VwGH vom 20.10.2010, 2008/23/1127
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des G T, geboren am 1977, vertreten durch BMA Brandstätter Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Wallnerstraße 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 239.457/10E-VII/20/03, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger, beantragte am Asyl.
Das Verfahren wurde vom Bundesasylamt am unter Berufung auf § 30 Asylgesetz 1997 (AsylG) eingestellt, weil der Beschwerdeführer eine ihm an der aufrechten Meldeadresse x-Gasse 15/7 in 1140 Wien (durch Hinterlegung beim Postamt 1142 Wien) zugestellte Ladung nicht behoben hatte.
Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Fortsetzung seines Asylverfahrens und führte dazu aus, er wohne derzeit an der im Kopf des Schreibens genannten Adresse x-Gasse 15/21 in 1140 Wien. In Reaktion darauf sandte das Bundesasylamt am dem Beschwerdeführer an die zuletzt genannte Adresse ein Schreiben mit der Aufforderung, sich innerhalb der nächsten Tage persönlich beim Bundesasylamt einzufinden. Dem daraufhin am beim Bundesasylamt erschienenen Beschwerdeführer wurde eine Ladung zu einer Einvernahme am ausgefolgt.
In der über diese Einvernahme vor dem Bundesasylamt am angefertigten Niederschrift wurde als Adresse des Beschwerdeführers vermerkt: "siehe DG3". Ein damit angesprochener Eintrag im Asylwerberinformationssystem (AIS) ist anhand des vorgelegten erstinstanzlichen Verwaltungsaktes nicht nachvollziehbar, zumal dieser keinen diesbezüglichen Auszug enthält. Ein im Akt der belangten Behörde enthaltener AIS-Auszug vom weist in der "Datengruppe 3 (DG3) Wohnadressen" als (zeitlich letzte) Wohnadresse vom bis die Anschrift x-Gasse 15/7 in 1140 Wien aus.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Das Bundesasylamt holte am eine Auskunft aus dem Zentralen Melderegister ein, die als (zeitlich letzte) Meldeadresse vom bis die Anschrift x-Gasse 15/7 in 1140 Wien auswies. Sodann verfügte es am gleichen Tag die Zustellung des genannten Bescheides durch "Hinterlegung im Akt". In der über diesen Zustellvorgang vorgenommenen Beurkundung hielt das Bundesasylamt fest, dass der Beschwerdeführer "an der angegebenen Zustelladresse" nicht mehr aufhältig sei. Eine neuerliche Abgabestelle habe nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Der Bescheid werde daher gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz (ZustG) ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt. Einen Hinweis darauf, auf welche "angegebene Zustelladresse" damit Bezug genommen wurde, enthält diese Beurkundung nicht.
Am wurde dem Beschwerdeführer im Zuge einer Vorsprache beim Bundesasylamt eine Kopie des Bescheides vom ausgefolgt und ihm mitgeteilt, dass der genannte Bescheid bereits am durch Hinterlegung zugestellt und seit rechtskräftig sei.
Mit Schriftsatz vom stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob zugleich Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom . Im Wiedereinsetzungsantrag machte der Beschwerdeführer vornehmlich geltend, er habe sich (gemeint offenbar: auch nach der Abmeldung vom ) weiterhin in der x-Gasse 15 aufgehalten, es habe sich nur die Türnummer von 7 auf 21 geändert. Dies sei dem Bundesasylamt aufgrund des Fortsetzungsantrages vom bekannt gewesen. Es sei unverständlich, wieso der Bescheid im Akt hinterlegt und kein Zustellversuch an der Adresse x-Gasse 15/21 in 1140 Wien unternommen worden sei.
