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VwGH vom 15.09.2010, 2008/23/1215

VwGH vom 15.09.2010, 2008/23/1215

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A E, geboren 1980, vertreten durch Dr. Wolfgang Schimek, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Graben 42, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 251.577/2-V/14/05, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am aus der Slowakischen Republik kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte die Gewährung von Asyl.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück, stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung "die Slowakei" zuständig sei, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm Abs. 4 AsylG aus dem Bundesgebiet dorthin aus.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung gemäß §§ 5 Abs. 1, 5a Abs. 1 AsylG ab. Die Slowakische Republik sei gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages zuständig und habe sich auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers und Prüfung seines Asylantrages bereit erklärt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts sei jedoch bei Entscheidungen gemäß § 5 AsylG auf die Kriterien der Art. 3 und 8 EMRK Bedacht zu nehmen. Fallbezogen seien Umstände, wonach der Beschwerdeführer in der Slowakischen Republik selbst oder im Zuge einer Kettenabschiebung der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt würde, nicht hervorgekommen. Eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK habe der Beschwerdeführer nicht behauptet, es lägen "auch keinerlei Anhaltspunkte hiefür" vor.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Wie die belangte Behörde zutreffend erkannte, ist eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG durch die Heranziehung des in Art. 3 Abs. 2 der Dublin-Verordnung normierten Selbsteintrittsrechtes von der Asylbehörde zu vermeiden. Ausgangspunkt für die Überlegung, ob die Asylbehörde eine Zurückweisung nach § 5 AsylG vornehmen darf oder eine Entscheidung in der Sache vorzunehmen hat, ist demnach - fallbezogen - unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zunächst die Frage, ob mit einer Zurückweisung nach § 5 Abs. 1 AsylG ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Asylwerbers verbunden wäre. Gegebenenfalls wäre nach Art. 8 Abs. 2 EMRK durch eine Interessenabwägung die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu prüfen (vgl. dazu das noch zum AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 und zum Dubliner Übereinkommen ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/20/0235, unter Verweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 2000/01/0498; vgl. zur Übertragbarkeit auf die Rechtslage nach der AsylG-Novelle 2003 und auf das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0095, mwH).

Davon ausgehend stehen allerdings die in dieser Hinsicht dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen mit dem Akteninhalt nicht in Einklang. Entgegen der Annahme der belangten Behörde, wonach keinerlei Anhaltspunkte für eine Verletzung der Rechte nach Art. 8 EMRK vorliegen würden, ist dem vorgelegten Akt zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer am eine (ebenfalls aus Tschetschenien stammende und in Österreich wohnhafte) Frau geheiratet hat, wovon die belangte Behörde im Dezember 2005 in Kenntnis gesetzt wurde. Bereits zuvor war im Mai 2005 eine Anfrage des Standesamtes Neunkirchen an die belangte Behörde ergangen, der sich die geplante Eheschließung des Beschwerdeführers entnehmen ließ. Der angefochtene Bescheid enthält dazu weder Feststellungen noch eine Beurteilung dahin, ob ein durch die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Slowakische Republik (allenfalls) bewirkter Eingriff in das Recht auf Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt wäre.

Es lässt sich somit noch nicht abschließend beurteilen, ob die Asylbehörden unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK im gegenständlichen Fall von einer Ausweisung Abstand nehmen und demzufolge von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch machen hätten müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Das Mehrbegehren auf Ersatz der "Barauslagen" (gemeint: Pauschalgebühr) war in Anbetracht der gewährten Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am

Fundstelle(n):
HAAAE-85998