VwGH vom 04.05.2022, Ra 2020/01/0238
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-152/071/2458/2019-22, VGW-152/071/2459/2019, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Parteien: 1. M M und 2. A Z, beide in T, beide vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Nach den (unstrittigen) Feststellungen des Verwaltungsgerichts Wien (Verwaltungsgericht) im angefochtenen Erkenntnis sind die beiden miteinander verheirateten und im gemeinsamen Haushalt lebenden Mitbeteiligten iranische Staatsangehörige und seit Juli 2000 in Österreich aufhältig. Dem Erstmitbeteiligten wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom der Status des Asylberechtigten, der Zweitmitbeteiligten mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Jeweils mit Schreiben vom beantragte der Erstmitbeteiligte die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Zweitmitbeteiligte die Erstreckung der Verleihung.
2Mit Bescheid vom wies die Wiener Landesregierung (Amtsrevisionswerberin) die Anträge der Mitbeteiligten ab.
3Die Amtsrevisionswerberin begründete die Abweisung im Wesentlichen mit dem Bezug von Sozialhilfe bzw. bedarfsorientierter Mindestsicherung durch die Mitbeteiligten seit zumindest Juli 2011 sowie mit dem mangelnden Nachweis von Deutschkenntnissen. Laut amtsärztlichen Gutachten wäre es den Mitbeteiligten möglich, die geforderten Deutschkenntnisse auf B1-Niveau zu erwerben und die schriftliche Staatsbürgerschaftsprüfung abzulegen.
4Den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis statt, behob den angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt I.), verlieh dem Erstmitbeteiligten mit Wirkung vom gemäß § 11a Abs. 4 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) (idF BGBl. I Nr. 136/2013) die österreichische Staatsbürgerschaft (Spruchpunkt II.), erstreckte diese Verleihung gemäß § 17 Abs. 1 (gemeint wohl: § 16 Abs. 1) und § 18 StbG mit Wirkung vom auf die Zweitmitbeteiligte (Spruchpunkt III.) und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei (Spruchpunkt IV.).
5Im Rahmen seiner Feststellungen zum „entscheidungswesentlichen Sachverhalt“ gab das Verwaltungsgericht die einzelnen amtsärztlichen Gutachten sowie Privatgutachten auszugsweise wie folgt, auf das Wesentliche zusammengefasst, wieder:
Betreffend den Erstmitbeteiligten:
Amtsärztliches Gutachten vom :
„... Klinisch körperlich sind bei der heutigen Untersuchung keine relevanten körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen feststellbar. ... Es liegt beim Klienten somit keine erhebliche Behinderung oder keine dauerhaft schwerwiegende Krankheit vor.
In Zusammenschau mit den eingesehenen ärztlichen Befunden und der aktuellen klinischen Untersuchung ist eine berufliche Einsetzbarkeit mit dem beiliegenden Kalkül vorstellbar.
...“
Bezugnehmend auf den mit den Beschwerden jeweils vorgelegten „Neuropsychiatrischer Befundbericht und gutachterliche Stellungnahme“ eines näher genannten neuropsychiatrischen Sachverständigen vom handle es sich beim Erstmitbeteiligten „um ein schweres psychiatrisches Beeinträchtigungsbild, das seine Wurzeln einerseits in schweren, über lange Zeit angstmachenden körperlichen Erkrankungen hat, andererseits in Enttäuschungen und negativen live events. Bei diesem über viele Jahre fest geprägten Störbild wird eine relevante Besserung nicht zu erzielen sein. Die Fähigkeit, Deutschkurse positiv zu absolvieren und sich Prüfungen zu stellen, ist bei dem Untersuchten nicht mehr gegeben.“
Amtsärztliches Gutachten vom :
„... Bei dem Untersuchten zeigt sich fachspezifisch vor dem Hintergrund einer disponierenden Persönlichkeitsstruktur ein chronifizierter mäßiggradiger Verstimmungszustand, anamnestisch kam es in diesem Zusammenhang bereits zu fachärztlichen psychiatrischen Behandlungen. Weiters finden sich im somatischen Bereich Bluthochdruck und eine koronare Herzerkrankung, anamnestisch berichtet der Untersuchte über zwei erlittene Myokardinfarkte sowie eine Teilentfernung der Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Neoplasie.
