VwGH vom 30.06.2011, 2008/23/1375
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A N, geboren 1980, vertreten durch Dr. Paul Herzog, Rechtsanwalt in 5730 Mittersill, Kirchgasse 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 317.194-1/4E-XVIII/58/08, betreffend § 3 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, beantragte am die Gewährung von internationalem Schutz.
Vor dem Bundesasylamt gab er dazu am im Wesentlichen an, er sei seit 2003 in Kirkuk als Polizist tätig gewesen. Er habe als Polizist keinen "normalen Streifendienst" absolviert, sondern sei nur mit Hausdurchsuchungen und der Verhaftung von "Terroristen" beschäftigt gewesen. Nach einer gemeinsam mit drei Kollegen durchgeführten Festnahme seien die "Terroristen" zwar zunächst inhaftiert, sodann aber wieder freigelassen worden. Danach seien seine drei Kollegen - etwa 20 Tage vor seiner Flucht - ermordet worden. In weiterer Folge sei sein Vater, der mit dem Auto des Beschwerdeführers gefahren sei, erschossen worden, weil man diesen für den Beschwerdeführer gehalten habe. Auch er selbst sei telefonisch bedroht worden. Er habe daher aus Furcht um sein Leben das Land verlassen.
Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte ihm den Status des Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig erkannte es dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Begründend traf das Bundesasylamt (auf rund 46 Seiten des Bescheides) Feststellungen zur Lage im Irak und ging davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers, wonach er als Polizist "Terroristen" verhaftet habe und diese anschließend seine drei Arbeitskollegen umgebracht sowie seinen Vater getötet hätten, weil sie auf das Auto des Beschwerdeführers geschossen hätten, "denkmöglich und daher auch glaubwürdig" seien.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesasylamt zur Versagung von Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine gegen ihn gerichtete staatliche Verfolgung vorgebracht. Das Asylrecht schütze nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. Voraussetzung für eine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) sei weiters, dass die Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Gesinnung erfolge. Die vom Beschwerdeführer "angegebenen Schwierigkeiten mit den Terroristen" stellten keinen Grund für die Gewährung von Asyl dar, zumal er damit keine drohende Verfolgung aus den genannten Gründen glaubhaft gemacht habe.
Zur Gewährung von subsidiärem Schutz verwies das Bundesasylamt im Wesentlichen darauf, dass der Irak sich in einer schwierigen Umwälzungsphase befinde und wirtschaftlich daniederliege. Es ereigneten sich laufend "sicherheitsrelevante " Vorfälle. Eine Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 Fremdengesetz (1997) liege vor, wobei dazu auf ein näher bezeichnetes UNHCR-Positionspapier zu verweisen sei. Auf Basis dessen bestünden Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückführung in den Irak Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung -
die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom gerichtete Berufung des Beschwerdeführers ab.
Begründend führte sie nach Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, das Bundesasylamt habe ein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides dessen Ergebnisse, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die belangte Behörde schließe sich diesen Ausführungen an und erhebe sie zum Inhalt ihrer Entscheidung. Dem Bundesasylamt sei beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorgekommen sei, der den Schluss zuließe, dem Beschwerdeführer drohe eine Gefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgung resultiere "vielmehr aus der allgemeinen Lage im Irak und der Tatsache, dass jemand durch das Einschlagen der Polizeilaufbahn gewöhnlich einer erhöhten Gefahr ausgesetzt" sei und "sich durch die Auswahl dieses Berufes bewusst diesem erhöhten Gefahrenpotential" aussetze.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die belangte Behörde legte - wie schon das Bundesasylamt - ihrer Entscheidung das Vorbringen des Beschwerdeführers zu Grunde, demzufolge er als Polizist von "Terroristen" verfolgt werde, weil er gemeinsam mit drei inzwischen ermordeten Kollegen deren Verhaftung vorgenommen habe. Ausgehend davon verneinte die belangte Behörde die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers schon deshalb, weil die vorgebrachte Verfolgung nicht auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung) zurückzuführen sei. Diese Rechtsauffassung erweist sich vor dem Hintergrund der - von der belangten Behörde durch Verweis auf die erstinstanzliche Entscheidung im Detail festgestellten - Situation im Irak als unzutreffend, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um die Verfolgung wegen einer dem Beschwerdeführer unterstellten, gegen die politischen Ziele der von ihm als "Terroristen" bezeichneten Gruppe gerichteten politischen Ansicht handelt (vgl. dazu etwa das - Algerien betreffende - hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0728, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2000/01/0518, vom , Zl. 99/01/0205, und vom , Zl. 99/01/0256).
Dass dem Beschwerdeführer aber gegen eine auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung effektiver staatlicher Schutz zur Verfügung stünde, kann den - das Gegenteil zum Ausdruck bringenden - - Länderfeststellungen des Bundesasylamtes, auf die die belangte Behörde verwiesen hat, nicht entnommen werden. Eigenständige Erwägungen zur Schutzfähigkeit und dem Willen des Staates, dem Beschwerdeführer einen der Situation entsprechenden Schutz angedeihen zu lassen, lässt der angefochtene Bescheid zur Gänze vermissen.
Soweit sich die belangte Behörde überdies die Auffassung des Bundesasylamtes zu Eigen gemacht hat, wonach die Asylgewährung eine gegen den Betreffenden gerichtete staatliche Verfolgung voraussetze und das Asylrecht nur Personen schütze, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde, hat sie verkannt, dass die Ansicht, zur Asylgewährung bedürfe es einer "Verfolgungshandlung des Staates", nicht dem Gesetz entspricht (vgl. dazu etwa das zum Asylgesetz 1997 ergangene, aber insoweit übertragbare hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0391, mwH).
Nach dem Gesagten beruht die Entscheidung der belangten Behörde somit auf einer Verkennung der Rechtslage, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-86040