VwGH vom 18.01.2012, 2011/08/0060

VwGH vom 18.01.2012, 2011/08/0060

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der I R in Wien, vertreten durch Dr. Robert Krasa, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Museumstraße 4, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 2009-0566-9-004210, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice L (in der Folge: AMS) vom wurde der Notstandshilfebezug der Beschwerdeführerin mangels Arbeitslosigkeit ab eingestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ab selbständig erwerbstätig sei, der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliege und daher ab diesem Zeitpunkt nicht mehr arbeitslos sei.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid keine Folge gegeben.

In ihrer Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin am niederschriftlich angegeben habe, seit als Energetikerin (Arbeit mit der Resonanzmethode) selbständig erwerbstätig zu sein und ab diesem Tag auch dieses Gewerbe angemeldet zu haben. Sie habe dem AMS erklärt, für diese Tätigkeit zwei bis fünf Stunden pro Woche aufzubringen. Für November und Dezember 2009 habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass sowohl das Einkommen als auch der Umsatz "EUR 0,00" betragen würde. Im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherung sei zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung erster Instanz ersichtlich gewesen, dass die Beschwerdeführerin ab der Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem GSVG unterlegen sei. Auf Grund einer verspäteten Einstellung des Leistungsbezuges sei der Beschwerdeführerin allerdings irrtümlich seitens des AMS die gesamte Leistung für November 2009 noch ausbezahlt worden. Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen des Berufungsverfahrens bewirken können, dass die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft diese Pflichtversicherung "vorläufig wieder storniert hat." Dieses Schreiben vom habe die Beschwerdeführerin dem AMS zur Kenntnis gebracht. Darin sei ausgeführt, dass sie am einen Antrag auf Feststellung der Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG gestellt habe und sie deswegen ab als (laut diesem Schreiben dem) Versicherungsbeginn vorläufig auch von der Pflichtversicherung in der GSVG-Pensions- und Krankenversicherung ausgenommen sei. Im Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherung sei aus diesem Grund bei einer Abfrage vom die gegenständliche Pflichtversicherung nicht mehr ersichtlich. Im Rahmen des Verfahrens habe sich allerdings ergeben, dass die Beschwerdeführerin die Meldung des Nichtbetriebes des Gewerbes als Energetikerin erst per veranlasst habe. Die Beschwerdeführerin habe in Bezug darauf der belangten Behörde noch ein ergänzendes Mail geschickt und darin den § 12 Abs. 6 AlVG sowie den § 5 Abs. 2 ASVG in Bezug auf die Geringfügigkeitsgrenze angeführt und erklärt, dass sie gegenüber dem AMS die dementsprechenden Erklärungen seit November 2009 abgegeben habe und sowohl das Einkommen wie auch der Umsatz "EUR 0,00" betragen haben und somit unter der Geringfügigkeitsgrenze gelegen wären; es sei ihr aber klar, dass die Meldungen mit dem Einkommensteuerbescheid überprüft würden. Seit stehe die Beschwerdeführerin wieder im Notstandshilfebezug.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde neben Zitierung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, dass das AMS den Leistungsbezug per eingestellt habe, weil ab diesem Datum eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung der gewerblichen Wirtschaft vorgelegen habe; dies schließe nach § 12 AlVG das Vorliegen von Arbeitslosigkeit aus. Allein die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Bemühungen eine (vorläufige) rückwirkende Ausnahme von der Pflichtversicherung bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft bewirkt habe, könne keine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides bewirken, weil der erstinstanzliche Bescheid auf Grund der damals tatsächlich vorliegenden Pflichtversicherung nach dem GSVG ab richtiger Weise ergangen sei. Eine Berücksichtigung der geänderten Umstände könne erst bei einer neuerlichen Geltendmachung der Ansprüche der Beschwerdeführerin geprüft und gegebenenfalls berücksichtigt werden. Die Situation hätte sich anders dargestellt und wäre im Sinne des § 12 AlVG anders zu behandeln gewesen, "wenn aber auch die selbständige Erwerbstätigkeit zusätzlich zum Wegfall der Pflichtversicherung beendet gewesen wäre"; die Beschwerdeführerin habe (aber) bei der Behandlung der Frage des Zeitpunktes der Gewerberuhendmeldung im Berufungsverfahren selber ausgeführt bzw. nachgewiesen, ihr Gewerbe als Energetikerin erst per ruhend gemeldet zu haben.