Mit unbekämpft gebliebenem Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. In der Begründung ging es unter anderem davon aus, der Beschwerdeführer habe in der Einvernahme (vom ) dargelegt, dass er derzeit über keine Zustelladresse verfüge. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass bei Unterbleiben der Bekanntgabe einer Zustelladresse der Bescheid im Akt hinterlegt werde. Eine neue Zustelladresse habe der Beschwerdeführer jedoch nicht bekanntgegeben. Das Bundesasylamt verwies weiters darauf, dass der Wiedereinsetzungsantrag "auf Zustellproblematiken" gestützt sei. Ein Zustellmangel bilde aber keinen Wiedereinsetzungsgrund.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück. Nach kurzer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges, in der hinsichtlich des Zustellvorganges vom lediglich die vom Bundesasylamt eingeholte Auskunft aus dem Zentralen Melderegister, nicht aber die am erfolgte Adressbekanntgabe durch den Beschwerdeführer Erwähnung findet, begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung wie folgt:
"1. Festgestellt wird:
Der angefochtene Bescheid ist - mangels rechtzeitiger Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom (...), mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung vom abgewiesen wurde - am in Rechtskraft erwachsen.
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2. | Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage. |
2. | Rechtlich folgt: |
2.1. Gemäß § 63 Absatz 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt gemäß der genannten Bestimmung für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides zu laufen, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG werden die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet.
2.2 Die am mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Berufung erweist sich als verspätet, sodass spruchgemäß zu entscheiden war."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Für die Rechtmäßigkeit der im angefochtenen Bescheid vorgenommenen Berufungszurückweisung kommt es entscheidungswesentlich auf die Frage an, ob die Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom durch Hinterlegung bei der Behörde wirksam war oder nicht. Voraussetzung für die als Zustellung geltende Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2005/20/0480, und vom , Zl. 2005/20/0217).
Aus den oben wörtlich wiedergegebenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die belangte Behörde die Wirksamkeit der in Frage stehenden Zustellung ohne Weiteres unterstellte und eine Begründung für diese Auffassung unterließ. Eine erkennbare und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den dargestellten Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 ZustG enthält die Bescheidbegründung nicht, in der sich nicht einmal eine Erwähnung der dafür maßgeblichen Umstände bei der Darstellung des Verwaltungsgeschehens findet. Das wiegt umso schwerer, als im Wiedereinsetzungsantrag primär die erfolgte Hinterlegung im Akt ohne Zustellversuch an der vom Beschwerdeführer bekanntgegebenen (und seinem Vorbringen zufolge weiterhin aufrechten) Adresse in Frage gestellt wurde und der Bescheid des Bundesasylamtes vom davon ausgeht, es würden im Wiedereinsetzungsantrag (für eine Wiedereinsetzung untaugliche) Zustellmängel geltend gemacht.
Zur Vollständigkeit ist anzumerken, dass im Bescheid des Bundesasylamtes vom , auf den sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bezog, unter Verweis auf den Akteninhalt davon ausgegangen wurde, der Beschwerdeführer habe (in der Einvernahme vom ) angegeben, er verfüge derzeit über keine Zustelladresse. Eine derartige Aussage des Beschwerdeführers kann der im Akt einliegenden Niederschrift über diese Einvernahme allerdings nicht entnommen werden. Für eine vor dem erfolgte Änderung der am vom Beschwerdeführer bekanntgegebenen Abgabestelle an der Adresse x-Gasse 15/21 in 1140 Wien enthält der vorgelegte Verwaltungsakt auch keine sonstigen Anhaltspunkte. Läge daher eine solche Änderung nicht vor, mangelte es schon an der ersten der oben genannten Voraussetzungen für eine Wirksamkeit der Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG. Wäre hingegen - entgegen dem Akteninhalt - davon auszugehen, der Beschwerdeführer habe am gegenüber dem Bundesasylamt angegeben, er verfüge derzeit über keine Zustelladresse, so könnte ihm nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe die Mitteilung über die Änderung seiner bisherigen Abgabestelle unterlassen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0646). In diesem Fall mangelte es somit an der zweiten der oben genannten Voraussetzungen für eine Wirksamkeit der Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
PAAAE-85978