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VwGH vom 26.05.2011, 2008/23/1343

VwGH vom 26.05.2011, 2008/23/1343

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 232.256/0/19E-II/06/02, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: MK, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren des Mitbeteiligten wird abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am Asyl.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid gewährte die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und Einholung eines Sachverständigengutachtens - dem Mitbeteiligten gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) Asyl und stellte gemäß § 12 AsylG fest, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

In der Begründung des angefochtenen Bescheids gab die belangte Behörde das Vorbringen, den Umstand der Einvernahme eines Zeugen und den Inhalt des Sachverständigengutachtens (teils mehrfach) wieder und hielt dann fest (Fehler im Original):

"Auf Grund dieser klaren und sehr umfangreichen Recherchen war daher vom VL (Anmerkung: Verhandlungsleiter) unmissverständlich davon auszugehen, dass von einer Glaubhaftmachung asylrelevanter aktueller individueller Gründe eindeutig auszugehen war, insbesondere stellte der SV (Anmerkung: Sachverständige) fest, dass aufgrund der derzeitigen politischen Situation in der Türkei, eine zunehmende islamische Radikalisierung und andere militärische Operationen in der Türkei, insbesondere in der Heimatregion der BW (Anmerkung:

Berufungswerber(in)) ist festzustellen, dass die allein stehenden Frauen ohne männlichen Schutz (Vater der BW ist aufgrund einer Erkrankung vor einem Jahr verstorben, der Bruder der BW lebt seit Jahren nicht mehr in der Türkei, sondern ist im österreichischen Bundesgebiet aufhältig) im abgelegenen dörflichen Siedlungen oft Opfer der paramilitärischen und türkischen Sicherheitskräften sind, bzw. im gegenständlichen Fall auch zum aktuellen Zeitpunkt, wenn die BW in die Türkei zurückkehren muss, eine aktuelle, individuelle, asylrelevante Verfolgung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist; auf die Ausführungen des SV, samt Befund in seinem individuellen, aktuellen Gutachten ist zu verweisen und war daher spruchgemäß zu entscheiden."

In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde dazu aus:

"Im gegenständlichen Fall des Berufungswerbers war auf Grund des vorliegenden aktuellen individuellen asylrelevanten SV Gutachten samt Befund von einer Glaubhaftmachung asylrelevanter Gründe eindeutig auszugehen, insbesondere stellte der SV aufgrund dieses Gutachtens samt Befund fest, dass aufgrund der derzeitigen politischen Situation in der Türkei, eine zunehmende islamische Radikalisierung und andere militärische Operationen in der Türkei, insbesondere in der Heimatregion der BW festzustellen ist. In abgelegenen dörflichen Siedlungen werden oft Männer als auch Frauen Opfer der paramilitärischen und türkischen Sicherheitskräfte, bzw. im gegenständlichen Fall auch zum aktuellen Zeitpunkt, wenn der BW in die Türkei zurückkehren muss, eine aktuelle, individuelle, asylrelevante Verfolgung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, war eindeutig von einer klaren Glaubhaftmachung asylrelevanter Gründe eindeutig auszugehen.

Im Falle einer Rückkehr in die Türkei ist folgendes zu erwarten:

Den schlüssigen, logischen und nachvollziehbaren Äußerungen des Sachverständigen war daher klar zu folgen und konnte das hier entscheidende Mitglied in der rechtlichen Beurteilung einer vorliegenden aktuellen asylrelevanten Verfolgung eindeutig als glaubhaft feststellen - dass eine aktuelle Verfolgung der Asylberufungswerberin zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zu der Gruppe der Frauen ohne männlichen Schutz und der zunehmenden islamischen Radikalisierung insbesondere in der Heimatregion der BW - nach der geltenden Rechts- und Sachlage besteht.

Die Berufungswerberin befindet sich daher auf Grund einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr - wie der Sachverständige dies auch klar in dem individuellen Gutachten ausführte - durch die türkischen Sicherheitsbehörden außerhalb ihres Heimatlandes. Eine inländische Fluchtalternative in der Türkei liegt für den Berufungswerber nicht vor.

Die Feststellungen, welche Sanktionen den BW durch die türkischen Sicherheitsbehörden zu erwarten hätten, wurde auch durch den Gutachter in seinem klaren, nachvollziehbaren und logisch begründeten aktuellen individuellen Gutachten klar und deutlich zusammengefasst.

Das durchgeführte Ermittlungsverfahren hat ausreichend Anhaltspunkte dafür erbracht, dass die Berufungswerberin - im Fall einer Rückkehr in die Türkei - Gefahr liefe, von den türkischen Behörden asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu werden

(…)

Festzuhalten ist jedoch, dass eine Verfolgung, nicht allein wegen der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Kurden -, sondern insbesondere durch die Zugehörigkeit des BW und der zunehmenden islamischen Radikalisierung, insbesondere in der Heimatregion des BW, vorliegt.

