kein vom Schutz des Art. 8 EMRK umfasster Familienbezug zu einer dauernd aufenthaltsberechtigten Person in Österreich vorliege. Zum sich in Österreich aufhaltenden Vater der minderjährigen Beschwerdeführer bestehe kein "intensives Familienleben".

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Zu I.:

Die Beschwerde bestreitet, dass die Beschwerdeführer durch die Ausweisung in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht berührt würden. Von der Ausweisung seien lediglich die Erstbeschwerdeführerin sowie deren minderjährige Kinder (Zweit- bis Viertbeschwerdeführer) betroffen. Die Erstbeschwerdeführerin habe aber noch zwei weitere Kinder, nämlich IG, geboren 1994, und IS, geboren 1996, welche die Hauptschule in Graz besuchen würden. Deren Aufenthaltsberechtigung werde jährlich um ein weiteres Jahr verlängert; diese beiden Kinder der Erstbeschwerdeführerin würden sich somit mit einem gültigen Aufenthaltstitel im österreichischen Bundesgebiet aufhalten. Sowohl GI als auch SI würden mit den Beschwerdeführern im gemeinsamen Haushalt in G leben. Die Erstbeschwerdeführerin habe evidentes Interesse daran, weiterhin in Kontakt mit den beiden Kindern zu bleiben; dieses würde jedenfalls das Interesse der Republik Österreich an der Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin überwiegen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Hinblick auf die verfügte Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbebstand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/0938 bis 0942, mwN).

Diesen Anforderungen wird der die Erstbeschwerdeführerin betreffende Bescheid in Ansehung der Ausweisung nicht gerecht.

Obwohl die belangte Behörde die Angaben der Erstbeschwerdeführerin zu ihrer Lebenssituation der Entscheidung als "gesicherte(n) Sachverhalt" zugrunde legt, lässt sie unberücksichtigt, dass die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt bzw. vor der belangten Behörde angegeben hat, auch die Mutter zweier (seit 2002) in Österreich lebender, minderjähriger Kinder zu sein, mit denen sie (nunmehr) im gemeinsamen Haushalt lebe. Der erstangefochtene Bescheid legt weder dar, aus welchen Gründen die Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin keinen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben zu diesen minderjährigen Kindern der Erstbeschwerdeführerin darstellen sollte, noch enthält er Ausführungen dazu, warum ein diesbezüglicher Eingriff als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt anzusehen wäre.

Der erstangefochtene Bescheid kann somit hinsichtlich der verfügten Ausweisung schon aus diesen Gründen keinen Bestand haben und war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

In Anbetracht der Aufhebung der die Mutter der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien betreffenden Ausweisung und infolge der dieser Aufhebung innenwohnenden ex tunc-Wirkung (§ 42 Abs. 3 VwGG) erweisen sich auch die hinsichtlich der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien verfügten Ausweisungen als verfehlt, zumal nicht zu erkennen ist, dass öffentliche Interessen es erfordern würden, dass die minderjährigen zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien Österreich vor einer Entscheidung über die Ausweisung ihrer Mutter verlassen müssen. Die sie betreffenden Bescheide waren daher in ihrem jeweiligen Spruchpunkt III. (Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei) wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft - soweit sie sich nicht auf die jeweils mit Spruchpunkt III. verfügten Ausweisungen in den angefochtenen Bescheiden bezieht - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im oben angeführten Umfang abzulehnen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
B-VG Art131 Abs3;
MRK Art8;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §42 Abs3;
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2010:2008231452.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAE-86055