Das psychiatrische Störungsbild erreicht nicht das im vorgelegten Privatgutachten postulierte hochgradige Ausmaß, eine Erwerbsfähigkeit ist unter eingeschränktem Anforderungsprofil grundsätzlich möglich.
Auch der Erwerb von Sprachkenntnissen ist nicht ausgeschlossen, allerdings erscheint die psychophysische Belastbarkeit des Probanden für die Ablegung existenzrelevanter Prüfungen (Sprachprüfung und Staatsbürgerschaftsprüfung) anhaltend nicht mehr ausreichend.“
Betreffend die Zweitmitbeteiligte:
Amtsärztliches Gutachten vom :
„... Relevante Diagnosen ...:
Dysthymia - leicht ängstlich gefärbte Depression
Anamnestisch wiederkehrende WS-Beschwerden
COPD
Zustand nach CTS- Operation rechts
Zusammenfassung und Stellungnahme:
...
Laut Bescheid des Bundessozialamts Wien Niederösterreich vom liegt bei der Klientin eine Behinderung vom 60 v. H. vor. ...
...
... Die psychiatrische Symptomatik erreicht insgesamt keinen höheren Krankheitswert. Fachbezogen besteht Einsetzbarkeit für Arbeiten unter zeitweise besonderem Zeitdruck, durchschnittlicher psychischer Belastung, Kundenkontakt ist möglich (jedoch einschränkte Deutschkenntnisse), gegen Nacht/Schicht besteht kein Einwand. ...
In Zusammenschau sämtlicher vorliegender Erkrankungen, nach eingesehenen ärztlichen Befunden sowie der hierorts eingeholten fachärztlicher Stellungnahme kann die Klientin somit entsprechend dem erstellten Leistungskalkül beruflich eingesetzt werden.
...“
Bezugnehmend auf den mit den Beschwerden jeweils vorgelegten „Neuropsychiatrischer Befundbericht und gutachterliche Stellungnahme“ eines näher genannten neuropsychiatrischen Sachverständigen vom handle es sich bei der Zweitmitbeteiligten „um eine psychiatrisch schwer beeinträchtigte Patientin mit multifaktorieller Genese inklusive familiärer Belastung mit Depressionsneigung. ... Jedenfalls ist die Untersuchte in ihrem derzeitigen Zustand weder zu einer erfolgreichen Absolvierung eines Deutschkurses noch zum positiven Ablegen einer Prüfung in der Lage.“
Amtsärztliches Gutachten vom :
„... Im Privatgutachten ... ist diagnostisch ebenso wie im psychiatrischen Gutachten ... vom eine Dysthymia primär diagnostisch festgehalten, jedoch im Gegensatz zum im November 2017 erstellten Gutachten nicht mehr in leichter Ausprägung, sondern mit schwerer Antriebsstörung und präsuizidaler Einengung.
Weiters ist eine Pseudodemenz im Rahmen der Depression diagnostiziert, zudem ein Parkinsonoid. Im genannten Privatgutachten ist deutlich reduzierte mnestische Leistung festgehalten, Aufmerksamkeit und Konzentration seien massiv eingeschränkt.
Unter Berücksichtigung des eingesehenen Gutachtens zeigt sich somit eine deutliche Verschlechterung der psychischen Verfassung im Vergleich zur Untersuchung hieramtlich im November 2017, als die Konzentrationsfähigkeit unauffällig festgestellt wurde und die Stimmungslage lediglich subdepressiv ausgeprägt war. Unter Annahme bzw. Heranziehung der im Privatgutachten festgehaltenen Diagnosen bzw. Symptomatik wäre die Probandin fachbezogen nicht mehr im Stande, die geforderten Deutschkenntnisse/kurse sowie die Staatsbürgerschaftsprüfung abzulegen.“
6In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, der Erstmitbeteiligte erfülle aufgrund des mehr als sechsjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalts in Österreich als Konventionsflüchtling den Verleihungstatbestand des „§ 11a Abs. 4 Z 1 StbG idF. vor dem BGBl. I 68/2017“. Ebenso seien sämtliche Voraussetzungen für die Erstreckung der Verleihung an die Zweitmitbeteiligte gemäß „§ 17 Abs. 1 StbG idF vor dem BGBl. I 68/2017“ erfüllt. Erteilungshindernisse gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8, Abs. 2 und 3 StbG seien nicht hervorgekommen.