(…) Insbesondere auf Grund seine mesopotamischen Kulturvereinigung der BW sehr aktiv ist, und auch Vorstandsmitglied der kurdischen Angelegenheiten auf Grund dieser Tätigkeit der BW vom türkischen Staat als Terrorist oder als Staatsfeind angesehen werden würde und der BW einer aktuellen asylrelevanten aktuellen Verfolgung gem. den Bestimmungen der GFK ausgesetzt werden würde.

Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber - aus Gründen, wie der Sachverständige in seinem GA (Anmerkung: Gutachten), samt Befund klar und deutlich ausführte - aus wohlbegründeter Furcht und der zunehmenden islamischen Radikalisierung insbesondere in der Heimatregion der BW, außerhalb der Türkei befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt. (…)

Im anderen Falle wäre evident, dass der Asylwerber 'nicht in der Lage' wäre, gegen die gerade beschriebenen, zu befürchtenden Übergriffe der türkischen Sicherheitsbehörden bei der dann als staatliche Gewalt anzusprechenden Macht (genügenden) 'Schutz' zu finden (…).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens in der öffentlichen mündlichen Verhandlung und auf Grund der oben dargestellten rechtlichen Erwägungen kommt daher das erkennende Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates im gegenständlichen Fall zu dem Ergebnis, dass auf Grund der zum Zeitpunkt dieser Entscheidung geltenden Sach- und Rechtslage der Asylantrag der Berufungswerberin begründet ist, weshalb spruchgemäß der Berufungswerberin Asyl zu gewähren war, zumal weder während des erstinstanzlichen Verfahrens noch während des Verfahrens vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat Asylausschlussgründe iSd Art. 1 Abschnitt F GFK oder Endigungsgründe iSd Art. 1 Abschnitt C GFK hervorgekommen sind."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die Abweisung der Amtsbeschwerde. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Beschwerdeabweisung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Amtsbeschwerde macht im Wesentlichen geltend, dass die Begründung der Asylgewährung im angefochtenen Bescheid nicht schlüssig und nachvollziehbar sei, würden sich die Feststellungen der belangten Behörde doch fast durchgehend auf eine weibliche Asylwerberin beziehen, während der Mitbeteiligte männlich sei. Auf das gegenständliche Verfahren bezogene individuelle Feststellungen fehlten im angefochtenen Bescheid fast gänzlich, sodass nicht ansatzweise nachvollziehbar sei, auf welchen Sachverhalt sich das entscheidende Mitglied bei Gewährung von Asyl gestützt habe.

Damit zeigt die Amtsbeschwerde einen relevanten Begründungsmangel auf.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl.

2008/23/0976, mwN).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht

gerecht.

Die bloße Wiedergabe des Wortlautes eines "Gutachtens" lässt

nicht erkennen, inwieweit die belangte Behörde das Vorbringen des Mitbeteiligten (hypothetisch oder auch als richtig) ihrer Entscheidung zu Grunde legen wollte und in welchem Umfang sie das Vorbringen für unglaubwürdig gehalten hat. Dazu können nur Vermutungen angestellt werden, zumal dem angefochtenen Bescheid auch eine konkrete Würdigung von Beweisergebnissen nicht zu entnehmen ist.

Fallbezogene Ausführungen im angefochtenen Bescheid stellen fast zur Gänze auf eine weibliche Asylwerberin sowie eine Asylgewährung wegen deren Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Frauen ohne männlichen Schutz" und der deshalb in der Heimatregion auf Grund einer zunehmenden islamischen Radikalisierung drohenden Verfolgung ab. Sie lassen einen Bezug zum konkreten Fluchtvorbringen des (männlichen) Mitbeteiligten nicht erkennen und sind daher nicht in der Lage, eine Entscheidung über dessen Asylantrag nachvollziehbar zu begründen. Es ist somit nicht erkennbar, inwieweit sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten inhaltlich auseinandersetzte und aus welchen fallbezogenen Erwägungen sie zur Asylgewährung gelangte.

Das Fehlen einer den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Bescheidbegründung hindert die Partei an einer wirksamen Verfolgung ihrer Rechte und den Verwaltungsgerichtshof an der Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit der getroffenen Entscheidung.

Der angefochtene Bescheid leidet somit an relevanten Begründungsmängeln, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Das Kostenersatzbegehren des Mitbeteiligten war gemäß § 47 Abs. 3 VwGG abzuweisen.

Wien, am

Fundstelle(n):
BAAAE-86022