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VwGH vom 10.12.2019, Ra 2019/22/0198

VwGH vom 10.12.2019, Ra 2019/22/0198

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revisionen

1. des S A und 2. der L N S, beide vertreten durch Mag. Patrycja Pogorzelski, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Mahlerstraße 13/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom ,

1. W161 2222656-1/2E und 2. W161 2222657-1/2E, betreffend Versagung von Visa (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft in Teheran), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind ein Ehepaar mit iranischer Staatsangehörigkeit. Sie stellten am jeweils Anträge auf Ausstellung eines Visums C für den Zeitraum 20. April bis . Dem Erstrevisionswerber wurde bisher bereits viermal (einmal im Jahr 2014, zweimal 2016 und einmal 2018) ein Visum C ausgestellt, der Zweitrevisionswerberin dreimal (jeweils 2014, 2016 und 2018); jedes Mal reisten die revisionswerbenden Parteien fristgerecht wieder aus dem Bundesgebiet aus.

Zweck der Einreise ist der Besuch ihrer beiden volljährigen Söhne, die ursprünglich mit einem Visum in Österreich einreisten. Dem älteren Sohn wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, der Antrag des jüngeren Sohnes auf Zuerkennung von internationalem Schutz und des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde mit Bescheid des BFA vom abgewiesen, ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, vielmehr wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Die Beschwerde des jüngeren Sohnes gegen diesen Bescheid war zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung noch beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anhängig.

2 Mit Bescheid der Österreichischen Botschaft Teheran (Behörde) vom wurden die Anträge der revisionswerbenden Parteien abgewiesen, weil die Absicht der Wiederausreise aus dem Hoheitsgebiet vor Ablauf des Visums nicht habe festgestellt werden können.

3 Aufgrund der Beschwerden der revisionswerbenden Parteien erließ die Behörde die Beschwerdevorentscheidung vom , mit der die Beschwerden abermals abgewiesen wurden. Die revisionswerbenden Parteien stellten einen Vorlageantrag.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerden ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

Begründend führte das BVwG mit Hinweis auf Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex aus, die revisionswerbenden Parteien hätten Zweifel an der gesicherten Wiederausreise nicht ausräumen können; derartige Zweifel gingen zu Lasten der Fremden (Hinweis auf ).

Beide Söhne der revisionswerbenden Parteien hätten nach Ausstellung eines Visums in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt, wobei nur dem älteren Sohn der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, das Verfahren des jüngeren Sohnes sei beim BVwG anhängig. Der letzte Aufenthalt zumindest des Erstrevisionswerbers (vermutlich auch der Zweitrevisionswerberin) im Jahr 2018 sei noch vor Erlassung der (abweisenden) Entscheidung gegenüber dem jüngeren Sohn erfolgt. Bei den früheren Ausreisen der revisionswerbenden Parteien habe sich zumindest noch ein Sohn im Iran befunden, nunmehr lebten beide Söhne in Österreich. Die revisionswerbenden Parteien hätten zwar eine wirtschaftliche Verwurzelung (der Erstrevisionswerber verfüge über ein Einkommen in der Höhe von mehr als dem fünffachen des iranischen Durchschnittseinkommens, sei Gesellschafter und Mitglied der Vorstandsleitung einer näher genannten Aktiengesellschaft und besitze eine Eigentumswohnung; die Zweitrevisionswerberin beziehe ein überdurchschnittliches Gehalt, sei Mitglied der Vorstandsleitung einer näher genannten Aktiengesellschaft und verfüge über angespartes Vermögen), jedoch keine sozialen oder familiären Bindungen im Iran nachweisen können. Daran ändere auch nichts, dass die revisionswerbenden Parteien schon mehrmals unaufgefordert aus den Mitgliedstaaten wieder ausgereist seien, weil sich die familiäre Situation seither geändert habe; dem korrekten Vorverhalten komme nicht genügend Gewicht zu. Es sei auch unglaubwürdig, dass der einladende ältere Sohn vergessen habe, seine Eltern im Melderegister abzumelden. (Die revisionswerbenden Parteien waren von bis mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Dieser Umstand wurde von ihrer Rechtsvertreterin mit einem Irrtum des älteren Sohnes begründet, der seine Eltern nur für die Dauer ihres Aufenthaltes in Wien (26. April bis 19. Juni beziehungsweise Juli 2018) hätte anmelden wollen und die Abmeldung vergessen habe; diese sei nachgeholt worden).

