VwGH vom 30.04.2020, Ra 2019/22/0228
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/045/9168/2018-10, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: M A C, vertreten durch die Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Goldschmiedgasse 8), zu Recht erkannt:
Spruch
Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Der Mitbeteiligte, ein tunesischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über einen Aufenthaltstitel „Student“ mit einer Gültigkeitsdauer bis . Am - und somit verspätet - stellte er einen Verlängerungsantrag sowie - aufgrund des Hinweises des Landeshauptmannes von Wien (Revisionswerber) auf die verspätete Antragstellung - einen Antrag gemäß § 21 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz ( NAG) auf Zulassung der Stellung eines Erstantrages im Inland.
2Der Revisionswerber wies den Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom gemäß § 64 Abs. 1 iVm § 11 Abs. 2 Z 1 iVm § 21 Abs. 1 und 3 iVm § 11 Abs. 2 Z 2 und Z 4 NAG ab, wobei in der Begründung Argumente betreffend einen nicht ausreichenden Studienerfolg und einen daraus abgeleiteten Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG mit kursorischen Äußerungen zu § 21 Abs. 3 NAG und solchen zu den Versagungsgründen des § 11 Abs. 2 Z 2 und 4 NAG zwanglos vermischt werden. Es ist somit nicht klar, was der tragende Grund für die Abweisung des Antrages des Mitbeteiligten durch den Revisionswerber ist.
3In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte vor, er habe sowohl einen Studienerfolg als auch das Vorliegen ausreichender Unterhaltsmittel und einer Unterkunft nachgewiesen. Daher hätte der Revisionswerber den „Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Studierender‘ zu bewilligen gehabt.“
4Mit Schreiben vom forderte das Verwaltungsgericht Wien (VwG) den Mitbeteiligten auf, alle sein Vorbringen stützenden Beweismittel (insbesondere eine aktuelle Aufnahmebestätigung der Universität, eine exakte Zusammenstellung seiner Ausbildungszeiten betreffend Schule und Hochschule ab dem Jahr 2006, schriftliche Nachweise der Universität bzw. Schule über einen Studien- bzw. Schulerfolg ab dem Jahr 2006) vorzulegen.
5Mit Schreiben vom legte der anwaltlich vertretene Mitbeteiligte diverse Urkunden (u.a. Übersicht über seine Studienzeiten, diverse Lehrveranstaltungszeugnisse bzw. Studienbestätigungen sowie Schulbesuchsbestätigungen, zuletzt für das Schuljahr 2018/19 betreffend ein Kolleg für Berufstätige für Elektrotechnik an einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt sowie ein Semesterzeugnis dieser Schule vom ) vor.
6Zu der am vom VwG durchgeführten Verhandlung erschien lediglich die rechtsfreundliche Vertreterin des Mitbeteiligten und gab - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - an, sie habe keinen Kontakt mehr zum Mitbeteiligten und habe alle vorhandenen Unterlagen vorgelegt; sie könne weder bestätigen, ob der Mitbeteiligte derzeit an der TU zum Bachelor Studium Wirtschaftsinformatik zugelassen sei, noch, ob er Lehrveranstaltungen besuche bzw. Prüfungen abgelegt habe; zum vorgelegten Semesterzeugnis des Kollegs für Berufstätige für Elektrotechnik könne sie keine weiteren Auskünfte erteilen. „Über Vorhalt, dass damit eigentlich von einer konkludenten Antragsänderung auszugehen ist, gebe ich an, dass ich auch dazu keine Angaben machen kann“.
7Das VwG behob mit Spruchpunkt I den Bescheid des Revisionswerbers gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG und leitete mit Spruchpunkt II den „konkludent geänderten Antrag“ des Mitbeteiligten gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 Abs. 1 AVG „zuständigkeitshalber“ an den Revisionswerber weiter. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
Begründend führte das VwG zunächst aus, der Revisionswerber habe den verspätet eingebrachten Verlängerungsantrag zu Recht als Erstantrag gewertet. Da eine Anfrage des VwG an die TU Wien betreffend eine aktuelle Zulassung des Mitbeteiligten unbeantwortet geblieben sei, könne das VwG nicht überprüfen, ob die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 64 Abs. 1 NAG und die allgemeinen Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 NAG im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorlägen, sodass der angefochtene Bescheid grundsätzlich zu bestätigen wäre. Der Mitbeteiligte habe jedoch nachgewiesen, dass er im Schuljahr 2018/2019 die erste Klasse eines sechssemestrigen Kollegs besucht habe. Damit habe er zu erkennen gegeben, dass „er seinen ursprünglichen Antrag gemäß § 64 NAG nicht mehr aufrecht“ halte. Die als (konkludente) Zurückziehung zu wertende Änderung des verfahrenseinleitenden Antrags habe zur Folge, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und der „Zweckänderungsantrag“ mangels (funktioneller) Zuständigkeit des VwG an den Revisionswerber weiterzuleiten sei.
8Gegen Spruchpunkt I dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der die Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt wird.
9Der Mitbeteiligte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung eine Abweisung der Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10Der Revisionswerber weist in seiner Zulässigkeitsbegründung zutreffend auf die im Zusammenhang mit § 19 Abs. 2 NAG ergangene hg. Rechtsprechung hin, wonach eine amtswegige Umdeutung eines Antrages aufgrund der im Anwendungsbereich des NAG geltenden strengen Antragsbindung grundsätzlich nicht in Betracht kommt (vgl. ).
11Die Revision ist angesichts dessen zulässig und begründet.
12Gemäß § 19 Abs. 2 NAG ist in einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter anderem der Grund des Aufenthalts genau zu bezeichnen.
13Der Mitbeteiligte beantragte am die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Studenten“ und wiederholte diesen Antrag auch in seiner Beschwerde. Mit Schreiben vom legte er studienbezogene Unterlagen, aber auch eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2018/2019 und ein entsprechendes Semesterzeugnis vor. An der Verhandlung nahm nur die Rechtsvertreterin des Mitbeteiligten teil, konnte jedoch - angesprochen auf die vorgelegte Schulbestätigung - keine Angaben dazu machen, ob der Mitbeteiligte seinen Aufenthaltszweck von „Studenten“ auf „Schüler“ ändern wolle.
14Indem das VwG davon ausging, allein durch die Vorlage der Schulbestätigung hätte der Mitbeteiligte - trotz des anders lautenden Antrages in der Beschwerde und obwohl die Rechtsvertreterin in der Verhandlung dazu keine Angaben machen konnte - zu erkennen gegeben, dass er seinen Antrag vom nicht mehr aufrecht halte und nunmehr einen anderen als den beantragten Aufenthaltstitel begehre, änderte es eigenmächtig den vom Mitbeteiligten durch Antrag bestimmten Verfahrensgegenstand. Eine solche amtswegige Umdeutung widerspricht jedoch der in § 19 Abs. 2 NAG normierten Antragsbindung. Die Behebung des angefochtenen Bescheides und Weiterleitung des vermeintlich geänderten Antrages an den Revisionswerber erweist sich somit als rechtswidrig.
15Spruchpunkt I des angefochtenen Erkenntnisses war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
16Gemäß § 47 Abs. 3 VwGG waren dem Mitbeteiligten keine Kosten zuzusprechen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220228.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete |
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Fundstelle(n):
MAAAE-85940