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VwGH vom 07.09.2020, Ra 2020/01/0135

VwGH vom 07.09.2020, Ra 2020/01/0135

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Wiener Landesregierung gegen das am mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 152/065/10817/2019-28, betreffend Staatsbürgerschaft (mitbeteiligte Partei: D T in W, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Bescheid der Wiener Landesregierung als Staatsbürgerschaftsbehörde (Behörde) vom wurde der Antrag des Mitbeteiligten, eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation, auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) abgewiesen.

2Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht).

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde dem Mitbeteiligten mit Wirkung vom gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 11a Abs. 7 StbG die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Die ordentliche Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt.

4Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die zentrale Frage sei, ob der Revisionswerber im relevanten Zeitraum Leistungen aus der Sozialhilfe bezogen habe bzw. welche Wirkung der Bezug der Sozialhilfe durch seine Eltern auf den gegenständlichen Verleihungsantrag habe.

5Das Verwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, der Mitbeteiligte sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Er habe bis August 2018 im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern, die Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung beziehen würden, an einer näher genannten Adresse in W gelebt. Der Mitbeteiligte sei seit März 2018 durchgehend erwerbstätig, verdiene monatlich rund € 2.000,-- netto und sei somit in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus Eigenem, ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu sichern. Im relevanten Berechnungszeitraum (Oktober 2012 bis September 2018) habe der Mitbeteiligte selbst Sozialhilfe bzw. eine Leistung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung weder beantragt noch bezogen. Der Mitbeteiligte habe im gleichen Zeitraum keine Aufwendungen für die Wohnungsmiete zu tragen gehabt, zumal er noch im Familienverband gelebt habe.

6In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte habe im relevanten Beurteilungszeitraum weder einen Rechtsanspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz gehabt noch eine solche bezogen. Der Bezug einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung seiner Familie im gemeinsamen Haushalt „schade“ ihm daher nicht. Infolgedessen habe die Revisionswerberin zu Unrecht ein Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG angenommen. Da das Einkommen des Mitbeteiligten unstrittig deutlich über den Richtsätzen gelegen sei, sei sein Lebensunterhalt durch eigenes Einkommen gesichert, weshalb kein Einbürgerungshindernis vorliege.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Behörde.

8Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit ua. vor, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach zur Beurteilung, ob eine Inanspruchnahme von Sozialhilfleistungen vorliege, eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzustellen sei (Hinweis auf ). Der Mitbeteiligte habe von der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zumindest insofern profitiert, als er mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt gelebt habe und diese allein für die Mietkosten aufgekommen seien.

10Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

11§ 10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311/1985 idF BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:

Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn

...

7.sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann ...

...

(5) Der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremdenihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. Wird in den letzten geltend gemachten sechs Monaten unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt Kinderbetreuungsgeld gemäß den Bestimmungen des Kinderbetreuungsgeldgesetzes - KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, bezogen, so gilt in dem Zeitraum in dem Kinderbetreuungsgeld bezogen wird, der Lebensunterhalt jedenfalls als hinreichend gesichert.“

12Das Verwaltungsgericht legte dem angefochtenen Erkenntnis zu Grunde, dass der Mitbeteiligte im gegenständlich relevanten Zeitraum mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt gelebt habe. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hatte der Mitbeteiligte in diesem Zeitraum auch keine Aufwendungen für die Wohnungsmiete zu tragen.

13Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG der Bezug von Sozialhilfeleistungen durch dritte Personen, die mit dem Antragsteller (ohne Unterhaltsverpflichtungen) im gemeinsamen Haushalt leben, dem Antragsteller zugerechnet werden, wenn die Sozialhilfeleistungen dem Antragsteller in wirtschaftlicher Betrachtungsweisezugutekommen. In diesem Fall kann er daher keine „Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften“ nachweisen (vgl. grundlegend ; vgl. auch ).

14Gemäß § 10 Abs. 5 dritter Satz StbG werden feste und regelmäßige eigene Einkünfte durch regelmäßige Aufwendungen, insbesondere etwa durch Mietbelastungen, geschmälert und wirkt sich daher notwendig jede Minderung dieser Aufwendungen positiv auf die nachzuweisenden Einkünfte aus (vgl. erneut VwGH Ro 2019/01/0010).

15Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Bezug von Bedarfsorientierter Mindestsicherung der Familie des Mitbeteiligten „im gemeinsamen Haushalt“ nicht maßgeblich sei, ist daher verfehlt. Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang alleine darauf abstellt, dass der Mitbeteiligte selbst weder einen Rechtsanspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung gehabt noch eine solche bezogen habe, greift diese Sichtweise zu kurz.

16Vielmehr legt die gemeinsame Haushaltsführung in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahe, dass die von den Eltern und Geschwistern des Mitbeteiligten bezogene Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung auch dem Mitbeteiligten zugutegekommen ist. In einem solchen Fall obliegt es demMitbeteiligten als Antragsteller, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht die Annahme zu widerlegen (vgl. abermals VwGH Ro 2019/01/0010, mwN).

17Da das Verwaltungsgericht aus diesen Erwägungen die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010135.L00

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