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VwGH 30.06.2011, 2008/23/1107

VwGH 30.06.2011, 2008/23/1107

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 256.537/0/11E-VII/19/05, betreffend Behebung eines Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in einer Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: G G, geboren 1984), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein 1984 geborener Staatsangehöriger von Georgien, beantragte am die Gewährung von Asyl.

Er führte dazu schriftlich aus, während der Parlamentswahlen in Georgien hätten sein Vater und sein Bruder die Partei Schewardnadses unterstützt. Nach dem Rücktritt Schewardnadses seien sein Bruder, seine Schwägerin und der Mitbeteiligte gezwungen worden, die Heimat zu verlassen; nur seine Mutter sei in Tiflis verblieben, um auf den Vater des Mitbeteiligten "aufzupassen".

Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am gab der Mitbeteiligte im Wesentlichen an, er habe Georgien am  mit dem Flugzeug Richtung Moskau verlassen. Er habe einen georgischen Inlandspass besessen, der aber beim Schlepper verblieben sei. Sein Vater sei Vorsitzender einer Wahlkommission in Tiflis gewesen und von der Bürgerunion Schewardnadses dorthin entsandt worden. Am sei der Mitbeteiligte von Uniformierten zusammengeschlagen worden; man habe ihm gesagt, er solle seinem Vater ausrichten, dass dieser tun solle, was man von ihm verlange, andernfalls man den Mitbeteiligten umbringen würde. Ob es sich um Polizisten oder Militärangehörige gehandelt habe, wisse er nicht. Er habe seinem Vater von dem Vorfall erzählt. Anzeige habe er nicht erstattet, weil er nicht sicher gewesen sei, ob es sich um Polizisten gehandelt habe oder nicht. Etwa vier Tage später sei sein Bruder verprügelt und am sein Vater verhaftet worden. Zuvor habe ihnen der Vater gesagt, sie sollten flüchten, falls ihm "etwas Schlimmes" zustoße. Warum sein Vater verhaftet worden sei und wo er sich jetzt befinde, wisse der Mitbeteiligte nicht; er habe seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt.