Abschließend fasste die belangte Behörde zusammen, dass selbst eine rückwirkende Ausnahme von der Pflichtversicherung "vor allem unter dem Gesichtspunkt des Zusammentreffens mit der Nichtbeendigung der selbständigen Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin (in Ermangelung einer früheren Ruhendmeldung)" keine Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides bewirken habe können (wozu sie ergänzte, dass auf Grund der Geltendmachung am die Voraussetzungen neuerlich geprüft und der Beschwerdeführerin in der Folge Notstandshilfe zuerkannt worden sei).

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene, nach Ablehnung und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Februar 201, B 482/10-6, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung der Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht gemäß Abs. 2 leg. cit. zur Verfügung, wer unter anderem arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist.

§ 12 Abs. 1 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 hat (auszugweise) folgenden Wortlaut:

"(1) Arbeitslos ist, wer

1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,

2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und

3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.

(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:


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a)
wer in einem Dienstverhältnis steht;
b)
wer selbständig erwerbstätig ist;

(6) Als arbeitslos gilt jedoch,

c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge, die als Werbungskosten geltend gemacht wurden, noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge übersteigt;

…"

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits im Erkenntnis vom , Zl. 2009/08/0195, mit der Frage der Auswirkungen der Neugestaltung des (gemäß § 79 Abs. 94 AlVG für ab geltend gemachte Ansprüche und somit auch für diesen Beschwerdefall anzuwendenden) § 12 AlVG auseinandergesetzt und dazu ausgesprochen:

"Seit ist mit der Novelle zum AlVG BGBl.I Nr. 104/2007 die Arbeitslosenversicherung auch für Selbständige geöffnet (siehe auch § 3AlVG). In der Neufassung von § 12 Abs. 1 leg. cit. ist das Vorliegen von Arbeitslosigkeit an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft: Beendigung einer (unselbständigen oder selbständigen) Erwerbstätigkeit (Z. 1), kein Unterliegen der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung - mit Ausnahme der Zeiträume nach § 16 Abs. 1 lit. k und l (Z. 2) und keine Ausübung einer neuen oder weiteren (unselbständigen oder selbständigen) Erwerbstätigkeit (Z. 3). … Die Ausnahmeregelungen nach Abs. 6 lit. c dieser Bestimmung können daher seit nur für nach Eintritt der Arbeitslosigkeit neu aufgenommene, nicht pensionsversicherte Tätigkeiten geltend gemacht werden."

Im vorliegenden Fall war die Beschwerdeführerin nach den (teilweise disloziert getroffenen) unbekämpften Feststellungen im angefochtenen Bescheid seit als Energetikerin selbständig erwerbstätig und hat dieses Gewerbe ab diesem Tag auch angemeldet. In weiterer Folge hat sie während des Berufungsverfahrens die Ausnahme von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem GSVG bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft "rückwirkend ab erreicht" und per dieses Gewerbe infolge Nichtbetriebes als ruhend gemeldet.

Da das Gewerbe nach diesen Feststellungen erst mit angemeldet wurde, ist die Einstellung der Notstandshilfe hinsichtlich des davor liegenden Zeitraumes schon deshalb verfehlt, weil gemäß § 6 Abs. 3 Z. 1 GSVG die Pflichtversicherung erst mit diesem Tag beginnen konnte.

Die Beschwerde zeigt ferner zutreffend auf, dass die belangte Behörde die im Berufungsverfahren eingetretene Änderung der Sachlage (eine rückwirkende Ausnahme von der Pflichtversicherung) zu berücksichtigen gehabt hätte (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 898/75, VwSlg 9315 A/1977).

Es kann zwar rückwirkend kein Arbeitslosengeld beantragt werden, wenn es aber bezogen wurde, dann ist auch die rückwirkende Ausnahme von der Pflichtversicherung nach dem GSVG beachtlich, weil rechtliche Umstände - im Gegensatz zu faktischen Umständen - grundsätzlich auch auf frühere Zeiträume zurückwirken können, wenn dies der Gesetzgeber für diese Umstände ausdrücklich anordnet und der Zweck jenes Gesetzes, auf welches sich diese Rückwirkung auswirkt, nicht dagegen spricht (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0541).

Ausgehend von den Feststellungen war die Beschwerdeführerin ab selbständig erwerbstätig; weiters war die Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren offenbar rückwirkend gemäß § 4 Abs. 1 Z. 7 GSVG aus der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommen.

Indem die belangte Behörde dies ungeprüft gelassen und die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit iSd § 12 AlVG ab verneint hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am