Aus den amtsärztlichen Gutachten vom und gehe hervor, dass die Mitbeteiligten „auf Grund ihrer Erkrankungen nunmehr dauerhaft nicht im Stande“ seien, „die erforderlichen Deutschkenntnisse nachzuweisen und die Staatsbürgerschaftsprüfung abzulegen“. Sie seien daher vom Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 2 NAG und von Grundkenntnissen der demokratischen Ordnung und der sich daraus ableitbaren Grundprinzipien sowie der Geschichte Österreichs und des jeweiligen Bundeslandes gemäß „§ 10a Abs. 2 Z 3 StbG idF vor dem BGBl. I 68/2017“ ausgenommen.
Die Mitbeteiligten hätten jedenfalls mehr als 6 Jahre vor der Antragstellung und zwar zumindest seit Jänner 2007 durchgehend Sozialhilfe (bzw. seit September 2010 bedarfsorientierte Mindestsicherung) bezogen. Ihr Lebensunterhalt sei daher gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm § 10 Abs. 5 StbG nicht hinreichend gesichert.
Aus den vorgelegten Privatgutachten aus den Jahren 2015 und 2018 sowie den amtsärztlichen Gutachten aus dem Jahre 2019 ergebe sich, dass die Mitbeteiligten auf Grund ihres Krankheitsbildes im besten Fall eingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen könnten. Diese Einschränkung beruhe auf mehrere Krankheiten, welche eine Intensität erreicht hätten, dass bei den Mitbeteiligten auch eine Behinderung in Ausmaß von 50%, bzw. 60% festgestellt werden habe können. Die Art der Krankheiten (COPD bei der Zweitmitbeteiligten, koronare Herzerkrankung beim Erstmitbeteiligten) ließen darauf schließen, dass es sich hierbei um dauernd anhaltende Krankheiten handle, welche - vor allem im Hinblick auf das Alter der Mitbeteiligten - nicht bloß vorübergehend seien.
Die Mitbeteiligten wiesen eine Behinderung auf, litten an chronischen Krankheiten, seien nunmehr 62 Jahre alt und verfügten praktisch über keine Deutschkenntnisse. Am Erwerbsleben habe der Erstmitbeteiligte zuletzt vor neun Jahren teilgenommen. Die Zweitmitbeteiligte sei seit 16 Jahren erwerbslos. Im Hinblick auf diese Umstände erscheine sogar die Feststellung im amtsärztlichen Gutachten vom , dass eine Erwerbstätigkeit unter eingeschränktem Anforderungsprofil möglich sei, als unrealistisch. Die Mitbeteiligten hätten auf Grund ihrer Krankheiten und Lebensumstände keine realistische Möglichkeit, voraussichtlich bis an ihr Lebensende am Erwerbsleben uneingeschränkt teilzunehmen, weshalb dem mangelnden Nachweis des hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes eine nicht bloß vorübergehende Komponente zukomme. Die Mitbeteiligten hätten daher ihren nicht gesicherten Lebensunterhalt nicht zu vertreten.
7Den Ausspruch über die Zulässigkeit einer Revision begründete das Verwaltungsgericht pauschal mit dem Nichtvorliegen der Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstatteten - erwogen:
9Die Amtsrevision ist zu der in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfrage, bezogen auf welchen Zeitpunkt das Vorliegen der Ausnahmebestimmung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall iVm Abs. 1b StbG zu prüfen ist, zulässig; sie ist auch berechtigt.
10§ 10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, in der vorliegend anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:
„Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
[...]
