VwGH vom 28.06.2016, 2013/17/0021
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Leonhartsberger sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Beschwerde der Mag. R H in B bei W, vertreten durch die Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , IVW3- BE-3170301/015-2012, betreffend Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde B), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde B der Beschwerdeführerin in ihrer "Eigenschaft als Bauwerkseigentümerin" für eine näher genannte Liegenschaft eine Ergänzungsabgabe zur Kanaleinmündungsabgabe in der Höhe von EUR 3.202,43 (einschließlich Umsatzsteuer) vor. Gemäß § 2 Abs 4 NÖ Kanalgesetz 1977 sei eine Ergänzungsabgabe zu entrichten, wenn sich bei einer späteren Änderung der seinerzeit der Bemessung zu Grunde gelegten Berechnungsfläche eine höhere Abgabe ergebe. Auf Grund der Errichtung eines neuen Wohnhauses auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin mit einer bebauten Fläche von 178,74 m2, drei angeschlossenen Geschoßen und eines Anteils der unbebauten Fläche von 75 m2 ergebe sich eine neue Berechnungsfläche von 432,48 m2. Vor der Änderung habe die Berechnungsfläche 264,29 m2 betragen. Der Einheitssatz in der Höhe von EUR 17,31 ergebe sich aus der Kanalabgabenordnung.
2 Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Berufung und führte darin aus, dass die bebaute Fläche nach der Änderung 177,12 m2 laut Berechnungen der Gemeinde für die Schmutzwasserentsorgungsgebühr betrage und vor der Änderung 258 m2 laut Grundbuch und Kaufvertrag betragen habe.
3 Mit Berufungsvorentscheidung vom gab die Abgabenbehörde erster Instanz der Berufung keine Folge. Gemäß § 3 Abs 2 NÖ Kanalgesetz 1977 werde die Berechnungsfläche für die Kanaleinmündungsabgabe in der Weise ermittelt, dass die Hälfte der bebauten Fläche mit der um eins erhöhten Zahl der an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoße multipliziert werde und das Produkt um 15 v.H. der unbebauten Fläche vermehrt werde. Nicht angeschlossene Gebäude oder Gebäudeteile zählten zur unbebauten Fläche, wobei deren Anteil mit 75 m2 beschränkt sei. Auf Grund des Kanalerhebungsbogens vom habe die bebaute Fläche vor der Änderung 126,1935 m2 betragen und seien zwei Geschoße an den Kanal angeschlossen gewesen. Die Angaben der Beschwerdeführerin über die bebaute Fläche (vor der baulichen Änderung) könnten nicht nachvollzogen werden. Offenbar sei damit die im Grundbuch angeführte Baufläche (Gebäude) gemeint, die allerdings für die Berechnungsfläche nach dem NÖ Kanalgesetz 1977 keine Relevanz habe.
4 Die Beschwerdeführerin stellte einen Vorlageantrag. 5 Mit Bescheid vom wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde B die Berufung ab. Die von der Beschwerdeführerin als Berechnungsfläche vor der Änderung ins Treffen geführte im Grundbuch vermerkte Fläche von 258 m2 sei nicht mit der Berechnungsfläche nach dem NÖ Kanalgesetz 1977 ident. Laut Vermessungsamt erfolge die Ermittlung der im Grundbuch eingetragenen Fläche ua mittels Luftbildaufnahmen. Dachvorsprünge zählten nach dem NÖ Kanalgesetz 1977 nicht zur verbauten Fläche.
6 Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, in der sie ausführte, es handle sich in ihrem Fall um zwei Grundstücke mit jeweils einem Gebäude von 126 m2 bzw 132 m2 Fläche. Im Kaufvertrag sei diese Fläche mit insgesamt 258 m2 an bebauter Fläche angegeben. Dies sei der Berechnung zu Grunde zu legen. Es handle sich dabei nicht um Dachvorsprünge. Beide Gebäude seien an den Kanal angeschlossen gewesen. In jedem Fall gelte § 3 Abs 2 NÖ Kanalgesetz 1977, wonach bei einer Liegenschaft, die trotz bestehender Anschlussverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen werde, die Berechnungsfläche so zu ermitteln sei, als ob die Liegenschaft angeschlossen wäre.