Bei einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am gab der Mitbeteiligte zusammengefasst an, er habe (außer einer Geburtsurkunde, die sich in Georgien befinde) nie Dokumente besessen. Er habe Georgien im November 2003 gemeinsam mit seinem Bruder mit dem Bus verlassen, ob legal oder illegal wisse er nicht, sein Bruder sei bei der Ausreise kontrolliert worden, der Mitbeteiligte nicht. Ausreisegrund sei gewesen, dass der Vater und der Bruder des Mitbeteiligten bei den Wahlen mitgearbeitet hätten; was genau sie dort gemacht hätten, wisse der Mitbeteiligte nicht. Der Vater befinde sich nunmehr in Georgien in Haft. Der Mitbeteiligte sei geschlagen worden und man habe ihn bedroht. Die Probleme des Mitbeteiligten hätten "nach den Wahlen" begonnen, gemeint seien damit die Präsidentenwahlen von August bis Oktober 2003. Im August 2003 sei der Mitbeteiligte zusammengeschlagen worden. Wer ihn geschlagen habe, wisse er nicht, auch nicht, wie viele Personen es gewesen seien. Anzeige habe er nicht erstattet, weil ihm gesagt worden sei, er würde sonst umgebracht. Danach habe der Vater des Mitbeteiligten Drohanrufe erhalten; ob dieser gewusst habe, wer die Verfolger seien, wisse der Mitbeteiligte nicht. Im September 2003 sei der Vater des Mitbeteiligten verhaftet worden, dem Mitbeteiligten selbst sei aber bis zur Ausreise im November 2003 nichts mehr passiert. Im November 2003 habe er sich zur Ausreise entschlossen, weil sein Bruder gemeint habe, sie müssten das Land verlassen. Er sei deshalb nicht früher ausgereist, weil der Vater ihm zuvor immer gesagt habe, es würde alles gut werden und sie sollten keine Angst haben. "Natürlich" habe auch sein Bruder Probleme gehabt, sein Vater und sein Bruder hätten Probleme. Sie hätten den Ablauf der von August bis Oktober 2003 abgehaltenen Wahlen beobachtet. Sie seien in diesem Zeitraum jeden Tag in einem Wahllokal in Tiflis gewesen; zumindest seien sie jeden Tag aus dem Haus gegangen. Die Männer, die den Mitbeteiligten geschlagen hätten, seien Polizisten gewesen; zumindest hätten sie Polizeiuniformen getragen. Nach dem genannten Vorfall habe er sich noch etwa drei Monate in Georgien aufgehalten. In dieser Zeit sei ihm nichts passiert, er sei fast nur zu Hause gewesen. Warum sein Vater verhaftet worden sei, wisse er nicht; er könne sich (nunmehr) auch nicht mehr daran erinnern, wann dies gewesen sei. Auch sein Bruder sei einmal zusammengeschlagen worden, wann wisse er ebenfalls nicht. Im Falle seiner Rückkehr würden "diese Leute" den Mitbeteiligten finden und ihn vielleicht umbringen, weil sein Vater nicht getan habe, was man von ihm verlangt habe.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Es erachtete die Fluchtgründe des Mitbeteiligten als nicht glaubwürdig und stützte diese Einschätzung beweiswürdigend auf näher dargestellte Widersprüche. So habe der Mitbeteiligte etwa bei der ersten Einvernahme angegeben, er sei im November 2003 geschlagen worden, bei der zweiten Einvernahme jedoch, der fluchtauslösende Vorfall habe sich bereits im August 2003 ereignet und er habe sich danach noch etwa drei Monate in seinem Heimatstaat aufgehalten. Ein weiterer Widerspruch sei darin zu sehen, dass der Mitbeteiligte die behauptete Inhaftierung seines Vaters einmal mit datiert habe, dann mit September 2003 und schließlich (wenig später im Rahmen derselben Einvernahme) angegeben habe, sich nicht an das Datum erinnern zu können. Auch zum Zeitpunkt eines behaupteten Übergriffes auf seinen Bruder habe der Mitbeteiligte unterschiedliche Angaben gemacht. Schließlich erachtete das Bundesasylamt das Vorbringen als wenig plausibel und ungenügend substantiiert. Für die Annahme eines Refoulement-Hindernisses bestünden keine stichhaltigen Gründe, die Ausweisung des Mitbeteiligten sei mangels Vorliegens eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zulässig.

In der dagegen erhobenen (und über Auftrag der belangten Behörde hinsichtlich der Begründung ergänzten) Berufung wiederholte der Mitbeteiligte zunächst kurz das zuletzt vor dem Bundesasylamt Vorgebrachte. Sein Vater sei ab Oktober (2003) unauffindbar gewesen, er habe auch nicht angerufen oder geschrieben. Sie (der Mitbeteiligte und sein Bruder) hätten gehört, dass der Vater verhaftet worden sei, dann hätten sie das Land verlassen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom behob die belangte Behörde den Bescheid des Bundesasylamtes und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Bundesasylamt habe es unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es habe sich mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten nicht ordnungsgemäß auseinandergesetzt, zumal nur aufgrund aufgetretener Widersprüche in den Aussagen ein Ermittlungsverfahren nicht entfallen dürfe. Die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens hätte nur angenommen werden können, wenn das Bundesasylamt genau abgeklärt hätte, welche konkreten Tätigkeiten der Vater und der Bruder des Mitbeteiligten bei den Wahlen ausgeübt bzw. für welche Wahlkommission sie gearbeitet hätten und welche Kandidaten zur Wahl gestanden seien. Das alleinige Abstellen auf die Behauptungen des Mitbeteiligten sei ohne weitere Ermittlungen keine tragfähige Grundlage zur Begründung seiner Unglaubwürdigkeit, zumal es im erstinstanzlichen Bescheid an aktuellen Länderfeststellungen insbesondere zum konkreten Vorbringen des Mitbeteiligten mangle. Weiters hätte das Bundesasylamt darauf hinwirken müssen, dass die Angaben des Mitbeteiligten "im Hinblick auf einen relevanten Grund iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 (der Genfer Flüchtlingskonvention) vervollständigt" werden. Die Frage nach dem in Betracht kommenden Konventionsgrund sei nicht immer ausschließlich auf Basis des Vorbringens zu beantworten. Die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sei auch wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden könne, dass deren Vermeidung zu einem für den Mitbeteiligten günstigeren Ergebnis hätte führen können. Sie sei von der erstinstanzlichen Behörde zu sanieren, da andernfalls der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor die belangte Behörde als Berufungsbehörde verlagert und somit "der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen" würde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Amtsbeschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint", wobei es unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist. Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss demnach auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0191, sowie die hg. Erkenntnisse jeweils vom , Zl. 2000/20/0084 und Zl. 2002/20/0315).

