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VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/1290

VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/1290

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/23/1297

2008/23/1296

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden von 1. M O, geboren am 1976, vertreten durch Hofbauer, Hofbauer Wagner Rechtsanwälte Partnerschaft, in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1,

2. M O, geboren 1997, und 3. R O, geboren 1998, beide vertreten durch Deixler Mühlschuster Rechtsanwälte OG, in 4600 Wels, Spitalhof 3a, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom , 1.) Zl. 307.023-C1/3E-XIX/62/06 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/1290),

2.) Zl. 307.025-C1/3E-XIX/62/06 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/1296), und 3.) Zl. 307.027-C1/3E-XIX/62/06 (ad 3., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/1297), betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106, 40,--, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers; alle sind georgische Staatsangehörige. Sie reisten am gemeinsam in das Bundesgebiet ein und beantragten am selben Tag die Gewährung von Asyl.

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Erstbeschwerdeführerin u. a. an, sie habe Georgien bereits 1999 gemeinsam mit ihrem Mann, dessen Frau sie durch Entführung geworden sei, und ihren Kindern wegen Problemen mit der Miliz sowie aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und sei nach Russland gezogen. Ihr Mann sei drogensüchtig und habe sie und die Kinder geschlagen; sie habe deshalb zweimal versucht sich das Leben zu nehmen. Aus Angst vor ihrem gewalttätigen Ehemann habe sie mit den Kindern Russland verlassen.

Mit Bescheiden vom wies das Bundesasylamt die Asylanträge ab (Spruchpunkte I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Georgien für zulässig (Spruchpunkte II.); gleichzeitig wurden sie nach Georgien ausgewiesen (Spruchpunkte III.). Die Asylversagung begründete das Bundesasylamt damit, dass einerseits die Verfolgung durch den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin lediglich lokal begrenzt sei, somit keine landesweite Verfolgung bestehe, und andererseits angesichts der Länderfeststellungen nicht von vornherein angenommen werden könne, die Behörden in Georgien würden im Fall von Körperverletzung oder verbalen Drohungen des Gatten Schutz verweigern. Zur Zulässigkeit des Refoulements führte das Bundesasylamt aus, aus der allgemeinen Lage in Georgien ergebe sich keine Gefährdung. Eine Rückkehr nach Georgien sei der Erstbeschwerdeführerin zumutbar, es bestehe auch Zugang zu medizinischer Behandlung.

In der dagegen erhobenen Berufung verwies die Erstbeschwerdeführerin auf ihren prekären psychischen Zustand und dokumentierte diesen durch mehrere Krankenhausberichte sowie psychiatrische Stellungnahmen des Landeskrankenhauses Vöcklabruck, denen zufolge die Erstbeschwerdeführerin an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, einer rezidivierenden schweren depressiven Episode sowie einer Persönlichkeitsstörung leide, medikamentöse Behandlung verordnet sowie Psychotherapie als dringend geboten angeraten wurde.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen gegen Spruchpunkte I. der erstinstanzlichen Bescheide ab, erklärte jedoch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien für unzulässig und erteilte jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Zur Versagung der Asylgewährung verwies die belangte Behörde auf die Ausführungen des die Erstbeschwerdeführerin betreffenden erstinstanzlichen Bescheides und stellte "überdies" fest, dass die Übergriffe des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin auf sie als krimineller Akt zu qualifizieren und nicht aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erfolgt seien, sondern "rein im Zuge von häuslicher Gewalt". Zwar könne auch eine nichtstaatliche Verfolgung asylrelevant sein, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Da jedoch die Erstbeschwerdeführerin von ihrem Ehemann nicht aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt worden sei, sei es somit für die Frage der Asylrelevanz auch nicht von Bedeutung, ob die Polizei gegenüber der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich schutzwillig sei. Derartiges sei ausschließlich im Rahmen von § 8 Asylgesetz 1997 (AsylG) zu prüfen. Es könne auch nicht angenommen werden, dass es in Georgien im allgemeinen eine systematische Diskriminierung von Frauen oder eine Schutzverweigerung gegenüber Frauen, welche von ihren Ehemännern zur Ehe gezwungen und geschlagen bzw. vergewaltigt würden, gebe, weshalb auch nicht von einer diesbezüglichen homogenen "Gruppe" von Personen, die eine solche Verfolgung zu gewärtigen hätten, gesprochen werden könne.

In der Begründung des zweit- bzw. drittangefochtenen Bescheides wurde jeweils auf den erstangefochtenen Bescheid verwiesen.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Die belangte Behörde hat auf Sachverhaltsfeststellungen, beweiswürdigende Überlegungen und rechtliche Beurteilung des erstinstanzlichen Bescheides verwiesen.