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der revisionswerbenden Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

6 Die Behörde beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 In der Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf ) ab, weil bei der Beurteilung des Risikos einer rechtswidrigen Einwanderung dem Umstand, dass einem Antragsteller schon einmal ein Visum erteilt worden und er rechtzeitig vor dessen Ablauf wieder ausgereist sei, maßgebliche Bedeutung zukomme.

8 Die Revision ist angesichts dieses Vorbringens zulässig und auch begründet.

9 Gemäß Art. 32 Abs. 1 lit. b Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) kann ein Visum unter anderem dann verweigert werden, wenn begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Antragstellers oder der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.

10 Nach ständiger hg. Rechtsprechung macht schon das Abstellen auf "begründete Zweifel" in Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex deutlich, es dürfe nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig blieben. Es werde daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen und die Behörde könne die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig werde daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt seien, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde (vgl. , mwN).

11 Das BVwG legte seiner Entscheidung im Wesentlichen zugrunde, die revisionswerbenden Parteien hätten Zweifel an der gesicherten Wiederausreise nicht ausräumen können; sie seien in ihrem Heimatland zwar wirtschaftlich verwurzelt, hätten jedoch keine sozialen oder familiären Bindungen im Iran nachweisen können, weil ihre beiden Söhne in Österreich lebten.

Diese Begründung ist aber vor dem Hintergrund, dass die revisionswerbenden Parteien - wie sich aus dem Vorlageantrag an das BVwG vom ergibt - eine weit verzweigte Verwandtschaft im Iran haben (sie haben jeweils vier Geschwister) und die Zweitrevisionswerberin ihre pflegebedürftige Mutter betreut, nicht nachvollziehbar.

Es mag zwar zutreffen, dass die familiäre Situation der revisionswerbenden Parteien bei ihren Aufenthalten in den Jahren 2014 und 2016 insofern anders war, als sich damals ihr jüngerer Sohn noch im Iran befand. Bei ihrem letzten Aufenthalt im Bundesgebiet von April bis Juni beziehungsweise Juli 2018 hielten sich jedoch bereits beide Söhne in Österreich auf; der jüngere Sohn stellte seinen Asylantrag bereits im August 2017. Dennoch reisten die revisionswerbenden Parteien im Sommer 2018 fristgerecht wieder aus dem Bundesgebiet aus. Dem Umstand, dass der Antrag des jüngeren Sohnes zwischenzeitlich abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, kann kein maßgebliches Gewicht beigemessen werden. Dies bewirkt nämlich für die revisionswerbenden Parteien keine Änderung der familiären Situation.

Darüber hinaus bezog das BVwG die mit den Anträgen vorgelegten Buchungsbestätigungen für den Hin- und Rückflug in ihre Überlegungen nicht erkennbar ein (vgl. , mwN).

Hinsichtlich der maßgeblichen Bedeutung von korrektem Vorverhalten für die Beurteilung des Risikos einer rechtswidrigen Einwanderung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses 2013/21/0137 verwiesen. Angesichts ihres bisherigen rechtskonformen Verhaltens, der festgestellten starken wirtschaftlichen Verwurzelung beider revisionswerbenden Parteien im Iran und den bestehenden engen familiären Bindungen insbesondere zur pflegebedürftigen Mutter der Zweitrevisionswerberin ist die rechtliche Beurteilung des BVwG, wonach die revisionswerbenden Parteien Zweifel an der gesicherten Wiederausreise nicht hätten ausräumen können, nicht nachvollziehbar.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

13 Der Spruch über den Aufwandersatz im beantragten Umfang gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220198.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1 Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

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Fundstelle(n):
AAAAE-85905