7 Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Vom Tatbestand der Ergänzungsabgabe seien seit dem letzten Bescheid tatsächlich erfolgte Änderungen der Berechnungsfläche erfasst. Altbestand für die Berechnung der Ergänzungsabgabe sei jener Bestand, der zum Zeitpunkt der Vorschreibung der Kanaleinmündungsabgabe unabhängig von der Richtigkeit des damaligen Bescheides oder der damaligen Angaben im Erhebungsbogen tatsächlich gegeben gewesen sei. Das im Grundbuch angeführte Flächenmaß könne nicht maßgeblich sein, da dieser Wert nicht nach den Berechnungsformeln des NÖ Kanalgesetz 1977 ermittelt werde und bestenfalls als Orientierungshilfe herangezogen werden könne. Grundlage für die Ermittlung der im Grundbuch ausgewiesenen Zahlen sei das Vermessungsgesetz, aus dem sich ergebe, dass der Grenzkataster die tatsächlichen Flächenausmaße möglichst richtig widerspiegeln solle, ohne aber, dass den Angaben konstitutive Wirkung zukäme. Umso weniger könne eine derartige Wirkung dem Grundsteuerkataster zukommen, da dieser weder dem verbindlichen Nachweis von Grundstücksgrenzen noch des Ausmaßes eines Grundstückes diene. Aus den der Vorstellungsbehörde vorliegenden Unterlagen sei dem letzten Abgabenbescheid aus dem Jahr 1989 eine bebaute Fläche von 189,29 m2 (ein mittlerweile abgerissenes Wohnhaus mit einer bebauten Fläche von 126,1935 m2 und zwei angeschlossenen Geschoßen) zu Grunde gelegt worden. Die Ermittlung der Berechnungsfläche sei nicht zu beanstanden.
8 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
9 Sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei erstatteten je eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragten.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs 11 VwGG idF BGBl I Nr 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.
12 Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl Nr 8230-0 (Wiederverlautbarung) idF LGBl Nr 8230-7, lauten:
"§ 2
Kanaleinmündungsabgabe, Ergänzungsabgabe
(1) Für den möglichen Anschluß an die öffentliche Kanalanlage ist eine Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten.
...
(4) Bei einer späteren Änderung der seinerzeit der Bemessung zugrunde gelegten Berechnungsgrundlagen (§ 3 Abs. 2) ist eine Ergänzungsabgabe zu der bereits entrichteten Kanaleinmündungsabgabe zu entrichten, wenn sich durch diese Änderung gegenüber dem ursprünglichen Bestand nach den Bestimmungen des § 3 Abs. 6, eine höhere Abgabe ergibt. ...
...
§ 3
(1) Die Höhe der Kanaleinmündungsabgabe ergibt sich aus dem Produkt der Berechnungsfläche (Abs. 2) mit dem Einheitssatz (Abs. 3).
(2) Die Berechnungsfläche wird in der Weise ermittelt, daß die Hälfte der bebauten Fläche mit der um 1 erhöhten Zahl der an die Kanalanlage angeschlossenen Geschoße multipliziert und das Produkt um 15 v.H. der unbebauten Fläche vermehrt wird. Nicht angeschlossene Gebäude oder Gebäudeteile zählen zur unbebauten Fläche. Wird die Liegenschaft trotz bestehender Anschlußverpflichtung nicht an die Kanalanlage angeschlossen, so ist die Berechnungsfläche so zu ermitteln, als ob die Liegenschaft an die Kanalanlage angeschlossen wäre.
...
(6) Die Ergänzungsabgabe ergibt sich aus dem Differenzbetrag zwischen der Abgabe für den Bestand nach der Änderung und der Abgabe für den Bestand vor der Änderung, wobei beide Abgaben nach dem bei Entstehung der Abgabenschuld geltenden Einheitssatz zu berechnen sind. Die Berechnungsfläche ist für den Bestand vor der Änderung und für den Bestand nach der Änderung jeweils gemäß § 3 Abs. 2 zu ermitteln."
13 Aus § 2 Abs 4 NÖ Kanalgesetz 1977 ergibt sich somit, dass bei einer späteren Änderung der früher der Bemessung der Kanaleinmündungsabgabe zugrunde gelegten Berechnungsgrundlagen (§ 3 Abs 2 leg cit) eine Ergänzungsabgabe zu entrichten ist. Dies ist allerdings davon abhängig, dass sich durch die Neuberechnung nach den Bestimmungen des § 3 Abs 6 NÖ Kanalgesetz 1977 eine höhere Abgabe ergibt.
14 Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen übereinstimmend davon aus, dass die Beschwerdeführerin auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft bauliche Maßnahmen gesetzt hat, die zu einer Veränderung der Berechnungsgrundlagen (gegenüber jenen des Jahres 1989) geführt haben. Strittig ist allerdings, ob dies die Abgabenbehörden zur Vorschreibung einer Ergänzungsabgabe berechtigt hat.