7.sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann und
[...]
(1b) Nicht zu vertreten hat der Fremde seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt insbesondere dann, wenn dieser auf einer Behinderung oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, wobei dies durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen ist.
[...]
(5) Der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.“
11Das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 7 StbG ist zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen (vgl. zur maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung iZm § 10 Abs. 1 Z 6 StbG etwa , Rn. 22, mwN).
12§ 10 Abs. 1 Z 7 StbG sieht zwei (alternative) Verleihungsvoraussetzungen vor: So darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist (erster Fall) oder (alternativ) der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann (zweiter Fall; arg.: „oder“).
13Die mangels hinreichend gesicherten Lebensunterhalts der Mitbeteiligten iSd § 10 Abs. 1 Z 7 erster Fall iVm Abs. 5 StbG vorliegend wesentliche Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG ist somit erfüllt, wenn die Mitbeteiligten im Entscheidungszeitpunkt ihren Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihnen nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern können.
14Nach der bereits zu § 10 Abs. 1b StbG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Staatsbürgerschaftsbehörde ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. Fasching, Staatsbürgerschaftsrecht im Wandel [2014] 13 FN 46). Durch die demonstrative Aufzählung in § 10 Abs. 1b StbG wird klargestellt, wann solche Gründe iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG vorliegen, die der Fremde nicht zu vertreten hat. Entscheidend ist dabei, dass der Gesetzgeber eine spezifische Ausnahmeregelung für besonders berücksichtigungswürdige Situationen schaffen wollte. Sowohl der Grund als auch die Nachweisbarkeit des Grundes müssen der in § 10 Abs. 1b StbG angeführten Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit in ihrer Bedeutung vergleichbar sein. Für diese Tatbestände hält der Gesetzgeber fest, dass nur Personen, die aufgrund ihres Behinderungsgrades oder Krankheitsbildes tatsächlich nicht oder nur eingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen können, in den Anwendungsbereich dieser Ausnahmebestimmung gelangen (vgl. ; , Ra 2016/01/0034; , Ra 2019/01/0240, Rn. 20; , Ra 2020/01/0055, Rn. 19; , Ra 2020/01/0372, zuletzt , Ra 2019/01/0356, Rn. 16, jeweils mwH, unter anderem auf die Erläuterungen zu dieser Bestimmung in RV 2303 BlgNR 24. GP 7).
15Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 1b StbG hat der Verleihungswerber seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt dann nicht zu vertreten, wenn eine Behinderung oder dauerhafte schwerwiegende Krankheit des Verleihungswerbers dafür ursächlich ist (arg.: „auf ... beruht“). Auf den Zeitpunkt des Eintritts einer solchen Behinderung oder dauerhaften schwerwiegenden Krankheit kommt es dabei nicht an (vgl. bis 0292, Rn. 19).
16Wesentlich für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG ist vielmehr, dass im Entscheidungszeitpunkt - durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen - Gründe iSd § 10 Abs. 1b StbG vorliegen.
17Dass der nicht hinreichend gesicherte Lebensunterhalt auf einer Behinderung oder einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, setzt gemäß § 10 Abs. 1b StbG den Nachweis durch ein ärztliches Gutachten voraus.
18Entgegen der Begründung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus den auszugsweise festgestellten Ausführungen der amtsärztlichen Gutachten und des vorgelegten Privatgutachtens weder der Nachweis für eine Behinderung oder dauerhaft schwerwiegende Krankheit zum Entscheidungszeitpunkt noch, dass das medizinische Leistungskalkül der beiden Mitbeteiligten auf Grund einer solchen Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit zum Entscheidungszeitpunkt derart eingeschränkt ist, dass die Mitbeteiligten deswegen ihren Lebensunterhalt dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern können.
