VwGH vom 27.02.2020, Ra 2019/22/0205
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl, Hofrat Dr. Mayr sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der T G, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-750602/3/MB/JK, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Linz (belangte Behörde) vom wurde der - auf Zusammenführung mit ihrem über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden Ehemann gerichtete - Antrag der Revisionswerberin, einer afghanischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" nach § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen. Begründend wurde festgehalten, angesichts der gegebenen Fakten (die Revisionswerberin und ihr Ehemann würden "seit der fraglichen Eheschließung im Jahre 2016 in zwei verschiedenen Ländern voneinander getrennt" leben) könne von keinem Familienleben nach Art. 8 EMRK ausgegangen werden.
2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.
Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass es von dem - im Wege der Wiedergabe des bekämpften Bescheides - dargestellten Sachverhalt ausgehe. Ergänzend wurde festgestellt, die Revisionswerberin und ihr Ehemann hätten sich am in Afghanistan kennengelernt und am sei die Eheschließung erfolgt. Am sei der Ehemann wieder ausgereist und seit damals habe die Revisionswerberin ihren Ehemann nicht mehr gesehen. Dies ergebe sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt. Die von der Revisionswerberin vorgelegten Lichtbilder würden keinen geeigneten Beweis für das Vorliegen einer Ehe im Sinn des Art. 8 EMRK darstellen.
In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach - insbesondere bei Beantragung eines Erstaufenthaltstitels - aus dem Fehlen eines gemeinsamen Haushaltes nicht auf das Fehlen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geschlossen werden könne. Entscheidend sei die Absicht des Fremden, wie der angestrebte Aufenthaltstitel zu nutzen sei. Vorliegend hätten die Revisionswerberin und ihr Ehemann zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsames Familienleben geführt. Die bloße Eheschließung sei nicht ausreichend, um daraus aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehepartners abzuleiten. Für das Verwaltungsgericht sei weder nachvollziehbar, dass sich in der kurzen Zeit des Kennenlernens eine dauerhafte und enge Beziehung entwickelt habe, noch sei erkennbar, dass die Ehegatten in einer gefestigten und intensiven Beziehung zusammenleben wollen, weil seit der Eheschließung keine persönlichen Treffen mehr erfolgt seien. Seit der Ausreise des Ehemannes und somit seit ca. zweieinhalb Jahren bestehe nur mehr telefonischer Kontakt bzw. Kontakt über das Internet. Es sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin die Erlangung eines Aufenthaltstitels nicht zum Zweck des Führens eines Familienlebens mit ihrem Ehemann anstrebe. Da eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 11 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 NAG und somit ein absoluter Versagungsgrund vorliege, habe eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG unterbleiben können.
3 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , E 940/2019, wurde die Behandlung dieser Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. 4 In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, sie habe mit Schriftsatz vom (beim Verwaltungsgericht eingelangt am ) vorgebracht, dass ihr Ehemann sie im Dezember 2018 (konkret von 15. bis ) in Kabul besucht habe, und sie habe zum Beweis dafür die entsprechenden Flugtickets ihres Ehemannes (in Form der Boarding-Pässe) vorgelegt. Ausgehend davon hätte das Verwaltungsgericht feststellen müssen, dass das Eheleben nicht bloß über das Internet geführt worden sei. Das Verwaltungsgericht habe dieses Vorbringen sowie die dafür vorgelegten Beweise ignoriert. Die Beweiswürdigung sei daher in unvertretbarer Weise vorgenommen worden. Der aufgezeigte Verfahrensmangel sei auch relevant, weil das Verwaltungsgericht bei seiner Vermeidung zu einem für die Revisionswerberin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. 6 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch begründet.
7 Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
(...)
4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;
(...)
Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption
§ 30. (1) Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, dürfen sich für die Erteilung und Beibehaltung von
Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene
Partnerschaft berufen.
(...)
Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und
'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'
§ 47. (...)
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
(...)"
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG im Zusammenhang mit der Überprüfung der Beweiswürdigung nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorgangs, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. , Rn. 9, mwN). 9 Im vorliegenden Fall zeigt die Revision aus nachstehenden Gründen einen relevanten Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung auf.
10 Das Verwaltungsgericht weist zwar dem Grunde nach zutreffend darauf hin, dass ein formales Band der Ehe für sich genommen nicht ausreicht, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehepartners abzuleiten (vgl. ). Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof - worauf das Verwaltungsgericht ebenfalls hinweist - bereits wiederholt festgehalten, dass das Fehlen eines gemeinsamen Haushaltes bzw. eines gemeinsamen Wohnsitzes nicht per se zu der Annahme führt, dass eine Aufenthaltsehe vorliegt (vgl. zuletzt etwa ). Beantragt ein Fremder einen Erstaufenthaltstitel, ist vielmehr seine Absicht entscheidend, wie der angestrebte Aufenthaltstitel zu nutzen sei (vgl. ; , 2010/21/0177). 11 Das Verwaltungsgericht erachtete in seiner Beweiswürdigung den Umstand des fehlenden gemeinsamen Wohnsitzes zwar nicht als primär maßgeblich. Es stützte sich allerdings tragend darauf, dass - wie sich aus dem Verfahrensakt ergebe - nach der kurzen Phase des Kennenlernens im Sommer 2016 keine weiteren Treffen mehr stattgefunden hätten und der Kontakt seitdem lediglich über Telefon und Internet erfolgt sei. Ausgehend davon schloss es auf eine fehlende Absicht der Revisionswerberin zur Führung eines gemeinsamen Familienlebens.
12 Dass behauptete regelmäßige Kontakte über das Internet sowie behauptete Besuche des Ehepartners nicht unmaßgeblich für eine "echte" (im Sinn einer tatsächlich gelebten) Ehe sprechen, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten (vgl. erneut VwGH 2010/21/0177). Das Bestehen von Kontakten über das Internet wird vorliegend seitens des Verwaltungsgerichtes nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich als nicht hinreichend für die Annahme eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK angesehen. Ausgehend davon stellt aber der Umstand, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit dem Vorbringen betreffend den Besuch des Ehemannes bei der Revisionswerberin im Dezember 2018 (die diesbezügliche Urkundenvorlage liegt im Verfahrensakt ein) auseinandergesetzt hat, einen relevanten Verfahrensfehler dar. Das angefochtene Erkenntnis enthält auch keine Begründung dahingehend, warum ungeachtet dieses Vorbringens vom Fehlen jeglicher
Besuchstätigkeit ausgegangen wurde. Auch wenn es im vorliegenden Fall (anders als in der dem Erkenntnis VwGH 2010/21/0177 zugrunde liegenden Konstellation) nicht um mehrere, sondern nur um einen behaupteten Besuch geht, ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei einer Berücksichtigung dieses Vorbringens und entsprechender Würdigung zu einem für die Revisionswerberin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
13 Ausgehend davon war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220205.L00 |
Schlagworte: | Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete |
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