VwGH vom 22.03.2021, Ra 2020/01/0293

VwGH vom 22.03.2021, Ra 2020/01/0293

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revisionen der 1. E K (Ra 2020/01/0293), 2. H K (Ra 2020/01/0384) und 3. Z K (Ra 2020/01/0385), alle in Z, alle vertreten durch Mag. Laura Schobesberger, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Schillerstraße 12, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-750769/2/BP/JB - 750771/2, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Den insoweit unstrittigen Feststellungen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich (Verwaltungsgericht) zufolge wurde der Erstrevisionswerberin mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung (belangte Behörde) vom die österreichische Staatsbürgerschaft im Wege der Erstreckung verliehen. Durch Entlassung aus dem türkischen Staatsverband hat sie die türkische Staatsangehörigkeit mit Wirkung vom verloren.

2Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der am geborenen Zweitrevisionswerberin und der am geborenen Drittrevisionswerberin. Der Ehemann der Erstrevisionswerberin und Vater der Zweit- und Drittrevisionswerberin ist türkischer Staatsangehöriger.

3Mit Schreiben vom beantragten die Revisionswerberinnen die Feststellung, dass die Erstrevisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren habe und die Zweit- sowie Drittrevisionswerberin österreichische Staatsbürger seien. Dazu brachten sie zusammengefasst vor, die Erstrevisionswerberin sei im Jahr 2011 von ihrem Ehemann und ihren Schwiegereltern angehalten worden, Unterlagen in türkischer Sprache zu unterzeichnen, die sie nicht habe lesen können. Dabei sei ihr mitgeteilt worden, dass es um die Erlangung einer türkischen Krankenversicherung gehe. Bis zum Ansuchen um Ausstellung eines österreichischen Reisepasses für die Drittrevisionswerberin beim österreichischen Konsulat sei ihr nicht bewusst gewesen, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben hätte. Sie habe zu keinem Zeitpunkt willentlich die türkische Staatsangehörigkeit angenommen.

4Mit Bescheid vom stellte die belangte Behörde fest, dass die Erstrevisionswerberin gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die österreichische Staatsbürgerschaft mit Wirkung vom verloren habe und die Zweit- und Drittrevisionswerberin nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.

5Die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberinnen, worin sie die Durchführung einer Verhandlung beantragten, wies das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

6Begründend legte das Verwaltungsgericht den von der belangten Behörde im Feststellungsbescheid festgestellten Sachverhalt zugrunde. Demnach habe die Erstrevisionswerberin wissentlich und willentlich die Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit beantragt und diese mit Wirkung vom ohne Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft erhalten. Dass die Erstrevisionswerberin den „formal geleisteten Akt“ zur Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit „unwillentlich bzw. unwissentlich“ geleistet habe und den Inhalt ihrer Erklärung wegen mangelhafter Türkischkenntnisse nicht verstanden habe, sei nicht glaubhaft.

Unabhängig davon, ob der Erstrevisionswerberin die Konsequenzen der Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit auf Grund ihrer Erklärung bewusst gewesen sei, habe sie gemäß § 27 Abs. 1 StbG mit dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit Wirkung vom ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren.

Da die Erstrevisionswerberin demnach zum Zeitpunkt der Geburt der Zweit- und Drittrevisionswerberin die österreichische Staatsbürgerschaft bereits verloren gehabt habe, seien die Zweit- und Drittrevisionswerberin keine österreichischen Staatsbürger. § 7 Abs. 1 Z 1 StbG (Erwerb der Staatsbürgerschaft kraft Abstammung nach der Mutter) sei nicht anwendbar. Beide hätten die österreichische Staatsbürgerschaft nie besessen.

Darin, dass die belangte Behörde im Jahr 2012 ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts der Staatsbürgerschaft (formlos) eingestellt habe, sei kein Fall von res iudicata zu erblicken.

Die Erstrevisionswerberin lebe seit 2011 in aufrechter Ehe mit ihrem türkischen Ehemann und ihren beiden Töchtern in der Türkei. Der Lebensmittelpunkt der Familie liege in der Türkei. Beide Töchter seien nicht in Österreich, sondern in der Türkei sozialisiert. Der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft sei daher in Bezug auf den damit verbundenen Verlust des Unionsbürgerstatus verhältnismäßig.

7Da sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits widerspruchsfrei aus dem von der belangten Behörde übermittelten Verfahrensakt ergeben habe und ein Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 CRG entgegenstehe, habe entgegen dem Antrag der Revisionswerberinnen auf die Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung verzichtet werden können.

8Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zulässigkeit

10Die Revision ist hinsichtlich des im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Abweichens des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht gemäß § 24 VwGVG zulässig und berechtigt.

Allgemeines

11Gemäß § 27 Abs. 1 StbG verliert die österreichische Staatsbürgerschaft, wer auf Grund seines Antrages, seiner Erklärung oder seiner ausdrücklichen Zustimmung eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bewilligt worden ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Bestimmung des § 27 Abs. 1 StbG voraus, dass der Staatsbürger eine auf den Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichtete „positive“ Willenserklärung abgibt und die fremde Staatsangehörigkeit infolge dieser Willenserklärung tatsächlich erlangt. Da das Gesetz verschiedene Arten von Willenserklärungen („Antrag“, „Erklärung“, „ausdrückliche Zustimmung“) anführt, bewirkt jede Willenserklärung, die auf Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit gerichtet ist, im Falle deren Erwerbs den Verlust der (österreichischen) Staatsbürgerschaft. Auf eine förmliche Verleihung der fremden Staatsangehörigkeit kommt es nicht an.

Ein Irrtum über die Auswirkungen des gewollten Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit - selbst wenn er unverschuldet wäre - vermag die Rechtswirksamkeit eines auf den Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit gerichteten Antrages im Sinne des § 27 Abs. 1 StbG nicht zu beseitigen. Vielmehr tritt der Verlust der Staatsbürgerschaft unabhängig davon ein, ob er beabsichtigt war, auch wenn der Betroffene die österreichische Staatsbürgerschaft beibehalten wollte.

Eine primär auf ein anderes Ziel gerichtete Willenserklärung (z.B. Antritt eines Lehramtes an einer ausländischen Hochschule, Eheschließung) bewirkt hingegen nicht den Verlust der Staatsbürgerschaft, auch wenn dem Betroffenen bekannt ist, dass damit der Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft verbunden ist (vgl. zu all dem , Rn. 12 bis 14, mwN).

Verhandlungspflicht gemäß § 24 VwGVG

12Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 erster Satz leg. cit. hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Gemäß Abs. 4 leg. cit. kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Einzelfallbezogene Beurteilung

13Vorliegend ist das Verwaltungsgericht - trotz des Antrags der Revisionswerberinnen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - allein auf Grund der Aktenlage davon ausgegangen, dass bei der Erstrevisionswerberin die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 StbG für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, insbesondere eine auf den (Wieder-)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichtete „positive“ Willenserklärung, vorliegen.

14Entgegen dem Verwaltungsgericht war der entscheidungswesentliche Sachverhalt, insbesondere das von den Revisionswerberinnen sowohl im behördlichen Verfahren als auch in der Beschwerde ausdrücklich bestrittene Vorliegen einer auf den (Wieder-)Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gerichteten Willenserklärung, im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen und die dazu erstatteten Beweisanträge auf Parteieinvernahme der Erstrevisionswerberin sowie eines namhaft gemachten Zeugen aus der Aktenlage nicht widerspruchsfrei und hinreichend geklärt. Das Verwaltungsgericht durfte nicht davon ausgehen, dass eine mündliche Verhandlung die weitere Klärung der strittigen und für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft wesentlichen Tatfrage, ob die Erstrevisionswerberin bewusst die (Wieder-)Erlangung der türkischen Staatsangehörigkeit beantragte, nicht erwarten lässt (vgl. zur Bedeutung des persönlichen Eindrucks im Rahmen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung - dort auch iZm § 27 StBG - , mwN).

15Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 VwGVG für ein Absehen von einer Verhandlung ungeachtet des Parteieintrags der Revisionswerberinnen liegen somit nicht vor.

16Das Verwaltungsgericht hat insofern das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Sonstiges

17Dem Einwand der Revisionswerberinnen, dem angefochtenen Erkenntnis stehe im Hinblick darauf, dass der verfahrensgegenständliche Sachverhalt der belangten Behörde bereits 2012 bekannt gewesen sei, ohne dass die belangte Behörde das Verfahren zur Feststellung des Verlustes der Staatsbürgerschaft „finalisiert“ habe, das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen, ist entgegen zu halten, dass nach ständiger Rechtsprechung eine entschiedene Sache iSd § 68 Abs 1 AVG dann vorliegt, wenn die Verwaltungssache bereits durch einen formell rechtskräftigen Bescheid entschieden wurde (vgl. , mwN).

Ergebnis

18Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

19Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

20Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren im Umfang der Eingabengebühr war abzuweisen, weil unter anderem hinsichtlich der Eingabengebühr mit Beschluss vom die Verfahrenshilfe bewilligt wurde.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020010293.L00

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