15 Zur Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß eine Ergänzungsabgabe vorzuschreiben ist, sind nicht die im Abgabenbescheid des Jahres 1989 zugrunde gelegten Bemessungsgrundlagen heranzuziehen, sondern die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie zu dieser Zeit bestanden haben. Dies ergibt sich aus § 2 Abs 4 NÖ Kanalgesetz 1977, wonach es auf die "Änderung gegenüber dem ursprünglichen Bestand nach den Bestimmungen des § 3 Abs 6" NÖ Kanalgesetz 1977 ankommt sowie auf § 3 Abs 6 letzter Satz NÖ Kanalgesetz 1977, der ausdrücklich auf "den Bestand vor der Änderung" und nicht etwa auf die seinerzeit der Bemessung zu Grunde gelegten Berechnungsgrundlagen abstellt. Daraus folgt, dass die Abgabenbehörde bei der Bemessung des Ergänzungsbeitrages die Berechnungsfläche vor der Änderung ("Berechnungsfläche alt") anhand der zum Zeitpunkt der ersten Vorschreibung der Kanaleinmündungsabgabe (hier: im Jahre 1989) gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln hat.
16 Dies wurde von den Abgabenbehörden auch beachtet, indem sie ihrer Abgabenvorschreibung Feststellungen zum tatsächlichen Altbestand auf der Grundlage von eigenen Ermittlungen (zB Einsichtnahme in den Erhebungsbogen) zugrunde gelegt haben.
17 Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde allerdings die Unrichtigkeit dieser Feststellungen. Tatsächlich habe der Altbestand des Jahres 1989 zwei Gebäude umfasst, von denen unrichtigerweise nur eines der damaligen Abgabenbemessung zugrunde gelegt worden sei. Es sei von den Abgabenbehörden zunächst übersehen worden, dass es bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nicht darauf ankomme, ob ein Gebäude eines Grundstücks, für das Anschlusspflicht bestehe, überhaupt an den Kanal angeschlossen sei. Bei anschlusspflichtigen Liegenschaften seien nämlich auch nicht angeschlossene Gebäude in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen.
18 Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin aber die Bedeutung der Bestimmung des § 3 Abs 2 zweiter Satz NÖ Kanalgesetz 1977, wonach nicht angeschlossene Gebäude oder Gebäudeteile zur unbebauten Fläche zählen. Dies findet nach dem dritten Satz der genannten Bestimmung sowohl auf Liegenschaften mit als auch ohne Anschlussverpflichtung Anwendung. Daraus folgt aber für den Beschwerdefall, dass es bei der Ermittlung des Altbestandes sehr wohl darauf ankommt, ob nur eines oder beide damals bestehenden Gebäude am Kanal angeschlossen waren.
19 Die Beschwerdeführerin behauptet, 1989 sei tatsächlich auch das zweite Gebäude der gegenständlichen Liegenschaft an den öffentlichen Kanal angeschlossen gewesen. Dieses Vorbringen hatte sie auch bereits in ihrer Vorstellung erstattet.
20 Nach ständiger hg Rechtsprechung herrscht im Verfahren vor der Vorstellungsbehörde nach der NÖ Gemeindeordnung 1973 kein Neuerungsverbot; die Vorstellungsbehörde ist daher berechtigt, nicht aber verpflichtet, selbst den maßgebenden Sachverhalt zu klären. Sie kann zu diesem Zweck mangelhafte Gemeindebescheide aufheben und die Sache an die Gemeinde zurückverweisen. Zweck eines seitens der Vorstellungsbehörde als Aufsichtsbehörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist jedenfalls festzustellen, ob der Vorstellungswerber infolge einer falschen oder unzureichenden Sachverhaltsermittlung durch den Bescheid eines obersten Gemeindeorgans in einem Recht - hier auf eine geringere Ergänzungsabgabe - verletzt wurde (vgl dazu etwa ). Eine solche Rechtsverletzung könnte sich daraus ergeben, dass - entsprechend dem Vorbringen der Beschwerdeführerin - ein höherer Bestand vor der Änderung zu berücksichtigen gewesen wäre.
21 Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, sich mit dem Vorbringen, wonach 1989 beide auf der Liegenschaft befindliche Gebäude am Kanal angeschlossen waren, auseinanderzusetzen und entweder selbst entsprechende Feststellungen zu treffen oder den vor ihr bekämpften Berufungsbescheid mangels hinreichend getroffener Sachverhaltsfeststellungen aufzuheben.
22 Indem die belangte Behörde weder eigene Feststellungen hinsichtlich des behaupteten Sachverhalts traf noch die Berufungsentscheidung behob, verletzte sie Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
23 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 3 Z 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr 518/2013, in der Fassung BGBl II Nr 8/2014.
Wien, am