19Schlüsse des Verwaltungsgerichts aus ärztlichen Gutachten auf die Schwere und Dauerhaftigkeit festgestellter Krankheiten eines Verleihungswerbers bzw. auf die sich daraus ableitbare Einschränkung dessen Erwerbsfähigkeit wie hier in Bezug auf die Mitbeteiligten können fehlende Ausführungen wie hier in dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen medizinischen Privatgutachten sowie den amtsärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2019 zur Schwere und Dauerhaftigkeit von Krankheiten bzw. zum sich daraus ergebenden medizinischen Leistungskalkül der Mitbeteiligten nicht ersetzen (vgl. zur hg. Rechtsprechung, wonach das Verwaltungsgericht nicht seine eigene fachliche Beurteilung an die Stelle der Sachverständigenbeurteilung setzen darf, etwa bis 0096, Rn. 24, 25; , Ra 2017/07/0140, Rn. 56). Vielmehr wird in einem solchen Fall der Fremde entsprechende ärztliche Gutachten vorzulegen haben (arg.: „nachzuweisen“ in § 10 Abs. 1b zweiter Fall StbG; vgl. im Übrigen § 19 Abs. 2 erster Satz StbG zur allgemeinen Verpflichtung des Fremden, der Behörde alle notwendigen Unterlagen und Beweismittel zur Verfügung zu stellen).
20Das angefochtene Erkenntnis leidet bereits insofern an inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
21Entgegen dem Verwaltungsgericht kann die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall iVm Abs. 1b StbG nicht mit einer mit den „Lebensumständen“ wie etwa Alter, fehlende Deutschkenntnisse oder längere Erwerbslosigkeit begründeten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Mitbeteiligten begründet werden.
22Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellen die Bestimmungen des § 10 Abs. 1 Z 7, Abs. 1b und Abs. 5 StbG in Konstellationen, in denen eine Erwerbstätigkeit des Verleihungswerbers zur Sicherung seiner Selbsterhaltungsfähigkeit altersbedingt nicht mehr erwartet werden kann, darauf ab, dass der Verleihungswerber im erwerbsfähigen Alter - insbesondere durch den Erwerb entsprechender Pensionsansprüche - für seinen Erhalt im Alter vorgesorgt hat. Im Lichte dessen ist dabei gegebenenfalls auch zu prüfen, ob dem Verleihungswerber eine solche Vorsorge aus den in § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 1b StbG genannten Gründen nicht möglich war. Für die Selbsterhaltungsfähigkeit im Alter wird auf eine entsprechende Vorsorge in Zeiten altersbedingt zumutbarer Erwerbstätigkeit abgestellt. Allein eine auf Grund des Alters bedingte eingeschränkte Erwerbsfähigkeit des Verleihungswerbers stellt ebenso wie das Erreichen des Pensionsalters keinen mit der in § 10 Abs. 1b StbG angeführten Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit in seiner Bedeutung vergleichbaren Grund iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Satz StbG dar, weil bei einer anderen Sichtweise die vom Gesetzgeber geschaffene spezifische Ausnahmeregelung für alle, auch völlig gesunde Personen gelten würde, die ein bestimmtes Alter erreichten (vgl. , Rn. 21 und 22, insbesondere bezugnehmend auf , mit Verweis auf ; zuletzt , Rn. 17).
23Ebenso sind fehlende Deutschkenntnisse oder eine längere Erwerbslosigkeit für sich keine mit der in § 10 Abs. 1b StbG angeführten Behinderung oder dauerhaft schwerwiegenden Krankheit in seiner Bedeutung vergleichbare Gründe iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Satz StbG.
24Indem das Verwaltungsgericht auch das Alter, fehlende Deutschkenntnisse und eine längere Erwerbslosigkeit als nicht von den Mitbeteiligten zu vertretende Gründe für die mangelnde oder nicht ausreichende Sicherung deren Lebensunterhalts iSd § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG heranzog, belastete es das angefochtene Erkenntnis ebenso mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
25Soweit das Verwaltungsgericht die Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Zweitmitbeteiligte auf § 17 Abs. 1 StbG stützte, ist darauf zu verweisen, dass die Erstreckung der Verleihung auf einen mit dem Verleihungswerber im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten in § 16 StbG geregelt ist, während § 17 StbG die Erstreckung der Verleihung auf die Kinder regelt.
26Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020010238.L00 |
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