Ob die Rechtsmittelbehörde von der Ermächtigung zur Zurückverweisung Gebrauch macht und eine kassatorische Entscheidung trifft, oder die mündliche Verhandlung selbst durchführt und in der Sache entscheidet, liegt gemäß den Maßstäben des § 66 Abs. 2 iVm Abs. 3 AVG in ihrem Ermessen. Dabei obliegt es der Behörde, in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/19/0042, mwN; siehe zum Erfordernis, die Abstandnahme von einer Sachentscheidung nachvollziehbar zu begründen, auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0459).

Diesen Anforderungen wird die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht gerecht.

Soweit die belangte Behörde zur Begründung ihrer kassatorischen Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG - unter Hinweis auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - ausführt, das Bundesasylamt hätte auf die Konkretisierung des Vorbringens im Hinblick auf die Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention hinwirken müssen, ist ihr zu entgegnen, dass dieses die Abweisung des Asylantrages primär nicht mit dessen fehlender Asylrelevanz, sondern damit begründet hatte, der Mitbeteiligte habe die behaupteten Ereignisse nicht glaubhaft gemacht.

Darüber hinaus erachtete die belangte Behörde die erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen aber auch insofern als unzureichend, als im Rahmen der Beweiswürdigung aktuelle Länderberichte zu Georgien nicht berücksichtigt und weitere Ermittlungen unterlassen worden seien.

Der belangten Behörde ist zwar dahin zuzustimmen, dass die Asylbehörden nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den realen Hintergrund der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgründe in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zu den diese Ereignisse betreffenden Berichten zu messen haben (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/01/1286, und vom , Zl. 2005/20/0176, jeweils mwN).

Fallbezogen legte die belangte Behörde allerdings nicht dar, warum im Zeitpunkt ihrer Entscheidung im März 2007, in dem es als notorisch anzusehen war, dass im vom Mitbeteiligten (zuletzt) behaupteten Zeitraum August bis Oktober 2003 keine Präsidentenwahlen (und auch keine Parlamentswahlen) in Georgien durchgeführt wurden, der ihr vorliegende Sachverhalt unter dem Aspekt der mangelnden Berücksichtigung des realen Hintergrundes der vorgetragenen Fluchtgründe nicht nur als ergänzungsbedürftig, sondern als so mangelhaft festgestellt anzusehen gewesen wäre, sodass die Voraussetzungen einer Zurückverweisung gemäß § 66 Abs. 2 AVG vorgelegen wären. Dem angefochtenen Bescheid ist keine Begründung zu entnehmen, warum nach der Abänderung des Vorbringens des Mitbeteiligten, wonach die behaupteten Übergriffe und Bedrohungen nicht unmittelbar vor der Ausreise im November 2003 im Zusammenhang mit zu diesem Zeitpunkt abgehaltenen Parlamentswahlen, sondern bereits drei Monate zuvor im Zusammenhang mit im Zeitraum August bis Oktober 2003 abgehaltenen Präsidentenwahlen stattgefunden hätten, die unterlassene Einbeziehung des (tatsächlich nicht vorhandenen) realen Hintergrundes als ein im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG zur Kassation berechtigender Mangel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes anzusehen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2011:2008231107.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAE-85963