VwGH vom 27.01.2011, 2008/23/0919
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2008/23/0921
2008/23/0920
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Dr. Fasching, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde 1. des CI, geboren 1964, 2. der LI, geboren am 1971, und 3. der JI, geboren 1997, alle vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , Zl. 235.548/0/6E-V/13/03 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0919), Zl. 235.546/0/6E-V/13/03 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0920), und Zl. 314.646-1/2E-V/13/07 (ad 3., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0921), betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (ad 1. und 2.) bzw. §§ 10, 11 Asylgesetz 1997 (ad 3.) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der drittangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Drittbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Ein Aufwandersatz im Verfahren des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin findet nicht statt.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien sind nigerianische Staatsangehörige; der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin.
Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet beantragten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin am jeweils für sich Asyl, wobei auf dem Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin "sowie die Tochter" samt den Daten der Drittbeschwerdeführerin vermerkt wurde.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom die Asylanträge sämtlicher beschwerdeführender Parteien gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab; die Berufung der Drittbeschwerdeführerin wurde "gemäß §§ 10, 11 AsylG" abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im drittangefochtenen Bescheid aus, dass die Drittbeschwerdeführerin beim Bundesasylamt am einen Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG im Hinblick auf das Asylverfahren der Zweitbeschwerdeführerin gestellt habe. Der Asylerstreckungsantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen worden. Da der korrespondierende Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin rechtskräftig abgewiesen worden sei, könne auch der Drittbeschwerdeführerin durch Erstreckung kein Asyl gewährt werden.
Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Zu I.:
Die Befugnis der Berufungsbehörde, in der Sache selbst zu entscheiden, erstreckt sich nur auf die "Sache" des Berufungsverfahrens, also auf den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde. Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende "Sache" des Berufungsverfahrens ist nicht jene Angelegenheit, welche in erster Instanz in Verhandlung war, sondern die, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat. Gegenstand des Berufungsbescheides kann daher iSd § 66 Abs. 4 AVG nur sein, was auch Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen ist. § 66 Abs. 4 AVG bietet somit keine Grundlage dafür, unter Übergehung der ersten Instanz aus Anlass einer Berufung in der Berufungsentscheidung selbst erstmals über eine Angelegenheit abzusprechen, über die die erste Instanz nicht abgesprochen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2008/23/0495 bis 0497, mwN).
Im konkreten Fall wies das Bundesasylamt betreffend die Drittbeschwerdeführerin einen Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab und erklärte das Refoulement für zulässig. Der belangten Behörde kam es daher nicht zu, erstmals über einen Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG abzusprechen. Damit verkannte die belangte Behörde mit ihren aktenwidrigen Begründungsausführungen den Gegenstand des Berufungsverfahrens. Sollte die belangte Behörde der Auffassung gewesen sein, es liege entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes kein Asylantrag sondern nur ein Asylerstreckungsantrag vor, wäre vielmehr der erstinstanzliche Bescheid aufzuheben und dem Bundesasylamt die Entscheidung über den Asylerstreckungsantrag aufzutragen gewesen (vgl. zum Fall einer erstmalig im Berufungsverfahren erfolgenden Entscheidung über einen (gemäß § 11 Abs. 2 zweiter Satz AsylG umgedeuteten) Asylantrag durch den unabhängigen Bundesasylsenat die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/19/0742, sowie vom , Zlen. 98/20/0581-0583).
Der drittangefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Zu II.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerde wirft, abgesehen von der unter I. der Entscheidungsgründe behandelten Frage, keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde im übrigen Umfang abzulehnen.
Den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Parteien im Verfahren betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in diesem Fall selbst zu tragen (§ 58 Abs. 1 VwGG).
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-85910