Damit ging die belangte Behörde davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Georgien den Gewalttätigkeiten ihres Ehemanns ausgesetzt sei. Die belangte Behörde hat zwar zutreffend erkannt, dass auch eine solche, nicht von staatlichen Akteuren ausgehende Verfolgung asylrelevant sein kann, wenn die staatlichen Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/20/0550, mwH). Sie ging jedoch davon aus, dass im vorliegenden Fall kein Konventionsgrund gegeben sei, weshalb sie auf eine eingehendere Prüfung der Frage der staatlichen Schutzfähigkeit verzichtete.

Fälle wie die vorliegenden stehen im Spannungsfeld zwischen einer Verfolgung wegen des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers (jeweils unter dem Gesichtspunkt des Konventionsgrundes der Zugehörigkeit zu einer "sozialen Gruppe") einerseits und rein kriminellen, keinem Konventionsgrund zuordenbaren Bedrohungen andererseits. Dass sowohl die Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" von Asylrelevanz sein kann, wurde in der hg. Rechtsprechung schon wiederholt klargestellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/19/1027, 1028, und ihm folgend die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/23/0366, und vom , Zlen. 2007/20/0121, 0122 und 2007/20/1091, 1092, 1310).

Die belangte Behörde sieht in der Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin eine rein private Handlung ohne Bezug zu einem Konventionsgrund.

Ausgehend vom Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin liegt der Grund ihrer Verfolgung durch ihren Ehemann darin, dass dieser sie als Teil seiner Familie ansieht und sich daher das Recht anmaßt, durch Anwendung von massiver (auch geschlechtsspezifischer) Gewalt und Drohungen die Beschwerdeführerin gefügig zu machen.

Bei dieser Sachlage ist der Grund für die Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin in ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Verfolgers zu sehen, womit schon deshalb das Vorliegen eines Konventionsgrundes nicht zu verneinen ist (vgl. dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom sowie das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/19/0203 bis 0205).

Ausgehend davon kommt es entscheidungswesentlich darauf an, ob der Erstbeschwerdeführerin effektiver staatlicher Schutz gewährt würde.

In der Berufung trat die Erstbeschwerdeführerin der Annahme der Schutzbereitschaft des georgischen Staates gegen Übergriffe im familiären Rahmen konkret und substantiiert entgegen. Dennoch ging die belangte Behörde ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung davon aus, dass der Erstbeschwerdeführerin "grundsätzlich polizeilicher Schutz vor den Gewalttätigkeiten ihres Ehemannes (nicht) verweigert werden würde". Diese Annahme lässt sich aber aus den von der belangten Behörde dazu übernommenen Feststellungen, die zentral auf dem Bericht des US State Department über die Menschenrechtspraktiken in Georgien vom beruhen, nicht ableiten. Sowohl aus diesem Bericht, wie auch aus dem vom Bundesaslyamt ebenso zugrunde gelegten Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom geht nämlich hervor, dass häusliche Gewalt in Georgien als innerfamiliäre Angelegenheit gelte, in diesem Rahmen erfolgte tätliche Übergriffe nicht strafrechtlich verfolgt würden und die Polizei daher in solchen Fällen nicht einschreite. Das staatliche Schutzangebot für Frauen, die Opfer von Gewalt geworden seien, bleibe auf die Bereitstellung einer Telefon-Hotline beschränkt. Davon ausgehend konnte die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungen nicht annehmen, dass aufgrund bestehenden staatlichen Schutzes keine Asylrelevanz der geschilderten Übergriffe gegeben sei.

Ferner ging das Bundesasylamt davon aus, dass der Erstbeschwerdeführerin eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Im Gegensatz dazu ging die belangte Behörde davon aus (wie sie in ihren Überlegungen zur Unzulässigkeit des Refoulements ausführte), dass der Erstbeschwerdeführerin eine alternative Ansiedlung in (einem anderen Teil) Georgien(s) nicht zumutbar sei, dies aus einer näher ausgeführten "Kumulation von Umständen", die sich aus der mangelnden familiären Unterstützung, der ungesicherten Wohnsituation, der (schlechten) psychischen Verfassung der Erstbeschwerdeführerin, und damit einhergehend der Unmöglichkeit, für sich und die Kinder adäquat zu sorgen, ergebe. Damit wurde aber das Bestehen einer (zumutbaren) innerstaatlichen Fluchtalternative verneint (zum Erfordernis der Zumutbarkeit für die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0304).

Da der erstangefochtene Bescheid nach dem oben Gesagten auf einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht beruht, vermag er schon deswegen keinen Bestand zu haben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß dem im vorliegenden Fall anzuwendenden § 10 Abs. 5 AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 auch auf die zweit- und drittangefochtenen Bescheide durch. Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
CAAAE-86013